Festgehaltene Frauen in London:Ein Leben lang Sklavin

Der Tatort war in einer ganz gewöhnlichen Straße: Im Londoner Süden wurden drei Frauen offenbar 30 Jahre lang als Sklavinnen gehalten. Eine der Frauen soll in ihrem ganzen bisherigen Leben keinerlei Kontakt zur Außenwelt gehabt haben.

Von Christian Zaschke, London

Sie seien "höchst traumatisiert", teilte Scotland Yard mit, aber nun seien sie endlich frei: Drei Frauen sind im Londoner Süden offenbar jahrzehntelang gegen ihren Willen in einem Wohnhaus gefangen gehalten worden. Der Polizei zufolge sind eine 69 Jahre alte Frau aus Malaysia, eine 57 Jahre alte Irin und eine 30 Jahre alte Britin allem Anschein nach als Sklaven gehalten worden. Offenbar wurden alle drei Frauen seit 30 Jahren gefangen gehalten.

Zwei Verdächtige, ein Mann und eine Frau, jeweils 67 Jahre alt, seien festgenommen worden. Nach ihrer Befragung seien die beiden auf freien Fuß gesetzt worden, meldete die britische Nachrichtenagentur Press Association am frühen Freitagmorgen unter Berufung auf Scotland Yard. Dies gelte zunächst bis Januar.

Einer der gefangenen Frauen war es gelungen, die Wohltätigkeitsorganisation "Freedom Charity" anzurufen. Diese kümmert sich um Opfer von häuslicher Gewalt. Nach Polizeiangaben hatte die Frau am 9.Oktober im Fernsehen eine Dokumentation über Zwangsehen gesehen, in der die Freedom Charity erwähnt wurde, und sich daraufhin entschlossen, heimlich telefonischen Kontakt zur Organisation aufzunehmen. Bisher hat die Polizei erst wenige Fakten zu den Hintergründen des verstörenden Falles bekannt gegeben. Einige Details wurden jedoch im Lauf des Donnerstagabends bekannt. Offenbar hatte die 30 Jahre alte Britin, die in dem Haus gefangen gehalten wurde, in ihrem bisherigen Leben keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Was das hinsichtlich ihrer Eltern bedeutet, blieb zunächst unklar.

Scotland Yard teilte am Donnerstag mit: "Die Polizei ist im Oktober von der Freedom Charity kontaktiert worden, nachdem diese einen Anruf von einer Frau erhalten hatte, die nach eigenen Angaben seit 30 Jahren in einem Haus festgehalten wurde." Die Polizei hat daraufhin die Adresse des Hauses ermittelt. Der Wohltätigkeitsorganisation ist es anschließend gelungen, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Schließlich sei es gelungen, die drei traumatisierten Frauen zum Verlassen des Hauses zu bewegen. Sie befänden sich nun an einem "sicheren Ort".

Die Frauen seien bereits im Oktober in Sicherheit gebracht worden. Die Festnahmen hingegen seien erst am Donnerstagmorgen erfolgt. Detective Inspector Kevin Hyland von Scotland Yard sagte: "Wir sind sehr dankbar für die Hilfe der Freedom Charity, die mit uns partnerschaftlich zusammengearbeitet hat. Wir haben intensive Ermittlungen eingeleitet, um herausfinden, was da wirklich passiert ist."

Körperlich und mental misshandelt

Die Gründerin der Freedom Charity, Aneeta Prem, sagte, dass die Frauen als Sklavinnen gehalten worden seien. "Die Frauen hatten schreckliche Angst vor dem Paar, das sie gefangen hielt", sagte sie am Donnerstag. Das Paar hat sich offenbar als "Oberhaupt der Familie" geriert, dessen Befehlen zu gehorchen ist. Laut Aneeta Prem sind die drei Frauen sowohl körperlich als auch mental misshandelt worden. "Sie sind jetzt so glücklich, wie man das den Umständen entsprechend sein kann", sagte Prem, "aber es wird natürlich lange dauern, bis ihr Leben wieder in einigermaßen normalen Bahnen verläuft."

Es habe, sagte Prem, nach ersten Erkenntnissen keine Sexualverbrechen gegeben. Den Angaben zufolge hatte jede der Frauen ein eigenes Zimmer, es habe jedoch strengste Regeln dafür gegeben, wann sie sich wie im Haus bewegen durften.

Ein ganz gewöhnliches Haus

Laut Scotland Yard ist der Tatort ein Wohnhaus "in einer ganz gewöhnlichen Straße". Nichts habe darauf hingedeutet, dass das Haus Schauplatz eines Verbrechens sein könnte. Es scheint zudem, als hätten die Anwohner nichts davon mitbekommen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft seit vielen Jahren drei Frauen gefangen gehalten wurden. "Es ist unvorstellbar, was da passiert ist", sagte Aneeta Prem, "aber in London lebt jeder sein eigenes Leben und kümmert sich nicht um seine Nachbarn. Nur so konnte es so weit kommen."

Als der Scotland-Yard-Mann Kevin Hyland am Donnerstagabend vor die Presse trat, wirkte er bewegt. "Die Frauen sind jetzt glücklicherweise in Sicherheit", sagte er. Neben ihm stand ein wohnhausgroßer Weihnachtsbaum, dessen Elektrokerzen helle strahlten. "Wir haben wirklich viel gesehen", sagte Hyland, "wir haben schon Menschen befreit, die fast zehn Jahre lang gefangen gehalten wurden. Aber so etwas wie in diesem Fall haben wir hier noch nicht erlebt."

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