Fernsehen:Arabellas Geständnis

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"Die Ära des Talks am Nachmittag geht zu Ende" - Deutschlands dienstälteste Moderatorin hört zum Jubiläum auf.

Von Hans-Jürgen Jakobs

Der 6. Juni 1994 war ein besonderer Tag für den Sender Pro Sieben. Es gab zum ersten Mal, neben all den amerikanischen Spielfilmen und Serien, eine hausgemachte Talkshow zu sehen: schrill, schräg und ein wenig frivol. Da stand nun im weißen deutschen Nachmittagsprogramm die dunkelhäutige Arabella Kiesbauer, redete die Stunde zwischen 14 und 15 Uhr weg und ließ ihre jugendlichen Gäste über Sex und Beziehungen plaudern. "Fremdgehen - Lust oder Laster?" hieß das Premierenthema.

(Foto: Foto: ddp)

Der 4. Juni 2004 wird wieder ein besonderer Tag für Pro Sieben. Dann steht Arabella Kiesbauer aus Wien für ihre Sendung Arabella zum letzten Mal im Studio - 2500 Sendungen und zehn Jahre später.

Ein Servus zum Jubiläum: Es war seit 1994 im Unterföhringer TV-Studio vor den Toren Münchens viel von Lust und Laster zu erfahren, doch die Rekordmarktanteile von rund 23 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen erreicht die Talkshow schon lange nicht mehr.

Heute liegt Arabella bei rund 14 Prozent und hatte zwischenzeitlich sogar nur 11 Prozent aufzuweisen. "Die Ära der Talkshow am Nachmittag geht zu Ende", sagt Arabella Kiesbauer. "Es sind alle Tabus gebrochen, alle Themen besprochen."

Ihre RTL-Rivalen vom Anfang, Hans Meiser und Ilona Christen, haben längst das Mikrofon weggelegt. Nur im Ersten moderiert sich Pastor Fliege der Ewigkeit entgegen.

Arabella hat bis zum vergangenen Wochenende geglaubt, dass es irgendwie attraktiv sein könnte, sich mit Alltagsmenschen vor laufender Kamera über deren Probleme zu unterhalten und dabei auf spontane Eruptionen zu warten. Dass ein solches journalistisches Format Wahrheiten aufzeigt, was Arabella Kiesbauer, 35, stets als "Demokratisierung des Fernsehens" begriffen hat, wie sie sagt.

Doch den deutschen TV-Zuschauern reicht es tagsüber nicht mehr, auf wahre Geschichten zu warten, die vielleicht, vielleicht ein Talkshowgast liefert - sie wollen lieber garantiert schöne, aufregende Geschichten. Es reicht, dass sie wahr sein könnten. Hauptsache: gut inszeniert.

Mit diesem Motto sind Gerichtsshows in die Domäne der Talks eingebrochen: gespielte Verhandlungen mit echten Richtern und unechten Fällen, in denen Laienschauspieler streng nach Dialog dilettieren.

Barbara Salesch und Alexander Hold haben in ihren schwarzen schönen Roben den Galionsfiguren des realen Talks das Publikum gestohlen.

Arabella Kiesbauer und ihr Sender haben seit zwei Jahren an diesem Problem herumgedoktert. Pro Sieben schlug vor, Schauspieler einzusetzen und sie peppige Dialoge vortragen zu lassen.

Die Moderatorin lehnte ab. Und so wurde aus ihrer früheren Ein-Stunden-Talkshow heimlich eine 30-Minuten-Sendung.

Die anderen 30 Minuten probierte sich Arabella Kiesbauer mit realer Fiction aus, mit Formaten, in denen die Dialoge vorgeschrieben wurden und Dinge zur Sprache kommen, die so passiert sein könnten.

Mit dieser neuen Wirklichkeit hat die Österreicherin zu ihrer eigenen Enttäuschung nun mehr Erfolg: Arabella - Das Geständnis, so hieß der letzte Versuch, schaffte rund 18 Prozent Marktanteil. "Wir haben alles probiert, aber man kann an solchen Entwicklungen nicht vorbeigehen", sagt Arabella Kiesbauer. Sie hat sich selbst besiegt.

Eine von ihr in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass Zuschauer echte Gäste zwar schätzen, sie sich andererseits aber an Darstellern nicht stören. So wird im Herbst also Arabella - Das Geständnis eine Stunde lang laufen.

Ein Geständiger, der nur im Schattenriss zu erkennen ist, sagt hinter einer Wand seine Verfehlungen auf, und derjenige, der zu verzeihen hat, sitzt neben Arabella auf der Couch.

Manchmal haben sich Delinquent und Opfer wieder lieb, manchmal sieht das Drehbuch Dissens vor. Das Konzept könnte auf fiktive Geständnissituationen realer Prominenter ausgeweitet werden. Dann würde etwa ein Boris-Becker-Darsteller nachträglich Amouren in der Besenkammer beichten oder Max Mutzke sagen, dass er heimlich Heintje singt.

Die Leute wollen sehen, was sie glauben. Was sie für Realität halten. In Dokudramen wird nachgespielt, wie Willy Brandts Sturz war oder wie Hitlers Attentäter konspirierten. In Dokusoaps schlagen Heimwerker zu gedachten Gags Nägel ein, oder es werden Frauen zwischen Familien getauscht. Immer ist das Konzept der nachgeformten Realität besser als die einfache Realität.

Die Alltagsmenschen sind im Container von Big Brother gelandet, wo sie über Zucker im Kaffee oder Bauchröllchen spontan reden. Arabella wollte durch das Gespräch "verführen", sagt sie, aber der beste Verführer im Fernsehen ist der Scriptschreiber.

Neulich hat die ausgebildete Theaterwissenschaftlerin Kiesbauer in den Münchner Kammerspielen Othello gesehen. Auf der Bühne brabbelte Jago anzügliche Four-Letter-Words, die man beim echten Shakespeare vergeblich sucht. Viele Gäste gingen, Arabella blieb. Sie lernte wieder etwas über Scheinwelten.

© SZ vom 21.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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