Fahndungsaufrufe:Achtung, Gefahrenlage

Fahndungsaufrufe: Ohne Herkunft, ohne Nationalität: Das nach einem Edward Kelly fahndende, australische Plakat von 1878 ist eher langweilig, für Populisten.

Ohne Herkunft, ohne Nationalität: Das nach einem Edward Kelly fahndende, australische Plakat von 1878 ist eher langweilig, für Populisten.

(Foto: Traces Magazine)

Polizeifahndung im digitalen Zeitalter, das ist anders als früher: schneller, lauter, folgenreicher. Und soll man die Herkunft nennen oder nicht? Mancher Beamte ist überfordert, wie sich kürzlich in Viersen zeigte.

Von Martin Zips

Es war am vergangenen Montag, als die Polizei in Viersen digital wurde: "11.06 Uhr - das ist der Moment, in dem die Kreispolizeibehörde Viersen an die Tür der Facebook-Welt klopft. Ab heute sind wir für Sie hier unterwegs." Gute Idee eigentlich, denn auf Facebook erreicht man noch mehr Menschen als auf Twitter. Und gerade als Polizei muss man mit der Zeit gehen. Doch dieser Tag hatte es in sich.

Ein 15-jähriges Mädchen war erstochen aufgefunden worden. "13.49 Uhr", postete das vierköpfige Polizei-Presseteam: "Nach Gewaltdelikt im #Casinogarten in #Viersen fahndet die #Polizei nach dem Täter: 1,70 Meter groß, schwarze Kleidung, dunkle Schuhe, nordafrikanisches Aussehen". Weitere Ermittlungen ergaben später einen "türkischstämmigen" Tatverdächtigen. Der wurde bald wieder freigelassen. Am Dienstag dann stellte sich ein 17 Jahre alter Jugendlicher, der - so postete die Polizei - "aus Bulgarien stammt".

Wolfgang Goertz von der Viersener Polizei versteht jetzt die Welt nicht mehr. "Da brachen Hunderte Kommentare über uns herein", berichtet der Polizeihauptkommissar aus Nordrhein-Westfalen. Die einen hätten kritisiert, dass die Beamten trotz der dünnen Ermittlungslage schon öffentlich über die Herkunft des Täters spekulierten - das schüre doch nur Ressentiments gegenüber Ausländern. Die anderen wiederum ließen ihrer Fremdenfeindlichkeit freien Lauf: Montag, 15.28 Uhr, Facebook-Seite der Bundes-AfD: "Mit jeder neuen Messer-Attacke, mit jedem Mord, jeder Vergewaltigung zeigen uns Merkels Gäste, wer sie sind und worauf wir uns einzustellen haben." Das Übliche halt.

An das Opfer, die 15-jährige Iulia aus Viersen, schien zu diesem Zeitpunkt schon niemand mehr zu denken.

Einige Kommentare seien so hasserfüllt gewesen, dass sie bereits an die Kriminalpolizei weitergeleitet wurden, erzählt Polizist Goertz. "Zur Überprüfung eines möglicherweise vorliegenden strafrechtlichen Verhaltens." Der Beamte bekennt: "Mit so etwas haben wir hier nicht gerechnet. Ich glaube, man hätte uns im Umgang mit der digitalen Welt noch besser schulen sollen."

"Nordafrikanisches Aussehen": Was bringt das für eine Fahndung? Und wie genau sehen die Menschen in Nordafrika eigentlich aus?

"Als Polizist sollte man es sich schon sehr genau überlegen, welche Bilder man mit seinen Meldungen erzeugen möchte", warnt Populismusforscher Walter Ötsch von der Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues. "Man sollte sich fragen: Braucht es solche Beschreibungen? Und wenn ja: Zu welchem Zeitpunkt? Wäre es beispielsweise genauso angebracht zu schreiben, dass der Tatverdächtige männlich, Staatsbediensteter oder Journalist ist? Oder doch nicht?" Walter Ötsch warnt: "Jede Dämonisierung nutzt vor allem den Rechtspopulisten. Das dreht die Eskalationsspirale nur immer weiter."

