Ex-Bundespräsident:Leben nach dem Sturz

Christian Wulff diskutiert über 'Leben in der Öffentlichkeit'

Poetry-Slammerin Julia Engelmann und Christian Wulff.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Christian Wulff tastet sich zurück in die Öffentlichkeit und findet: Es sollte deutlich mehr gelobt werden.

Von Thomas Hahn, Goslar

Christian Wulff freute sich so sehr nach seiner Ankunft im Weltkulturerbe Rammelsberg, dass er fast das Protokoll in Gefahr gebracht hätte. Der frühere Bundespräsident kennt das stillgelegte Bergwerk von Goslar, hat er doch die meiste Zeit seiner politischen Karriere in Niedersachsen zugebracht. Wulff wollte seinen Begleitern deshalb eine Führung über die Anlage gewähren. Das Abendessen vor der Podiumsdiskussion "Was inspiriert Menschen zu einem Leben in der Öffentlichkeit?" fand dann trotzdem statt. Und als Wulff später auf der Bühne saß, durfte der Moderator "Herr Wulff" zu ihm sagen statt "Herr Bundespräsident", wie es formal richtig gewesen wäre. Es war, als würde Wulff den Goslarern das Du anbieten.

Christian Wulff, 56, findet gerade sein Leben nach dem Sturz. Er ist der Bundespräsident, der 2012 nach zwei Jahren wegen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zurücktrat. Und auch wenn von den Vorwürfen aus seiner Zeit als niedersächsischer CDU-Ministerpräsident nicht viel übrig blieb und der Prozess gegen ihn wegen Vorteilsannahme 2014 mit Freispruch endete - Wulff kriegt die Affäre nicht raus aus den Geschichtsbüchern. Er kann nur nachsichtig sein und sich irgendwie wieder aufrappeln. Solche Veranstaltungen wie die am Mittwoch in Goslar sind für Wulff deshalb wichtig: kleiner Rahmen, gewogenes Publikum. Da kann sich Wulff zurück in die Öffentlichkeit tasten.

Er fand einen guten Ton, in dem er Zweifel und Optimismus zu einem Plädoyer für die Demokratie zusammenband. Die politische Streitkultur leidet in Zeiten von Pegida und AfD an einer fast manischen Kritikwut in sozialen und anderen Medien. Das Geschrei nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme schreckt Menschen davon ab, politische Ämter zu bekleiden. Darüber möchte Wulff reden, um wieder mehr Ausgewogenheit in der Gesellschaft zu schaffen.

Mit ihm saß Julia Engelmann auf dem Podium, die Bremer Sprachkünstlerin, die 2013 mit einem gedichteten Appell gegen das Zaudern über soziale Medien ein Millionen-Publikum erreichte. Eine 23-jährige Poetry-Slammerin und ein Ex-Bundespräsident - das passte nicht gut zusammen. Immerhin konnte Wulff fragen: Ist die Jugend verdrossen? Engelmann sagte: "Was meine Freunde und mich angeht, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen."

Irgendwann ist Christian Wulff auch bei seinen Erfahrungen mit Paparazzi und ehrabschneidender Berichterstattung gewesen, die er offensichtlich gerade Fall für Fall mit seinen Anwälten aufarbeitet. Verheilt sind die Verwundungen noch nicht. "Es war eine Hexenjagd", sagte er.

Christian Wulff zeigte das Weltbild eines modernen Konservativen. Den Stolz auf seine Nation will er pflegen im Rahmen eines starken Staatenbundes, weil Großthemen wie Flüchtlingssituation und Klimawandel nur im vereinten Europa zu stemmen seien. Er lobte die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er lobte Vize-Kanzler Sigmar Gabriel von der SPD. Wulff ist insgesamt der Meinung, es müsse mehr gelobt werden.

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