Fall Würth:Der Kidnapper mit der markanten Stimme

Festnahme im Entführungsfall Würth

In diesem Haus wurde der mutmaßliche Entführer von Spezialkräften der Polizei in Offenbach festgenommen.

(Foto: Arne Dedert/dpa)
  • Am 17. Juni 2015 wurde der Unternehmersohn Markus Würth entführt; einen Tag später fand die Polizei ihn in einem Wald, angekettet an einen Baum.
  • Am Dienstag hat die Polizei in Offenbach einen 48-jährigen Verdächtigen festgenommen, er bestreitet die Tat.
  • Experten haben Sprachaufzeichnungen des Entführers mit denen des Verdächtigen verglichen; sie sind sich sicher, dass er der Gesuchte ist.

Von Susanne Höll, Fulda

Schon die Geschichte der dankenswert glücklich beendeten Entführung des Unternehmersohnes Markus Würth am 17. Juni 2015 war mysteriös. Der damals 50 Jahre alte Mann, der seit seiner Kindheit nach einer misslungenen Impfung geistig behindert ist und im osthessischen Schlitz in einer dörflichen beschützenden Gemeinschaft lebte, wurde dort gekidnappt. Der Entführer verlangte von seiner Familie drei Millionen Euro Lösegeld. Die Polizei war eingeschaltet, der Entführer gab präzise geografische Daten für die Geldübergabe an. Der Transfer scheiterte jedoch. Tags darauf fand die Polizei das Opfer in einem Wald in der Nähe der geplatzten Übergabe, angekettet an einen Baum. Körperlich war er unversehrt.

Dass Fälle entführter Prominenter so enden, sei sehr ungewöhnlich, sagen Ermittler. Nun hat die Polizei nach fast drei Jahren einen Tatverdächtigen gefasst. Und wieder gibt es sehr ungewöhnliche Vorgänge. Die Chronologie der Causa Würth ist ein Sammelsurium eigentümlicher und rätselhafter Ereignisse.

Nach der Entführung ging eine Sonderkommission der hessischen Polizei unzähligen Hinweisen auf den Täter nach. Keiner führte zu einer heißen Spur. Schließlich ließen die Fahnder die Sprachaufnahmen des Entführers analysieren, vom Bundeskriminalamt und Sprachforschern der Universität Marburg. Die kamen zu dem Schluss: Der Mann ist zwischen 40 und 42 Jahre alt, stammt aus dem früheren Jugoslawien, kam um die Jahrtausendwende nach Deutschland und muss in Frankfurt oder Offenbach gelebt haben. Sein Deutsch nämlich hatte diesen typisch regionalen Klang.

Der Mann ist Handwerker-Gehilfe, verheiratet, Vater zweier Kinder

In Öffentlichkeitsfahndungen, darunter auch im TV-Kriminalfallmagazin "Aktenzeichen XY... ungelöst", präsentierten die Beamten die Sprachaufzeichnungen, in der Hoffnung, dass jemand die Stimme erkennt. Abermals viele Hinweise, aber keine heiße Fährte. Bis zum Januar 2018. Da nämlich meldete sich eine Dame aus dem Rhein-Main-Gebiet bei den Behörden und sagte, sie sei sich sicher, dass die Stimme zu jenem Handwerker gehöre, der unlängst bei ihr im Einsatz gewesen sei. Der Mann wurde von der Polizei beschattet und am Dienstag in Offenbach verhaftet. Es ist ein 48 Jahre alter Mann, verheiratet, Vater zweier Kinder. Er stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien, arbeitet in Deutschland als Handwerker-Gehilfe. Die Sprachexperten, denen die Polizei aus der Überwachung neue Sprachproben vorlegte, sind sich nach offiziellen Angaben ganz sicher, dass der mutmaßliche Täter gefasst ist. "Sie zeigten uns die hochgestreckten Daumen", sagte der zuständige Kriminaloberrat Daniel Muth bei der Präsentation des Fahndungserfolgs in Fulda.

Klar ist die Sache aber längst noch nicht. Denn der Verdächtige bestreitet jedwede Tatbeteiligung. Es muss sich ansonsten um einen redseligen Mann handeln. Zehn Stunden wurde er von den Ermittlern befragt. Zu den Vorwürfen schweigt er, spricht aber, so sagt Muth, ansonsten viel und gern und habe etliche Alibis für den Zeitpunkt der Entführung in petto. Er sitzt jetzt in Gießen in Untersuchungshaft.

Ihm wird nicht nur die Entführung, sondern eine weitere Straftat zur Last gelegt. Denn der Mann, der Markus Würth entführte, meldete sich vor einem Jahr abermals bei der Familie Würth. Diesmal nicht am Telefon, sondern per verschlüsselter E-Mails. Er drohte, den Würth-Sohn oder ein anderes Mitglied der Familie zu kidnappen, wenn man ihm nicht 70 Millionen Euro in einer Kryptowährung zukommen lasse. Die Polizei versuchte monatelang, die besonders komplizierte Verschlüsselung der elektronischen Botschaften zu knacken. Sie hatte keinen Erfolg.

Ist einem ungelernten Handwerker ein solches Vorgehen zuzutrauen? Ja, sagt der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Gießen, Thomas Hauburger. Das sei durchaus möglich. Vielleicht hatte der Verdächtige, so er denn tatsächlich der Entführer ist, auch Helfer. Das käme infrage. Aber auch eine Alleintäterschaft des Mannes sei durchaus denkbar, sagt Hauburger. Handfeste Beweise haben die Ermittler gegen den Verdächtigen bislang offenkundig nicht. Sein Handy und sein Computer, die bei der Verhaftung beschlagnahmt wurden, sollen ausgewertet werden. Ob der Mann je in der geschützten Dorfgemeinschaft bei Schlitz war, womöglich als Handwerker, und dort auf Würth aufmerksam wurde, soll nun ebenfalls untersucht werden.

Allerdings war es kein Geheimnis, dass der Sohn des baden-württembergischen Schrauben-Handelsunternehmers Reinhold Würth in der anthroposophisch geprägten Einrichtung in Osthessen lebte. Seine Eltern hatten in der Nähe ein Haus gekauft, kamen immer wieder zu Besuch. Markus Würth hat nach seiner Entführung eine neue Heimat gefunden. Wo er jetzt lebt, will die Familie aus verständlichen Gründen nicht publik machen. Seine Mutter Carmen, sie ist inzwischen 80 Jahre alt, erzählte vor einem knappen Jahr, ihr Sohn sei jetzt auf einem Bauernhof, auf dem Behinderte auch mit Hilfe von Tieren therapiert würden.

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