La Chascona ist ein idyllisches Anwesen in Santiagos Ausgehviertel Bellavista. Dort lebte der Dichter Pablo Neruda inmitten von Fundstücken seiner Reisen, portugiesischen Kelchen, englischem Porzellan, afrikanischen Figuren, Gemälden und marxistischer Literatur.
In La Chascona wurde er nach seinem Tode am 23. September 1973 aufgebahrt, eine Menschenmenge geleitete ihn zu seinem Grab auf dem Friedhof in Santiago de Chile, der Sarg wurde von Soldaten abgeschirmt. Es war knapp zwei Wochen, nachdem das Militär den gewählten Präsidenten Salvador Allende gestürzt hatte. Nerudas Begräbnis wurde zu einer ersten Demonstration gegen das Regime.
Am Montag nun ist Nerudas Leiche 40 Jahre nach seinem Tod exhumiert worden. Laut offizieller Version starb der Dichter in einem Krankenhaus an Prostatakrebs - doch es gibt eine andere Theorie. Ein internationales Expertenteam soll feststellen, ob der Nobelpreisträger von Schergen des Diktators Augusto Pinochet ermordet wurde. Dies behauptet sein Chauffeur und Sekretär Manuel Araya seit vielen Jahren. Neruda sei nicht todkrank gewesen, als er in die Klinik kam. Araya will von Krankenhausmitarbeitern erfahren haben, dass man dem Dichter eine tödliche Spritze verabreicht habe.
Nerudas Witwe, seine dritte Ehefrau Matilde Urrutia, hat diese Theorie stets zurückgewiesen. Sie verbrachte seine letzten Tage mit ihm. An diese Version hält sich auch die von ihr gegründete Pablo-Neruda-Stiftung, die seinen Nachlass pflegt.
Pablo Neruda wurde auf der Isla Negra beerdigt, seinem Lieblingsplatz am Meer. Dort haben Forensiker nun ein Spezialzelt aufgestellt, um neugierige Blicke abzuhalten.
(Foto: dpa)"Neruda war ein Angriffsziel für Pinochet"
Trotzdem hat ein Richter die Exhumierung angeordnet, nachdem die Kommunistische Partei Chiles, der Neruda angehörte, Klage wegen Vergiftung eingereicht hatte. "Neruda war zweifelsohne ein Angriffsziel für Pinochet", sagte der Rechtsanwalt Eduardo Contreras, der als Kläger auftritt, der Nachrichtenagentur dpa. Der Dichter war zusammen mit dem später ermordeten Sänger Víctor Jara nicht nur der kulturelle Botschafter der Regierung Allendes, er vertrat sein Land auch diplomatisch in Paris.
Contreras glaubt, das Militär habe gefürchtet, Neruda, der sich nach Mexiko absetzen wollte, könnte einen demokratischen Widerstand anführen. Während der Diktatur (1973 bis 1990) waren Nerudas Werke in Chile verboten. Eine Reihe von Hinweisen lasse annehmen, dass sein Tod vorsätzlich verursacht worden sei, sagte der Jurist. Die Patientenakte sei verschwunden, und die Liste der Angestellten des Krankenhauses sei nicht vollständig.
Derzeit bemüht sich Chile so stark wie nie um die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen. Zahlreiche Schergen wurden abgeurteilt, nur Pinochet selbst starb, bevor man ihm den Prozess machen konnte.
1992, nach der Rückkehr Chiles zur Demokratie, wurde Nerudas Leichnam auf die Isla Negra verlegt, an seinen Lieblingsplatz am Meer, wo er neben seiner geliebten Matilde beerdigt wurde. Dort haben Forensiker nun ein Spezialzelt aufgestellt, um neugierige Blicke abzuhalten. Ganz weit hergeholt ist ihr Verdacht nicht: Bei dem ehemaligen christdemokratischen Präsidenten Eduardo Frei wurde kürzlich festgestellt, dass er während der Pinochet-Diktatur 1982 im Krankenhaus vergiftet worden war.