Fernschach-Weltmeister:Im Spiel ergraut

Warum zehn Züge in 60 Tagen Stress bedeuten: Andreas Strangmüller aus Landshut ist Weltmeister im Fernschach - die Turniere dauern mitunter Jahre.

Hans Kratzer

Rasante Sportarten heben sich dadurch hervor, dass ein Wettkampf oft nur zehn Sekunden dauert (100-Meter-Lauf). Auch jenen Disziplinen, die sich über 90 Minuten (Fußball) oder gar vier Stunden (Radfahren) erstrecken, wird eifriges Interesse entgegengebracht. Von einer solchen Dynamik und Anteilnahme können Denksportler wie Andreas Strangmüller vom Schachclub Landshut nur träumen.

Wenn Strangmüller einen Wettkampf beendet hat, ist er nicht nur wegen der Anstrengung sichtlich gealtert. Denn schon eine harmlose Partie Fernschach kann sich über Wochen und Monate erstrecken. Und wer Weltmeister werden will, der muss im Endturnier sogar einige Jahre durchhalten. Strangmüller hat dieses Kunststück fertiggebracht.

Im Januar 2000 ist er in das Qualifikationsturnier eingestiegen, sieben Jahre später hat er das Finale als Weltmeister beendet. "Jetzt bin ich erst einmal froh, dass ich ein wenig Ruhe habe", sagt der Champion.

Ob er seinen Titel verteidigen wird, weiß er noch nicht. Denn das nächste Turnier beginnt bereits im Mai. Zwar bliebe ihm als Titelverteidiger die Qualifikation erspart, aber er wäre dennoch wieder auf Jahre hinaus eingespannt. Dabei ist bei dem 37-jährigen Angestellten der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung in den vergangenen Jahren auf dem weiten Feld des Privatlebens vieles unerledigt liegen geblieben.

Die erste Fernpartie gab es schon 1804

Denn Fernschachturniere sind permanent Zeitfresser. "Mehrere Stunden pro Tag muss ich auf die Partien verwenden", sagt Strangmüller. Schließlich laufen aus Zeitgründen immer mehrere Spiele parallel. Das erfordert Disziplin, man muss ja die limitierten Bedenkzeiten einhalten - auch wenn die Spielregeln 45 Tage Jahresurlaub hergeben.

Obwohl es wenig populär ist, so hat das Fernschachspiel doch eine lange Tradition. Schon 1804 fand die erste bekannte Fernpartie statt, und zwar zwischen zwei Offizieren in Den Haag und Breda. Diese mussten ihre Züge noch per Brief austauschen. Aber der Fortschritt hat auch vor dem Fernschach nicht halt gemacht. Strangmüller spielt in der modernen Liga, in der die Züge per Email weitergegeben werden.

Natürlich pflegt er auch das normale Brettschach, aber "für die Bundesliga reicht's bei mir nicht", gibt er freimütig zu. Bei seinen Kollegen im Schachclub Landshut ist er wegen einer Schwäche berüchtigt. "Er kommt mit der Bedenkzeit nicht hin." Dieses Problem hat er beim Fernschach nicht. Während er beim Normalschach für 40 bis 50 Züge zwei Stunden Zeit hat, darf er sich beim Fernschach für zehn Züge 30 bis 60 Tage Zeit lassen.

Die lange Bedenkzeit schließt Leichtsinnsfehler, wie sie selbst Großmeistern unterlaufen, weitgehend aus. Ganz im Gegenteil: Die Qualität der Fernpartien steht auf höchstem Niveau. Denn Fernschachspieler dürfen alle Hilfsmittel verwenden, derer sie habhaft werden können.

Sie lassen komplizierte Züge vom Computer durchrechnen und schlagen alle möglichen Varianten in Schachbüchern nach. Aber das reicht nicht, um ein guter Spieler zu werden. "Man muss viele klassische Partien nachspielen, diese sind die Grundlage", sagt Strangmüller. Doch ob so oder so: "Das Schachspiel ist und bleibt unergründlich", sagt der frischgebackene Weltmeister.

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