Flüchtlinge in Bussen:Chaos an kroatisch-ungarischer Grenze

  • Kroatien fühlt sich überlastet und fährt Tausende Flüchtlinge mit Bussen nach Ungarn.
  • Die ungarische Regierung kritisiert die Transporte. Die Aktion sei nicht abgesprochen gewesen.
  • EU-Ratspräsident Tusk fordert von den EU-Staaten ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingskrise.

Am Abend telefoniert Angela Merkel mit Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic. Die deutsche Bundeskanzlerin will sich bei ihrem Amtskollegen über die Flüchtlingssituation in dessen Land informieren - ein Land, das innerhalb weniger Tage zur wichtigsten Transitstation für diejenigen geworden ist, die eigentlich weiterwollen. Die meisten: nach Deutschland.

Weil Ungarn seine Grenzen dichtgemacht hat, ist die Route von Serbien über Budapest nach Wien und München für die Flüchtlinge nicht mehr benutzbar. Also versuchen sie einen anderen Weg, den über Kroatien. 17 000 Flüchtlinge sollen seit Mittwochmorgen ins Land gekommen sein. Die Aufnahmekapazitäten seien überschritten, heißt es aus dem Innenministerium in Zagreb. Man könne die Flüchtlinge auch nicht mehr registrieren, wie es das EU-Recht eigentlich vorsieht.

Kroatien vollzieht damit binnen Tagen eine dramatische Kehrtwende: Noch am Mittwoch hatte Milanovic den Flüchtlingen versprochen, sie in die Regionen zu "leiten", in die sie wollten. Doch jetzt agiert die Regierung ähnlich wie die in Ungarn - und schließt die Grenzen. Sieben der acht Grenzübergänge zu Serbien sind "bis auf Weiteres" nicht mehr in Betrieb.

Weil sich auch Slowenien unnachgiebig zeigt und am Autobahngrenzübergang Bregana etwa 300 Flüchtlinge wieder nach Zagreb zurückschickt, startet die kroatische Regierung am Freitag einen weiteren Versuch, um einen Teil der Flüchtlinge wieder loszuwerden. Etwa 30 Busse mit jeweils etwa 60 Flüchtlingen an Bord lässt sie Medienberichten zufolge an die ungarische Grenze fahren.

Korridor nach Westen?

Ein Teil der Busse durfte die Grenze offenbar passieren. Die Flüchtlinge sollen in ein Auffanglager in der ungarischen Grenzstadt Beremend gebracht worden sein. Ob sie dort bleiben müssen oder weiterreisen können, ist völlig unklar.

Die Flüchtlingstransporte von Kroatien nach Ungarn sind, so heißt es am Abend, offenbar nicht zwischen den beiden EU-Nachbarn koordiniert. "Ohne jegliche Absprache sind 1000 Migranten mit dem Zug nach Magyarboly gebracht worden", sagt Ungarns Regierungssprecher Zoltan Kovacs, als er in Beremend vor die Presse tritt. Die 40 kroatischen Polizisten, die den Zug begleiteten, seien entwaffnet, der Zugführer festgenommen worden, fügt der Sprecher hinzu. Es bestehe der Verdacht, dass es sich um einen Grenzverstoß handele. Die kroatische Seite stellt die Situation völlig anders dar: Niemand sei entwaffnet oder festgenommen worden. Auf die Polizei-Eskorte habe man sich vorab verständigt gehabt.

Zuvor waren die Bereitstellung eines ungarischen Zugs zur Abholung der Flüchtlinge im Grenzbahnhof Magyarboly und von Bussen am Grenzübergang Beremend als Anzeichen dafür gedeutet worden, dass die Menschen auf organisierte Weise nach Österreich gebracht würden. Augenzeugen sahen zudem, wie ungarische und kroatische Polizisten in dem Grenzbahnhof gemeinsam agierten. In kroatischen Medien hieß am Nachmittag bereits: "Korridor nach Westen geöffnet" - eine Medlung, die sich als voreilig herausstellte.

In seiner Einladung für den Sondergipfel am kommenden Mittwoch, auf dem die EU-Staaten über die Flüchtlingspolitik beraten wollen, fordert Ratspräsident Donald Tusk am Abend ein gemeinsames Vorgehen aller beteiligten Länder. Sie müssten aufhören, sich gegenseitig die Schuld für die Krise zu geben. "Zu lange haben sich unsere Diskussionen um die Verlagerung der Verantwortung auf andere gedreht", so Tusk.

Es sind Worte, die ungehört verhallen an diesem Tag.

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