Flüchtlinge in Deutschland:"Wir haben nicht gewusst, was auf uns zukommt"

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Sie helfen, weil sie es können - und auch wollen: Dolores und Klaus Pehlke. (Foto: oH)

Ein Rentner-Ehepaar in Hannover vermietet Wohnungen an Flüchtlinge. Das Geld kommt von den Ämtern, doch Dolores und Klaus Pehlke wird bald klar, dass es hier nicht um eine Geschäftsbeziehung geht: Sie sind längst zu Ersatz-Großeltern geworden.

Von Carsten Eberts, Hannover

Alles begann mit fünf leer stehenden Wohnungen, die Klaus und Doleres Pehlke vermieten wollten - an deutsche Mieter. "Das ist einfacher, wegen der Sprache", sagt Klaus Pehlke. Es kam völlig anders.

Der Stadtteil Ricklingen, Hannoveraner Arbeitergegend. Die Häuser sind hier einfach, häufig grau. Die Pehlkes besitzen zwei Mehrfamilienhäuser, insgesamt 22 Wohnungen. Als 2013 durch Renovierungen und Wegzüge fünf Wohnungen leer stehen, fassten sie einen Entschluss. Im Fernsehen hatten sie das Leid der Flüchtlinge aus Irak gesehen, sie wollten helfen. "Soziales Engagement soll das Leben verlängern, heißt es doch", sagt Klaus Pehlke, 68. Und was Flüchtlingen in Deutschland fehlt, ist geeigneter Wohnraum.

Erst eine, dann zwei, inzwischen fünf Wohnungen vermietete das Ehepaar an Flüchtlinge mit Aufenthaltsgenehmigung. Der Kontakt kam über die Kirche zustande, einige Mieter holten mit der Zeit Familienmitglieder nach. Mittlerweile vermieten die Pehlkes an neun Iraker, die in ihrer Heimat verfolgt wurden, teilweise über Schlepperbanden nach Deutschland kamen. Das Geld für die Miete kommt von den Ämtern, daran scheitert es nicht. Doch dem Ehepaar wird bald klar, dass es hier nicht mehr um eine Geschäftsbeziehung geht - und auch um keine Patenschaft, die nach vier Wochen endet. "Wir können die Leute doch nicht plötzlich allein lassen, das geht nicht", sagt Dolores Pehlke.

Privates Engagement ist selten

Sie wollen keine Helden sein, sagen die Pehlkes. Sie helfen, weil sie es können. Was die Pehlkes geben, ist vor allem Zeit. Weil die Iraker anfangs kein Deutsch sprechen, helfen Klaus und Dolores im Jobcenter, melden Kinder in der Schule an, gehen mit zum Arzt - auch an Feiertagen, wenn plötzlich ein Kind krank wird. Dolores Pehlke übersetzt, so gut sie kann, in einfachem Englisch. "Mama Dolores" wird sie von ihren Mietern genannt. Ob er sich sein Rentnerdasein anders vorgestellt habe? Klaus Pehlke lacht. "Jaaaa", sagt er.

Die Flüchtlingsströme nach Deutschland reißen nicht ab, auch in Hannover kommen immer mehr Asylsuchende an. Erst im Oktober stellte die Stadt 1000 zusätzliche Plätze bereit, in Schulgebäuden, in Krankenhäusern. 1500 Flüchtlinge sind bereits da, die Zahl könnte sich bis Mitte 2015 verdoppeln. Zwischen den Stadtteilen gibt es Streit, wer wie viele Flüchtlinge aufnehmen muss.

CDU-Abgeordneter für "WG auf Zeit"

Dabei gibt es andere Ideen. Neulich hatten die Pehlkes Besuch von Martin Patzelt, einem CDU-Abgeordneten aus Berlin, der früher Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) war. Patzelt fordert schon länger, dass auch private Haushalte in Deutschland Flüchtlinge aufnehmen sollen. Er selbst beherbergt zwei Syrer. Patzelt findet: Alle Bürger, die es sich leisten können, sollten Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen. Er nennt das Modell "WG auf Zeit" oder "Tandemlösung". Bis die Flüchtlinge in ihre Länder zurückkehren, finden sie Unterschlupf bei Bürgern.

