Fall Van Den Bleeken:Wie Sterbehilfe fast zum Ausweg geworden wäre

Frank Van Den Bleeken

Frank Van Den Bleeken bekommt doch keine Sterbehilfe.

(Foto: dpa)
  • Der Häftling Van Den Bleeken soll doch keine Sterbehilfe bekommen, sondern einen Therapieplatz.
  • Der Sexualstraftäter wollte sterben, weil er unter "unerträglichen psychischen Qualen" litt und ihm bisher die Verlegung in eine Spezialklinik verwehrt blieb.
  • Der Fall zeigt die strukturellen Probleme in Belgiens Haftanstalten auf. Der Zeitung Le Soir zufolge sind derzeit 1150 Häftlinge ohne Behandlung.

Von Katrin Langhans

Seit es Sterbehilfe in Belgien gibt, hat wohl kein Fall ein Land so bewegt, wie der von Frank Van Den Bleeken. Der Häftling bat um Sterbehilfe, weil er keinen Therapieplatz bekommen hatte und unter Wahnvorstellungen litt. Einem Bericht der belgischen Zeitung De Morgen zufolge, sollte sein Wunsch am Sonntag in Erfüllung gehen. Am Dienstag entschieden die behandelnden Ärzte aber, die Vorbereitungen abzubrechen. Das gab der belgische Justizminister Koen Geens in Brüssel bekannt.

So geht eine höchst umstrittene Geschichte weiter, die zeigt, welche Probleme das Land Belgien mit seinen psychisch kranken Inhaftierten hat und wie Sterbehilfe fast zum Ausweg für ein eigentlich strukturelles und soziales Problem geworden wäre. Bei dem Fall Van Den Bleeken ging es nicht nur um einen Häftling, der sterben wollte. Hinter dem Wunsch des etwa 51-Jährigen steckte ein Hilferuf. Einer, der lange unerhört blieb. Der Sexualstraftäter, der in den 80er Jahren mehrere Frauen vergewaltigt und eine 19-Jährige ermordet hatte, stufte sich selbst als Gefahr für die Gesellschaft ein. Er bat mehrmals darum, psychologisch behandelt zu werden.

Der Wunsch in eine niederländische Klinik verlegt zu werden, blieb ihm verwehrt. Sein Anwalt Jos Vander Velpen sagte, ihm seien seine Anträge zum Teil nicht einmal beantwortet worden. Man kann sich die Frustration gut vorstellen, die einer erlebt, der seit 30 Jahren im Gefängnis sitzt und keine Hoffnung auf Besserung seiner "unerträglichen psychischen Qualen" hat. Van Den Bleeken beschloss, sein Leben zu beenden.

Aus Befürwortern der Sterbehilfe wurden Kritiker

"Ich bin ein Mensch. Und was immer ich auch getan habe - ich bleibe ein Mensch. Und deswegen sage ich: Gewährt mir Sterbehilfe!" So formulierte Van Den Bleeken sein Anliegen vor etwa einem Jahr in einem Interview im belgischen Fernsehen. Ende vergangenen Jahres stellte die belgische Justiz dann die nötigen Weichen. Van Den Bleeken hätte der erste belgische Häftling werden können, der Sterbehilfe bekommt.

Es drohte einzutreten, was Kritiker seit Einführung der Sterbehilfe 2002 befürchten: Die "Tötung auf Verlangen" schien zur Lösung zu werden für ein eigentlich soziales und strukturelles Problem. Van Den Bleeken hätte einen Platz in einer Spezialklinik gebraucht. Weil es in Belgien aber zu wenig Behandlungsmöglichkeiten gibt, landete er nach seiner Zwangseinweisung in einer herkömmlichen Zelle.

Der Fall wurde in den Medien heftig diskutiert und ließ in Belgien selbst Befürworter der Sterbehilfe zu Kritikern werden. Der Mediziner Wim Distelmans, der einst selbst Van Den Bleeken betreute, sagte den belgischen Medien, die ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft, weshalb die Sterbehilfe ethisch nicht zu verantworten sei. Auch die belgische Menschenrechtsliga kritisierte den Umgang mit dem Sexualstraftäter: Der Staat würde Häftlinge mit psychischen Problemen stark vernachlässigen.

1150 Häftlinge sitzen ohne Behandlung im Gefängnis

Im Fall Van Den Bleeken haben die Ärzte nun zwar nicht begründet, warum sie die Sterbehilfe nicht ausführen. Wahrscheinlich liegt es aber wohl daran, dass Van Den Bleeken nun doch einen Therapieplatz bekommen soll. Dem Justizministerium zufolge wird er zunächst in eine kürzlich eröffnete psychiatrische Einrichtung im belgischen Gent verlegt. Nach Absprache mit den Niederlanden gäbe es laut Justizminister Geens auch eine "klare Perspektive" in einer Spezialklinik, die auf Langzeitaufenthalte spezialisiert ist.

Jetzt, so scheint es, geht alles doch ganz schnell. Justizminister Geens will binnen sechs Monaten einen Plan zum Umgang mit Langzeithäftingen vorlegen, die an psychischen Problemen leiden. Dabei ist das Problem schon seit Jahren bekannt. Mehrfach hatten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der Europarat die Bedingungen in belgischen Haftanstalten in den vergangenen Jahren gerügt. Der belgischen Zeitung Le Soir zufolge sind derzeit 1150 Häftlinge in belgischen Gefängnissen ohne Behandlung.

Mit dem Fall Van Den Bleeken wird wohl die Diskussion um Sterbehilfe für Häftlinge so schnell nicht erlöschen. Es gibt bereits Nachahmer. Der belgischen Ärztekommission für Sterbehilfe zufolge haben mindestens 15 Langzeithäftlinge ähnliche Anträge auf Sterbehilfe gestellt wie Van Den Bleeken.

Ob ihnen der Wunsch gewährt wird oder nicht, ist offen. Im Gegensatz zu Deutschland ist es in Belgien aber auch möglich, aktive Sterbehilfe aufgrund psychischen Leidens zu beantragen. Seit 2002 ist das erlaubt, seit Februar 2014 sogar für Minderjährige.

Im Schnitt sterben in Belgien pro Tag fünf Menschen mithilfe aktiver Sterbehilfe. Im Jahr 2013 war die Zahl mit 1807 Menschen so hoch wie noch nie. 67 Menschen gaben als Grund neuropsychische Krankheiten an.

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