Fall Maria Bögerl:Kinder erheben schwere Vorwürfe gegen Polizei

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Die Mutter wird entführt und ermordet, der Vater - zu Unrecht verdächtigt - begeht Suizid: Maria und Thomas Bögerl, die Kinder der 2010 getöteten Bankiersfrau Maria Bögerl, haben in den vergangenen zwei Jahren einen Albtraum durchlebt. Jetzt gehen die Geschwister in die Offensive - und klagen ein Behördenversagen an.

In ihre Gesichter hat sich die quälende Ungewissheit der vergangenen Tage eingegraben. Immer wieder ringen Thomas Bögerl und seine beiden Kinder Carina und Christoph während der knapp 80-sekündigen Videosequenz um Fassung. Ihnen ist anzusehen, dass sie nur deshalb die Öffentlicheit suchen, weil sie darin eine, vielleicht die letzte Chance sehen, das Leben von Maria Bögerl zu retten.

Mit diesem Bild suchte die Polizei nach der entführten Bankiersfrau Maria Bögerl. (Foto: dpa)

Knapp zwei Jahre ist es nun her, dass die nächsten Verwandten der entführten und später ermordet aufgefundenen Bankiersfrau aus dem baden-württembergischen Heidenheim in der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY ... ungelöst in einem Einspieler zu sehen waren. Seitdem wurde viel über die Familie Bögerl geschrieben: über eine vermeintliche Verwicklung des Ehemanns - und über den Freitod von Thomas Bögerl im Juli 2011, den mancher Beobachter als Schuldeingeständnis wertete.

Die Familie selbst äußerte sich nicht zu den Spekulationen. Bis jetzt.

In einem Interview mit dem Magazin Stern gehen Carina und Christoph Bögerl nun in die Offensive und werfen ihrerseits den Ermittlungsbehörden schweres Versagen vor. "Das Ausmaß an Pannen hat unser Vertrauen zerstört. Die Instanz, die dazu da ist, dir zu helfen, macht tausend Fehler und versinkt in planlosem Aktionismus", kritisiert Tochter Carina die Arbeit der Polizei im Zusammenhang mit der Entführung und Ermordung ihrer Mutter. "Wir verlangen, dass eine völlig unabhängige Sonderkommission die Suche nach dem Täter übernimmt. Und dass sich ein Untersuchungsausschuss mit den Pannen befasst."

"Völlig überforderte" Ermittlungsbeamten

Maria Bögerl war am Mittag des 12. Mai 2010 aus ihrem Haus in Heidenheim verschwunden. Wenig später ging bei ihrem Mann telefonisch eine Lösegeldforderung über 300.000 Euro ein. Die Übergabe scheiterte jedoch, weil das Geld zu spät am vereinbarten Ort abgelegt wurde. Drei Wochen später wurde dann die Leiche der 54-Jährigen in einem Waldstück gefunden. Bis heute gibt es keinen Hinweis auf den Täter.

Die Kinder der Getöteten beklagen nun, man habe allein ihrem Vater die Beschaffung des Geldes übertragen. "Wir haben den Soko-Chef in einem späteren Gespräch so verstanden: Wenn ein Bankdirektor das nicht könne, wer dann?", sagte Carina Bögerl dem Magazin. Diese Verantwortung habe ihren Vater schwer belastet, er sei "völlig fertig" von der Lösegeldübergabe zurückgekehrt. "Er sagte, er hätte alles allein machen müssen, die Polizei habe nichts getan, um das Geld zu besorgen."

Und die Geschwister berichten von einer weiteren Panne im Zusammenhang mit der Lösegeldübergabe. Am Tag, nachdem die 300.000 Euro platziert wurden, habe ein Polizist zunächst berichtet, das Geld sei nun weg. "Das war für uns das Signal: Jetzt hat er es abgeholt, und unsere Mutter ist bald wieder da", sagte Christoph Bögerl dem Magazin. Wenig später habe derselbe Beamte jedoch kleinlaut eingestanden, das in einem Müllsack verpackte Lösegeld sei versehentlich von der Autobahnmeisterei mitgenommen worden. Auf die Frage, wie die Ermittler gewirkt hätten, antwortet der 25-Jährige: "Im Nachhinein: völlig überfordert, es herrschte Chaos."

Zum Auftritt in der ZDF-Sendung sagte Christoph Bögerl: "Der Auftritt in Aktenzeichen XY ... ungelöst war eine Qual. Man fleht vor sechs Millionen Zuschauern um das Leben seiner Mutter und wird danach dafür verlacht." Die Polizei habe die Familie vorab instruiert und den Text des Appels an die Entführer vorgegeben. Später hätten Ermittler dann jedoch anonym in den Medien das Verhalten der Familie kritisiert.

Die Kinder werfen den Ermittlungsbehörden auch vor, ihren Vater nicht ausreichend vor den (medialen) Verdächtigungen und Anfeindungen in Schutz genommen zu haben. "Wir flehten von Anfang an um Richtigstellung", sagte Carina Bögerl. "Die Behörden erklärten bei diesen Gerüchten aber nur, sie ermittelten in alle Richtungen. Was suggeriert: Es könnte auch wahr sein."

Selbst Gespräche mit dem Pfarrer wurden abgehört

Nach Recherchen des Stern gerieten im Laufe der Ermittlungen neben Thomas Bögerl auch Christoph Bögerl und der Lebensgefährte von Carina Bögerl unter Verdacht. Die Ermittler hätten sie verdächtigt, wenige Tage vor der Tat mit dem Entführer telefoniert zu haben, berichtet das Magazin. Später habe sich jedoch herausgestellt, dass der Verdacht auf falsch gespeicherten Uhrzeiten in der Telefonanlage basierte.

Bei den Ermittlungen seien der Sohn und der Lebensgefährte der Tochter über Monate von der Polizei überwacht und abgehört worden. So seien Gespräche mit Familienmitgliedern, Verwandten und Freunden, aber auch mit einem Pfarrer und einem Anwalt aufgezeichnet worden. "Bei diesem Ausmaß an Willkür zerbricht der Glaube an den Rechtsstaat", sagte Christoph Bögerl.

Mittlerweile sind offenbar alle Verdachtsmomente gegen die Familie ausgeräumt. Die zuständige Staatsanwaltschaft Ellwangen sagte auf Anfrage des Magazins, umfangreiche Ermittlungen hätten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der oder die Täter aus dem Kreis der Familie kämen.

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