Für seinen Vorschlag wurde er sowohl belächelt als auch kritisiert. Auch Klaus Pehlke hat Patzelt geschrieben und dem Politiker mitgeteilt, dass der Vorschlag gut sei, in der Praxis aber kaum umzusetzen.

Einfach einen Flüchtling im Gästezimmer und am eigenen Küchentisch unterzubringen, funktioniere nicht, sagt Pehlke. Die Menschen bräuchten Arbeit, im besten Fall eine eigene Wohnung - vor allem jedoch mehrere Stunden Betreuung am Tag. Als Rentner könne er das leisten. Berufstätige Menschen könnten das nicht. Die Pehlkes haben sich Generalvollmachten ausstellen lassen, streiten mit den Behörden, füllen unzählige Anträge aus. Und staunen über viele kleine Dinge. Ein Mieter installiert illegal eine Satellitenschüssel, bei anderen fehlen sämtliche Krankenkassenunterlagen. Manchen Ärger schlucken sie herunter.

Im ersten Stock ihres Hauses wohnt die Familie Zebari-Hakim mit ihren drei Söhnen. Sie haben eine Vier-Zimmer-Wohnung, nur die beiden Jüngsten müssen sich ein Zimmer teilen. Überall stehen Bilder von Familienangehörigen, daneben ein Kreuz. Sie sind Katholiken. Aus dem Irak mussten sie fliehen, weil der Islamische Staat (IS) dort "christenfreie" Landschaften haben will. "Sehr, sehr gefährlich" sei es zu Hause, sagt die Mutter. Zurück will sie auf gar keinen Fall.

Ihr ältester Sohn Milad ist 13, gerade war Klaus Pehlke mit ihm unterwegs: Fußballschuhe kaufen. Der Junge wächst schnell und hätte sonst nicht weiter im Verein spielen können. Pehlke ging mit ins Geschäft, fragte nach "diesen Schuhen von Lionel Messi" und streckte das Geld vor. Von den Ämtern wird er das Geld kaum wiedersehen. Klaus und Doleres Pehlke sind längst Ersatz-Großeltern geworden.

"Dieses Ehepaar ist ein Segen für die Leute", sagt Martin Patzelt, der CDU-Mann. Niemand dürfe verurteilt werden, weil er berufstätig sei und niemanden aufnehmen könne. Er habe "großen Respekt vor jedem, der sich die Frage stellt und dann sagt: Ich kann es nicht". Patzelt findet nur: Viel zu wenige Menschen stellen sich diese Frage.

In Niedersachsen ist die private Aufnahme von Flüchtlingen rechtlich möglich - und dennoch findet sie kaum statt. Die Pehlkes seien eine "sehr, sehr große Ausnahme", findet Hans-Georg Hofmeister vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Natürlich gebe es Menschen, die sich engagieren, etwa pensionierte Lehrer, die Sprachkurse anbieten. Die Bereitschaft nehme spürbar zu. Aber dass Menschen ihr eigenes Leben umstellen, um Flüchtlinge zu betreuen? "Ein Einzelfall", sagt Hofmeister.

Ob sie das noch einmal tun würden? Klaus Pehlke hat sich die Frage schon oft gestellt. Er schüttelt den Kopf. "Wir haben ja nicht gewusst, was auf uns zukommt", sagt er, die Belastungsgrenze sei "eigentlich erreicht". Doch er lacht. Er ist 68 Jahre alt, solange er gesund bleibt, hat er seine Aufgabe gefunden. Ohne ihn und Mama Dolores wären die neun Iraker doch aufgeschmissen.

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