Facebook-Partys:Projekt Langeweile

Sie sind für Jugendliche eine Flucht - und für Polizisten ein Albtraum: Ausufernde Facebook-Partys. Wie schafft man es, "aus Versehen" Milllionen Menschen einzuladen? Können solche Veranstaltungen verboten werden? Und wer haftet für Schäden?

Laura Hertreiter und Katrin Kuntz

Facebook hat inzwischen eine Milliarde Konten weltweit registriert, der durchschnittliche Nutzer des sozialen Netzwerks ist 22 Jahre alt. Er chattet, zeigt Urlaubsfotos, verschickt Einladungen. Nur: Diese Einladungen gehen nicht immer nur an Bekannte. Am Wochenende erst kamen 600 Menschen nach Magdeburg - sie waren einer versehentlich veröffentlichten Einladung gefolgt. Am Ende randalierten sie in der Innenstadt. Das Video, das danach auf der Plattform YouTube auftauchte, trägt den Titel Project X - in Anlehnung an einen Kinofilm, in dem ein leeres Elternhaus zur Partyhölle wird.

Sind Facebook-Partys nur eine Mode oder ein Gesellschaftsphänomen?

Dass sich Menschen in der Masse zusammenfinden, um gemeinsam Grenzen zu überschreiten, ist schon immer ein Gesellschaftsphänomen gewesen. "Das ist bei Woodstock ebenso passiert wie während der arabischen Revolution", sagt Kerstin Heinemann vom Institut für Medienpädagogik (IFF) in München. Wer sich in eine Masse integriere, fühle sich stark. Für Jugendliche gelte das Überschreiten von Grenzen sogar als Entwicklungsaufgabe. Sich dabei strafbar zu machen, stünde allerdings auf einem anderen Blatt. Dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt zufolge kommen eskalierte Partys heute weder häufiger noch in größeren Dimensionen vor als zu Zeiten, in denen per Handzettel und Plakat eingeladen wurde. "Allerdings lassen sich solche Krawallveranstaltungen heute schneller organisieren." Treffen, bei denen auch mal über die Stränge geschlagen wird, seien Teil der Jugendkultur - egal ob mit oder ohne Online-Netzwerke.

Warum folgen Massen von Jugendlichen den Party-Einladungen auf Facebook?

Jede Facebook-Einladung ist ein Versprechen. "Wer eine Einladung bekommt, kann sicher sein, dass viele andere sie auch bekommen haben", sagt der Sozialpsychologe Egon Stephan von der Universität Köln. "Die Erwartungshaltung, dass man dabei sein wird, wenn etwas Besonderes passiert, ist hoch." Hinzu komme die Langeweile, die viele junge Menschen im Alltag empfänden. "Der Wunsch, aus dieser Realität auszubrechen, ist stark", sagt Stephan. Facebook-Partys würden auch genutzt, um Frust abzulassen. Neben Abenteuerlust und dem Wunsch sich zu inszenieren macht die Medienpädagogin Kerstin Heinemann vom Institut für Medienpädagogik aus: "Es gibt auch Jugendliche, die diese Partys aus Häme besuchen", sagt sie. Um Überlegenheit denen gegenüber zu demonstrieren, die Facebook "offenbar nicht richtig bedienen könnten".

Kann man wirklich aus Versehen Millionen Menschen einladen?

Wer auf Facebook eine Veranstaltung erstellt, muss in der Regel auswählen, ob diese öffentlich sein soll. Dass am Ende eine Geburtstagsfeier zur Krawallparty wird, passiert trotzdem immer wieder aus Versehen: "Da deklariert ein junger Mensch mit wenig Medienkompetenz eine Veranstaltung unabsichtlich als öffentlich und eine Horde Menschen rückt an", erklärt Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft. Immer häufiger kann von Versehen jedoch keine Rede sein: Veranstalter laden gezielt zu Massenpartys ein - Randale sei einkalkuliert, sagt Wendt. Diese Veranstaltungen heißen meist "Projekt X-Partys", in Anlehnung an den gleichnamigen Film, der im Sommer im Kino lief. In der US-Komödie endet die Sturmfrei-Party von Teenagern mit Drogen und Gewalt.

Randalierer haften für Ihre Schäden

Seit wann gibt es Facebook-Partys?

Vor rund zwei Jahren gab es die ersten Facebook-Partys in Deutschland, bis dahin waren die Massenfeiern vor allem in Frankreich ein Trend. Dort starben sogar Partygäste. Die bekannteste Facebook-Party in Deutschland hat die 16-jährige Thessa veranstaltet. Die Einladung der Hamburger Schülerin ging im Juni 2011 an 800 Millionen Leute, am Ende sagten 10.000 Menschen zu, 1600 kamen, dazu 100 Polizisten.

Können die Partys verboten werden?

Wenn öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet sind, können sie untersagt werden. Das regeln die Polizeigesetze der Länder. "So gibt es leider keine bundeseinheitlichen Regeln, kein einheitliches Vorgehen", sagt Polizeigewerkschafts-Vorstand Wendt. Ob von der angekündigten Party eine Gefahr ausgeht, müsse die Polizei vor Ort abschätzen. Ein Verbot wäre etwa möglich, wenn schon die Einladung zum Randalieren animieren würde oder wenn der Veranstaltungsort erkennbar zu klein ist für die Zahl der auf Facebook angemeldeten Teilnehmer.

Wie reagiert die Polizei?

Das kommt auf das Bundesland an. Denn: Eine länderübergreifende Zusammenarbeit gibt es nicht, wie die Deutsche Polizeigewerkschaft kritisiert. Nicht überall würden öffentliche Facebook-Einladungen mit genug Personal und strategischen Bemühungen überprüft, sodass potenzielle Massenaufläufe rechtzeitig verhindert werden. In Bayern werden seit zwei Jahren sogenannte Cyber-Cops ausgebildet - Computerspezialisten, die in Fällen von Internetkriminalität ermitteln, aber auch Facebook-Party-Desaster verhindern sollen. In Niedersachsen gibt es laut Polizeigewerkschaft "Facebook-Fahnder", die das Netzwerk im Blick haben.

Wer haftet, wenn Schaden entsteht?

Zunächst einmal seien die Randalierer in der Pflicht. Wer eine Sache zerstöre, müsse zivilrechtlich Schadensersatz für Reparatur oder Neuanschaffung bezahlen, so der Vorstand der Polizeigewerkschaft. Strafrechtlich drohe eine Geldstrafe wegen Sachbeschädigung. Wer versehentlich Massen zu sich ins Wohnzimmer einlädt, haftet nicht automatisch für alle Folgen. Wer allerdings bewusst zu einer Facebook-Party einlädt, ohne für die Sicherheit zu sorgen, muss für die Schäden haften. Dasselbe gilt für alle, die schon in der Einladung zu Krawallen aufrufen. Ein 20-jähriger Azubi, der in diesem Sommer mit 12.000 Menschen im Konstanzer Freibad feiern wollte, hat von der Polizei und der Stadt Konstanz eine Rechnung erhalten. Höhe: 227.052 Euro.

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