Finanzielle Probleme bei Tierheimen:Voller Käfig, leere Kasse

Tierheim Köln

Wer will mich? Gerade Tiere ohne "Welpenfaktor" sind für die Heime sehr schwer vermittelbar.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Immer weniger Spenden, dafür Streit ums Geld mit den Behörden: Viele Tierheime in Deutschland kämpfen um ihre Existenz. Eine Bestandsaufnahme.

Von Jannis Brühl, Köln

Nepomuks letzter Milchzahn will einfach nicht ausfallen, da kann der Welpe noch so bellen. Dabei haben die Pfleger des Tierheims im Kölner Stadtteil Zollstock dem Kleinen mit dem weizenbraunen Fell extra einen gigantischen Knochen ins Gehege gelegt. An dem soll er kauen, bis der Wackelkandidat endgültig nachgibt. Nepomuk ist vermutlich Schäferhundmischling, aber so genau weiß das hier keiner. Eine Passantin hat ihn auf einer Wiese gefunden, ausgesetzt.

Jetzt versteckt er sich hinter seiner Pflegerin, legt die Ohren an und lässt sich unter den Pfoten kraulen. Lange wird er nicht mehr hier sein. Bald wird Nepomuk zu seinem neuen Besitzer ziehen, und das bedeutet für das klamme Heim: ein Ausgabenposten weniger. Denn der Tierschutzbund schlägt Alarm: Jedes zweite der 500 deutschen Tierheime sei von Insolvenz bedroht. Auch das in Köln, in dem 270 Tiere wohnen.

Rottweiler sind "rassebedingt" schwer zu vermitteln

Nepomuk hat bald ein neues Zuhause, aber er ist ja auch ein Sympathieträger, ausgerüstet mit der ultimativen Waffe gegen die Hartherzigen: dem Welpenbonus. Doch was passiert mit Timmy, dem schwarz-weißen Border Collie? Der sieht harmlos aus, aber auf dem Schild mit der Aufschrift "Vorsicht bissig!!!" an seinem Gehege sind die Ausrufezeichen in Alarmrot gemalt.

Mit Jelly, der zutraulich die Nase gegen sein Gitter presst? Als Rottweiler ist er "rassebedingt" schwer zu vermitteln, wie es hier heißt. Und mit der getigerten Katze, die sich wegen ihrer Hautkrankheit immer wieder das Gesicht zerkratzt? Sie werden so bald wohl niemanden finden, der sie will. Und das wird teuer für ihre Gastgeber.

Silke Schmitz vom Tierheim führt über das Gelände, vorbei an einem Einkaufswagen voller Katzenfutter-Packungen und einer Plastikkiste, auf der steht: "Kotbeutel". Sie rechnet vor: 800 000 Euro gäben sie im Jahr aus, es käme aber nur die Hälfte davon wieder rein - Spenden, Geld von der Stadt, Gebühren von Bürgern, die Tiere mitnehmen. Bleibt ein Minus von 400 000 Euro.

Um es auszugleichen, müsse das Heim Reserven aus besseren Zeiten angreifen. Darum sollten die Kommunen mehr zahlen. Im Falle der Kölner Einrichtung deutlich mehr als jene 100 000 Euro, die die Stadt pro Jahr für Fundtiere überweist. Die Verhandlungen mit der Verwaltung laufen. Dort bezweifelt man allerdings, dass am Tag pro Hund 21 Euro anfallen und pro Katze zehn. Die Summen hat der Tierschutzbund von einem Steuerberater berechnen lassen.

Die Reviere streiten über neue Besen

Elke Sans trägt die Kluft der Tierpfleger: Jogginghose, Regenjacke, Fleece-Pulli. Die feinen Haare, die ihn bedecken, verraten, wo die 36-Jährige arbeitet: im Katzenrevier. Einer von drei Bereichen des Heimes, neben Hunde- und Nagetierrevier.

Sans erzählt, was jetzt anders läuft: Wenn der Urin der Katzen schmierig werde, was auf Blasensteine hindeute, überlege sie dreimal, ob sie die Tiere zum teuren Ultraschall bringe. Wenn es einen neuen Besen gebe, stritten die Reviere über ihn. Neben ihr ist in einer Glasscheibe ein faustgroßes Loch, dahinter turnt Kater Fuchur über Kisten. Nicht die einzige Stelle, an der das Heim eine Reparatur vertragen könnte.

Viele Tiere werden abgegeben mit dem Satz: "Ich kann mir das nicht mehr leisten"

In den Räumen für Katzen stehen Schlafkörbe in weißen Regalen, an den Kanten quillt brauner Pressspan aus dem geplatzten Lack. In den Außengehegen wächst überall wächst Moos. Seit der Finanzkrise klafft eine Lücke auf den Konten der Heime. Stiftungen, die immer viel gespendet hatten, verloren erst viel Geld, jetzt wirft ihr Kapital kaum noch Zinsen ab.

