Finanzskandal:Die schwarzen Löcher des Vatikans

APTOPIX Vatican Pope; Petersdom im Vatikan

Vollmond über dem Petersdom im Vatikan.

(Foto: Dmitry Lovetsky/AP)

Kardinäle, die zu lächerlichen Mietpreisen in riesigen Appartements residieren. Spenden, die in der Verwaltung versickern: Ein neues Skandalbuch enthüllt, wie der Vatikan mit Geld umgeht.

Von Andrea Bachstein, Rom

Mit ziemlich zufriedenem Gesicht tritt Gianluigi Nuzzi am Mittwoch aufs Podium - es ist der Tag des Vatikan-Journalisten, er stellt sein neues Buch "Alles muss ans Licht" vor, und es ist für ihn bisher alles gelaufen, wie es besser nicht sein könnte. Dass er für seine Bücher, unter anderem "Die Vatikan AG", medial zu trommeln vermag, hat er schon früher bewiesen. Aber diesmal ist es besser gelaufen, als jede PR-Agentur es sich träumen könnte: Drei Tage, ehe das neue, als Enthüllungsbuch angekündigte Werk in Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien und anderen Ländern am Donnerstag in den Handel kommt, hat der Vatikan ihm eine unbezahlbare Werbehilfe gegeben und zwei Mitarbeiter festgenommen, weil sie vertrauliche Dokumente weitergegeben haben sollen.

Der Vatikan, dessen Gendarmerie monatelang ermittelt hatte, wollte sich offenbar nicht sagen lassen, er habe mit den Festnahmen bloß auf Nuzzis Buch reagiert. "Vatileaks 2" war trotzdem geboren, nach "Vatileaks 1", dem Diebstahl von Dokumenten durch den Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., an dessen Enthüllung und Auswertung Nuzzi mit seinen Veröffentlichungen ebenfalls maßgeblich beteiligt war. Der neue Skandal füllt nun in Italien und auch international die Seiten der Zeitungen, zumal am Dienstag klar wurde, dass im Vatikan noch gegen etwa zehn weitere Verdächtige ermittelt wird. Und klar ist auch, die "Raben", wie die Verräter des Vatikans heißen, fliegen munter, in ganzen Schwärmen, wie es scheint.

Der Saal in Roms edler Via di Ripetta, in dem Nuzzi auftritt, ist jedenfalls voll, Dutzende Fernsehkameras richten die Objektive auf den kahlköpfigen Autor, Journalisten aus der ganzen Welt wollen den berühmten und im Vatikan berüchtigten Kollegen sehen, so hat er sich das gewiss gewünscht.

Von wem er die Papiere hat? Zuverlässige Leute aus dem Vatikan

Das Buch basiert auf seinen langen Recherchen - und vor allem auf Dokumenten aus dem Vatikan. Es geht um die Finanzen, immer schon das heikelste Thema im Kirchenstaat. Es geht um die Versuche von Franziskus aufzuräumen, Verschwendung abzustellen, irgendein System einzuführen, dass das viele Geld nachvollziehbar macht, das eingeht und ausgeht. Und es geht auch darum, wie viel Widerstand den Reformen aus dem Vatikan entgegensteht.

Wie viel absichtliches und aus Unfähigkeit resultierendes Chaos in den Finanzen der Vatikanbehörden herrschte, wird in dem Buch mehr als deutlich. Natürlich sagt Nuzzi nicht, von wem er die Papiere hat. Es seien wichtige, zuverlässige Leute aus dem Vatikan. Dass er die nicht gestohlen oder in illegaler Weise kopiert habe, wiederholt der Autor wieder und wieder.

Alle Informanten hätten völlig freiwillig gehandelt - und sie haben offenbar nicht nur Nuzzi bedient: Ein weiterer italienischer Journalist, Emiliano Fittipaldi vom Magazin Espresso, veröffentlich ebenfalls am Donnerstag sein Vatikanbuch "Avarizia" (Geiz). Der Inhalt deckt sich weitgehend mit dem von Nuzzi.

Beunruhigendes Gesamtbild

Trotz allen Schweigens über die Quellen seitens Nuzzis und Fittipaldis, man kann zwei und zwei zusammenzählen: Dass die beiden ersten in dieser Woche Festgenommenen, nämlich Monsignore Lucio Ángel Vallejo Balda, ehemals Chef der Untersuchungskommission Cosea, und die einzige Frau in der Cosea, Francesca Immacolata Chaouqui, in die Skandale verwickelt sind, daran lässt sich kaum vernünftig zweifeln. Balda sitzt noch immer in einer der vatikanischen Haftzellen bei der päpstlichen Gendarmerie, Chaouqui wird weiter vernommen. Nuzzi hält das übrigens für ein "absurdes Vorgehen" des Vatikan.

Um es gleich zu sagen: Einen völlig überraschenden, riesigen Skandalfall enthält das Buch von Nuzzi nicht. Es ist vielmehr das Gesamtbild, das durchaus beunruhigend, schockierend und enttäuschend für viele Gläubige sein muss. Die Dokumente stammen teils eben von jener Cosea, die Franziskus eingesetzt hat, um den Zustand der Finanzen des Vatikan mit seinen vielen Dikasterien, seiner Vermögensverwaltung Apsa und natürlich des Geldinstituts IOR zu durchleuchten und zu reformieren.

