Filmfest Venedig:Der Letzte macht das Blitzlicht aus

71st Venice Film Festival - Alternative Views

Göttin der Eröffnungsfeier: Die 25-jährige Schauspielerin Emma Stone in einem Kleid von Valentino.

(Foto: Getty Images)

Ein Erdloch neben dem Roten Teppich und ein Totenkopf mit Schere: Venedigs Filmfest mit all seinem Glamour verkommt zur Fassade für eine marode Stadt.

Von Susanne Hermanski

Verhängen schöne Kleider den Blick auf das Wesentliche? Bei der Eröffnungsparty des Filmfestes von Venedig könnte man auf diese Idee kommen. Auch, weil da ein Mann mit Totenkopfmaske über dem Gesicht schon mal eine riesige gelbe Schere schwingt. Er steht mit dem Rücken zu den Autogrammjägern und posiert hier auf seine Art für die Fotografen.

Die Fans kreischen, weil gerade die nächste Beauty in atemberaubender Robe über den roten Teppich schwebt. Zuerst allerlei Damen der italienischen Gesellschaft, Fernsehstars und Moderatorinnen, so schlank, elfengleich und elegant, als wäre Venedig die Heimstatt der Perfektion.

Die Göttin des Abends ist die 25-jährige Emma Stone, die als Spidermans Liebste weltberühmt wurde und nun im Eröffnungsfilm "Birdman" eine zu Tränen rührende Tochterrolle spielt. Stone trägt einen flaschengrünen Organzatraum, der die leise Brise wunderbar aufnimmt, die vom Meer herüberweht. Die Fotografen seufzen vor Glück - Venedig in Hochform.

Knochenmann mit Schere

Und so gilt die Drohgebärde des demonstrierenden Knochenmanns mit Schere auch nicht Stone, sondern der Kulisse, deren Teil die Schauspielerin ist. Nein, der Tod ist kein Werbegänger für einen der Horrorfilme, die hier auf dem Lido in den nächsten Tagen laufen. Der Mann protestiert als Angestellter der Kommune Venedig. Ihn und viele seiner Kollegen treffen Haushaltskürzungen, weil die Politiker der Stadt Misswirtschaft betrieben haben.

35 Politiker wurden im Juni festgenommen und unter Hausarrest gestellt - auch der Bürgermeister. Riesige Summen sollen im Zusammenhang mit dem "Moses Projekt" veruntreut worden sein. Das Schleusensystem soll eigentlich den Untergang der hochwassergeplagten Stadt verhindern, Statt dessen schleusten sich die Verantwortlichen Millionen in die eigene Tasche - wie schon vor Jahren das Geld für den neuen Festivalpalast.

Noch heute klafft an der dafür vorgesehenen Stelle ein gigantisches Erdloch im Boden. Nur ein Bauzaun trennt den Blick auf die Grube vom roten Teppich. Amy Ryan und Andrea Riseborough, beide ebenfalls in "Birdman" zu sehen, schweigen denn auch höflich, als sie auf den Schandfleck angesprochen werden, und preisen artig die "Magie", die der Ort ungebrochen verströme.

Tod von Venedig hat Pause

Beim glamourösen Eröffnungsdinner unten am Strand sind die Probleme, die am Lido zum Himmel stinken, trotzdem wieder Tischgespräch. Schließlich gab es noch mehr Demonstranten. Neben den Stadtangestellten zog auch eine Bürgerinitiative auf, die gegen das "Consorzio Venezia Nuova" mit großen Transparenten protestierte. Das Consorzio hält schon seit Jahren sein Versprechen nicht, das legendare Des Bains wenigstens in Teilen wiederzueröffnen. Es war die Wiege des Festivals und jener Ort, an dem Thomas Mann seinen "Tod in Venedig" schrieb. Jetzt verrottet die Perle am Strand - der Ort, dem der Lido seinen Nimbus verdankt - vor sich hin.

Und draußen vor dem teils eingerüsteten Excelsior findet sich ein weiteres untrügliches Zeichen dafür, wie ernst die Krise in Italien ist: Italiens großes A-Festival hat keine italienische Automarke mehr als Hauptsponsor. Statt Maserati oder wenigstens Lancia, wie zuletzt, wirbt dort nun eine französische Marke mit einem popeligen Kleinwagen.

Vorteil: Weil die Pavillons der Sponsoren fehlen, sieht man am Lido wieder besser das Meer. Oder wie sich Julie Gayet, François Hollandes Flamme, in Szene setzt. Solange Stars wie sie, Jury-Mitglied Tim Roth, Jude Law, Michael Keaton und Edward Norton noch kommen - und irgendwo in einer frisch geweißelten Suite untergebracht werden können, darf das Festival leben und der Tod von Venedig hat Pause hinter den glitzernden Kulissen.

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