Außerdem landen hier immer mehr alte und kranke Tiere. Die sind schwer vermittelbar und verursachen hohe Tierarztkosten. Das ist nicht nur ein Problem der Tiere, sondern auch eines der Menschen. Dass die Armut zunehme, spürten sie hier, sagt Sans: "Viele Tiere werden abgegeben mit dem Satz: 'Ich kann mir das nicht mehr leisten.'"

Und die Besitzer geben früher auf. Früher war das Heim nur in den Sommerferien voll. Jetzt wollten viele schon an Ostern ihre Tiere wieder loswerden, sagt Silke Schmitz. "Wir sehen am Alter der Tiere, dass sie Weihnachtsgeschenke waren." Ralf Unna ist noch etwas bissiger als Timmy, der Border Collie, zumindest verbal. Er ist der Tierarzt des Heimes, Vizepräsident des Landestierschutzverbandes NRW, grüner Stadtrat.

Er schimpft über "Klugscheisser-Kämmerer", die Tierbetreuung an den billigsten Anbieter vergäben, einen kommunalen Spitzenverband bezeichnet er als "mafiöse Organisation". Die 200 Euro, die Köln pauschal für einen Hund zahle, reichten nicht einmal zehn Tage. Die Kommunen sollten die Kosten doch für sechs Monate übernehmen. So lange haben Besitzer den Anspruch, Fundsachen - dazu zählen Fundtiere nämlich juristisch - zurückzubekommen.

Was ist ein "Fundtier"?

Sich um sie zu kümmern, ist eine kommunale Aufgabe, die Tierheime der Verwaltung abnehmen. Die dürfe deshalb nicht knausern: "Sonst kommen wir nicht aus dem strukturellen Defizit." Jetzt klingt Unna wie ein griechischer Finanzminister.

Silke Schmitz nennt als Beispiel Henry, den blinden Pudel, der im Park gefunden wurde, an eine Bank gebunden. Für ihn habe die Stadt 200 Euro gezahlt - bei weitem nicht genug für Kastration, das Ziehen von zwölf Zähnen und eine private Pflegestelle, die das Heim bezahle. Wer den Tierschützern zuhört, könnte meinen, die Kommunen seien etwa so wenig engagiert wie Berta, das Hängebauchschwein. Sie wohnt im hintersten Eck des Geländes, noch hinter den Hühnern, die aus einer Legebatterie freigekauft wurden, und ist bekannt dafür, nur selten ihren Stall zu verlassen. Bei der Stadt Köln sieht man das anders.

Die Ausgaben steigen auch, weil sich Heime professionalisiert haben

Eine Sprecherin erklärt: Im Vertrag mit den Kölner Heimen stehe doch eine Klausel, nach der über eine Erhöhung der Pauschalen verhandelt werden könne. Allerdings müssten die Heime dazu belastbare Zahlen über ihre tatsächlichen Ausgaben offenlegen. Aufschläge erhielten sie schon jetzt, etwa für Kampfhunde. Weil die Verträge so unterschiedlich sind, muss jedes Heim einzeln mit seiner Kommune verhandeln.

In Krefeld platzten vor kurzem Verhandlungen zwischen Stadt und Heim, kurzzeitig sollten Fundtiere in den Zoo. Eine bundesweite Lösung gibt es nicht, der Deutsche Städte- und Gemeindebund lässt verlauten, das Ganze sei "nicht das vorrangige Problem in der Kommunalpolitik".

Zudem gibt es Streit über die Definition, was denn überhaupt ein "Fundtier" ist. Viele Heime wünschen sich, dass alle Kommunen alle Heimtiere als Fundsache anerkennen. Der Städte- und Gemeindebund NRW erklärt dagegen: Streuner und ausgesetzte Tiere fallen nicht unter die Definition: "Fundtiere sind nur die Tiere, die verloren gegangen sind."

Die Ausgaben stiegen auch, weil die Heime sich professionalisiert hätten, sagt Unna: "Vor 30 Jahren kriegte der Tierpfleger 1000 Mark und durfte noch ein paar faulige Äpfeln mit nach Hause nehmen." Die Tiere seien damals schlecht behandelt worden. In Köln-Zollstock arbeiten heute 25 Profis, fünf Pfleger werden ausgebildet.

Pflegerin Sans steht in einem Außengehege für Katzen und zeigt auf den Boden: Zwischen den Fliesen ist kaum noch Mörtel, der sie zusammenhält. Sans wippt auf der Stelle auf und ab. Ein dumpfes Geräusch. "Das ist alles unterhöhlt. Ich hab immer Angst, dass das nachgibt."

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