Zuletzt hatten sich die deutschen Medien intern mit genau dieser Frage befasst. Nach den Vorfällen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln und der Kritik, die Herkunft der mutmaßlichen Täter sei bewusst verschwiegen worden, legte der Deutsche Presserat fest: Wenn ein "begründetes öffentliches Interesse" für die Nennung der Herkunft oder Religion von Verdächtigen oder Tätern bestehe, so sollten diese auch genannt werden dürfen. Das geschieht nun deutlich häufiger. Auch, wenn der Presserat betont: Die Erwähnung dürfe "nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens" führen.

Für die twitternde deutsche Polizei gibt es so einen Kodex nicht. Dabei weiß jeder im digitalen Zeitalter: Ist eine Nachricht erst einmal in der Welt, so lässt sie sich nicht mehr einfangen. "Nordafrikanisches Aussehen", "türkischstämmig", "Bulgare" - im Netz werden solche Informationen vielfach geteilt: Einerseits von denen, die schon immer Angst vorm Schwarzen Mann hatten oder es nicht begreifen, wie es zum Beispiel der mutmaßliche Mörder des Mädchens Susanna nach der Tat in Wiesbaden in den Irak geschafft hat. Andererseits von jenen, die alles, was Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte, schlicht für eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben halten.

Populismusforscher Walter Ötsch: "Je aufgeheizter die Stimmung, desto mehr wird vergessen, dass, erstens, die Welt noch nie sicherer war und sich zweitens gerade unter den Flüchtlingen überproportional viele junge Männer finden." Und: "Wo viele junge Männer unter sich sind, dort werden eben auch häufiger Straftaten gezählt. Aber das ist überall so."

"Natürlich muss die Polizei bei ihrer Fahndung mit sogenannten Erscheinungsbildern arbeiten", erklärt Sven Müller von der Münchner Polizei, die für ihre transparente Öffentlichkeitsarbeit rund um das Blutbad im Olympiaeinkaufszentrum 2016 viel Lob erfahren hat. "Sobald es in Richtung Stigmatisierung einer einzelnen Gruppe geht, ist das jedoch immer der falsche Weg. Da sind wir uns unserer Verantwortung schon sehr bewusst." Durch die digitalen Medien habe der Druck auf die Polizei allerdings zugenommen, "auch durch Pegida und AfD". Letztlich muss in Deutschland jede Polizeidienststelle selbst entscheiden, welche Meldung sie wann digital rausjagt. Das dürfte den ein oder anderen Beamten überfordern - trotz vereinzelt angebotener Schulungen oder den Richtlinien des Innenministeriums.

Die Verantwortung ist riesig: Erst vor wenigen Tagen hatte die Polizei, diesmal in Berlin, über die sozialen Medien für viel Aufregung gesorgt: "Verdacht einer Gefahrenlage", twitterte die Behörde. "Bitte meiden Sie den Bereich!" Gemeint war das Gelände einer Grundschule im Stadtteil Gesundbrunnen. Schon bald spielten sich dort dramatische Szenen ab. Väter und Mütter versuchten, Absperrungen zu durchbrechen und ihre Kinder zu retten. Nun wird gegen einen 17 Jahre alten Jugendlichen ermittelt, der in der Nähe der Schule wohnt und mit seinem offenbar fingierten Notruf den Polizei-Tweet und die damit einhergehende Panik ausgelöst haben könnte.

Beim Herausblasen ihrer Nachrichten sollten gerade staatliche Institutionen "gewaltig aufpassen", warnt auch der Salzburger Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch. "Identität und Außenbedrohung, das sind die großen Themen der Rechtspopulisten." Werde, wie - sicher ohne bösen Willen - zum Beispiel beim Fahndungsaufruf der Polizeidienststelle Viersen Herkunft und Nationalität eines mutmaßlichen Täters besonders betont, so führe das in den digitalen Echokammern möglicherweise "zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft". Und die ist, keine Frage, ziemlich gefährlich.

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