Es stand ziemlich verheerend, als Franziskus Pontifex wurde, und externe Buchprüfer hatten schon Alarm geschlagen. Nuzzi hat eine Audioaufzeichnung einer Unterredung des Papstes am 3. Juli 2013, also etwa fünf Monate nach Amtsantritt, mit Kardinälen der Kurie ausgewertet - da ist die Rede von drohender Staatspleite - das Jahr 2012 hatte mit einem Minus von 28,9 Millionen Euro in den Kurienfinanzen geschlossen, Einnahmen von 92,8 Millionen Euro standen Ausgaben von 121,7 Millionen gegenüber. 'Die Finanzen seien "außer Kontrolle", die Personalausgaben undurchschaubar, sagte der Papst und gab den Befehl gab, endlich Transparenz zu schaffen. Es gelingt noch immer nicht in allen Bereichen, das versucht Nuzzi zu zeigen, auch wenn die Dokumente höchstens bis 2014 gehen.

Lächerliche Gefälligkeitsmieten

Dass der Vatikan seine Immobilien - allein in Rom sind 5000 Objekte in seinem Besitz - miserabel verwaltet, weil er fast immer nur lächerliche Gefälligkeitsmieten verlangt, war zumindest in der italienischen Hauptstadt immer bekannt. Aber dass es 100-Quadratmeter-Wohnungen in Roms Altstadt gibt, die 100 Euro im Jahr oder auch gar nichts kosten, ist neu. Dass Kardinäle, allen voran der ehemalige Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, auf 700 Quadratmetern residieren, in gigantischen Appartements in Toplage und zu lächerlichen Mietpreisen, ist aber nicht einmal das Schlimmste.

Was Gläubige in aller Welt wirklich treffen wird, ist zum Beispiel der Umgang mit dem Peterspfennig, den viele von ihnen spenden, in dem sicheren Glauben, das Geld werde ausschließlich für gute Zwecke verwendet, für den "Liebesdienst an den Bedürftigen". In Wahrheit verschwindet ein Großteil der Gelder in einem "schwarzen Loch", wie Nuzzi schreibt. Nur nach hartnäckigem Insistieren bekamen die von Franziskus beauftragten Ermittler einen Überblick von der zuständigen Stelle im Staatssekretariat des Vatikan - und es grauste ihnen auch dort.

Nuzzis Unterlagen zufolge wurden 14,1 Millionen Euro aus dem Obulus für Sankt Peter für karitative Zwecke verwendet, 6,9 Millionen als Spende für besondere Zwecke, 6,3 Millionen wurden zurückgestellt als Reserve. Sage und schreibe 28,9 Millionen Euro wurden für den Unterhalt der defizitären Kurie entnommen, das sind 58 Prozent.

Geld gespendet für Bedürftige, ausgegeben für den Verwaltungsapparat. Für den luxuriösen Aufwand, den nicht wenige Kardinäle jahrzehntelang betrieben. Für ein System, in dem Nachlässigkeit, Gefälligkeiten und Machtinteressen herrschten. Noch haarsträubender ist die Summe von 377,9 Millionen Euro, auf die sich laut Nuzzis Recherchen das Rücklagevermögen des Peterspfennigs beläuft, verteilt bei zwölf Banken, am meisten liegt beim IOR. Diese Riesensumme ist zudem schlecht angelegt, mit Zinssätzen von ein bis drei Prozent. Geld, das eigentlich jedes Jahr ausgegeben sein sollte, um den Armen zu helfen.

Eigenwillige Buchführung

Ein anderes unfassbares Szenario bietet sich bei der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. Dort gab es offenbar über viele Jahre keine nachvollziehbare Buchführung. Dabei ist dieses Amt eine wahre Millionenquelle, denn die Prozesse der Kanonisierung kosten sehr viel Geld, 15 000 Euro allein die Bearbeitungsgebühr, dazu summieren sich Kosten der Recherche, die teilweise in die Hunderttausende gehen. Viel Geld wurde da in bar überreicht, eigentlich müssten 20 Prozent der Einnahmen an arme Diözesen gehen. Die Zustände, die die Ermittler in Franziskus' Auftrag fanden, führten dazu, dass die Konten der Heiligenkongregation unter Kardinal Angelo Amato beim IOR eingefroren wurden, 40 Millionen Euro liegen darauf. Es herrschte quasi ein Monopol von zwei Postulatoren, die die Fälle bearbeiten und eine sehr eigenwillige Buchführung praktizierten.

Bei allem, was Nuzzi schreibt, ist vermutlich noch immer nur ein Teil des Schmutzes unter dem Teppich hervorgekehrt, und er wird Stoff für neue Bücher finden. Er beschreibt, dass bei der Vatikanbank in den vergangenen Jahren große Reformen in Richtung auf mehr Transparenz und auf Vermeidung von Geldwäsche gemacht worden seien. Aber die alten Geschichten sind offenbar noch nicht alle auf dem Tisch. Am Mittwoch wurde bekannt, dass es neue Ermittlungen bei der Vatikanbank gibt. Sie betreffen die Zeit vor 2011, es geht um den Verdacht der Geldwäsche. Franziskus, so dringt durch Angelo Becciu, den Substitut im Staatssekretariat, aus dem Vatikan, sei geschmerzt von den jüngsten Vorkommnissen, mit seinen Reformen werde er jedoch entschlossen und gelassen vorangehen.

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