Ex-Posträuber Ronnie Biggs:Tod eines Gentleman-Gangsters

Das Verbrechen, an dem er beteiligt war, ist in die Geschichte eingegangen und sein Name auf ewig mit dem "großen Postraub" verbunden. Ronnie Biggs war ein bisschen gerissener als die Scotland-Yard-Fahnder, die ihn verfolgten. Jetzt ist er im Alter von 84 Jahren gestorben.

Von Oliver Klasen

Bis zu seinem 34. Geburtstag lebte Ronald Arthur Biggs, ein Zimmermann aus der südenglischen Grafschaft Surrey, das Leben eines Kleinkriminellen. Gemeinsam mit ein paar anderen halbseidenen Gestalten, die sich Fulham Boys nannten, beging er einige Diebstähle und Einbrüche, bei denen nie viel heraussprang.

Doch der Coup, der Biggs und 14 anderen Gaunern am 8. August 1963 gelang, hatte nichts mehr mit Kleinkriminalität zu tun. Er ging als "The Great Train Robbery" in die Geschichte ein - der bestimmte Artikel ist wegen der Einmaligkeit des Ereignisses wichtig in diesem Fall - und ist der Grund dafür, dass man sich an Biggs, der an diesem Mittwoch im Alter von 84 Jahren gestorben ist, noch heute erinnert.

Wie groß die Beute war, die die Männer damals machten, als sie den Postzug von Glasgow nach London überfielen, lässt sich schon daran ablesen, dass sie mehrere Tage brauchten, um in dem abgelegenen Bauernhof, in dem sie sich versteckt hatten, das Geld zu zählen. 120 Säcke hatten sie erbeutet, zusammen fast zweieinhalb Tonnen schwer. Sie enthielten Bargeld im Wert von 2,6 Millionen Pfund, nach heutigem Wert grob gerechnet 50 Millionen Euro.

Das Leben von Ronald Biggs, der später nur Ronnie genannt wurde und nach eigenen Angaben einen Anteil von ungefähr 150.000 Pfund bekommen hatte, war nach jenem 8. August nicht mehr dasselbe. Er wurde rasch gefasst, nur ein paar Monate nach der Tat, doch schon 1965 gelang es ihm, aus dem Gefängnis zu entkommen.

Kind mit einer Striptease-Tänzerin

Biggs flüchtete, erst nach Paris, wo er sich von einem Schönheitschirurgen das Gesicht umoperieren ließ. Dann lebte er mehrere Jahre in Australien und zog, als seine wahre Identität dort entdeckt wurde, Anfang der siebziger Jahre nach Rio de Janeiro, wobei er seine Frau und seine drei Kinder zurücklassen musste. In Brasilien spürte ihn 1974 ein Scotland-Yard-Fahnder mit dem Namen Jack Slipper auf und wollte ihn festnehmen, doch er musste unverrichteter Dinge wieder nach London zurückkehren. Die brasilianische Regierung weigerte sich, Biggs auszuliefern, weil er mit der Striptease-Tänzerin Raimunda de Castro ein Kind gezeugt hatte.

Auch wenn Biggs auf seiner Flucht ein bisschen gerissener war als die Fahnder aus England, richtiges Glück fand er in Brasilien trotzdem nicht. Weil er keine reguläre Arbeitserlaubnis hatte, ging ihm rasch das Geld aus. Er spielte für wenig Honorar in ein paar trashigen Werbespots und Filmchen mit, ließ Tassen mit seinem Konferfei drucken, bot Touristen für 60 US-Dollar ein Treffen an, kurzum: Er schlug ein mickriges Kapital daraus, dass er sich als der Posträuber präsentierte, der er war.

Bald kam heraus, das Biggs völlig pleite war. Außerdem wurde er krank und erlitt mehrere Schlaganfälle. Nach 35 Jahren auf der Flucht zog Biggs ein bitteres Resumee: "I lost my family. I wasted my life" - "Ich habe meine Familie verloren und mein Leben verschwendet." Nun war klar, dass es mit dem Leben an Zuckerhut und Copacabana so nicht weitergehen konnte. Biggs wollte "wieder in einem englischen Pub ein Bier trinken" und kehrte 2001 in sein Heimatland zurück, an Bord eines Privatjets, den die Boulevardzeitung The Sun gechartert hatte.

Der Letzte seiner Art

Von 30 Jahren Gefängnis, zu denen er einst verurteilt wurde, musste er theoretisch noch 28 absitzen. Doch wegen seines Gesundheitszustandes wurde er 2009 vorzeitig entlassen. Am Ende ging es ihm derart schlecht, dass er weder laufen, noch sprechen oder normal essen konnte.

Was bleibt nun von Ronnie Biggs? Auch wenn er damals gar nicht der Anführer der Gangsterbande war (der hieß Bruce Reynolds), wird Biggs' Name wegen seiner spektakulären Flucht auf ewig verbunden bleiben mit dem Postraub. Wahrscheinlich war Biggs einer der letzten seiner Art, denn in Zeiten technisch perfekt gesicherter Geldtransporter erscheint ein solches Verbrechen heutzutage fast unmöglich. "The Great Train Robbery" dürfte den bestimmten Artikel also höchstwahrscheinlich behalten.

Die Gentleman bitten zur Kasse

Biggs und die anderen Posträuber stehen außerdem für die sprichwörtlichen "guten Gangster", die zwar kriminell sind, aber keine übertriebene Gewalt einsetzen und keine Schusswaffen benutzen. Weil die Posträuber die Polizei zunächst fintenreich auf Distanz halten konnten, gab es schon damals in der englischen Bevölkerung heimliche Sympathien für sie. Dazu passt, dass Biggs seine Taten nie bereut hat. Im Gegenteil: Er sei stolz, Teil der Bande gewesen zu sein, sagte er noch in diesem Jahr in einem Interview.

Auch in die Popkultur ist Biggs eingegangen. Sein Leben wurde mehrmals verfilmt und er nahm mehrere Songs auf: Zuerst mit der britischen Punk-Band The Sex Pistols, die das vereinbarte Honorar aber angeblich nie zahlte. Dann mit den Toten Hosen, deren Sänger Campino, selbst Halb-Engländer, Biggs mehrmals in Rio de Janiero besucht hat und zu seinen Freunden zählte.

"Die Gentlemen bitten zur Kasse" hieß ein deutscher Film über den großen Raub, übrigens mit Horst Tappert in der Hauptrolle. Obwohl sich die Ironie nicht mehr erschließt, wird die Floskel "zur Kasse bitten" auch heute noch in allerlei Zeitungstexten verwendet - vor allem deshalb, weil der Film extrem erfolgreich war. Die Formulierung wird wohl erhalten bleiben. Der bekannteste dieser Gentlemen ist jetzt tot.

Linktipp: Im Guardian ist nicht nur ein ausführlicher Nachruf auf Ronnie Biggs zu lesen, sondern auch zehn bisher unbekannte Fakten, die unter anderem zeigen, welche Verbindung Formel-1-Boss Bernie Ecclestone zu den Räubern hatte. Außerdem gewährt die britische Zeitung einen Blick ins Archiv und dokumentiert die Berichterstattung von damals.

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