Evangelische Kirche: Margot Käßmann:"Gehe zurück auf Los"

Margot Käßmann ist hoch gestiegen und tief gefallen. Hat Arbeitsplatz, Wohnung und irgendwie auch ihre Familie verloren. Nun spricht Deutschlands bekannteste Protestantin über ihren Neubeginn.

Lars Langenau

52 Jahre alt, keinen Job, keine Wohnung, Auszug der jüngsten und letzten von vier Töchtern, geschieden, überstandener Brustkrebs.

Käßmann will 'irgendwo neu anfangen'

Margot Käßmann: Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) will 'irgendwo neu anfangen'. Dem Spiegel sagte die ehemalige Landesbischöfin: "Ich habe keinen Arbeitsplatz, ich habe keine Wohnung, jetzt ist auch noch meine jüngste Tochter ausgezogen."

(Foto: dpa)

Man könnte meinen, das ist ein gebrochenes Leben, das Margot Käßmann da in einem Gespräch in der aktuellen Ausgabe des Spiegel dokumentiert. Ist es auch. Aber was bringt der Blick zurück? Trauer. Und der Beginn eines Trauerprozesses. "Das Erste ist eine Schocksituation, die zu bewältigen ist. Danach fangen die Trauer und das Abschiednehmen an." Dann die Annahme und langsam auch der Mut für einen Neubeginn. In einem Akt kämpferischer Resignation platzt es förmlich aus ihr heraus: "ich werde ohne Familie irgendwo neu anfangen."

Margot Käßmann, ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Deutschlands bekannteste Protestantin, findet sich plötzlich in einem Monopolyspiel wieder: "Gehe zurück auf Los!" Doch trotz aller Brüche: gebrochen ist die 52-Jährige nicht. In dem weitgehend sensibel geführten Gespräch zeigt sie ihre Größe. Eben trotz und anhand ihrer Fehler, Verfehlungen, Misserfolge. Und deshalb ist sie so beliebt in der Bevölkerung. Sie versteht zu vermitteln, dass sie eine von uns ist - ein ganz normaler Mensch mit Fehlern, Brüchen und der Fähigkeit wiederaufzustehen.

Sie ist tief gefallen: Von der ersten Frau in einem so hohen kirchlichen Amt, das sie unprätentiös ausfüllte und ihr die Sympathien nicht nur ihres Kirchenvolkes hat zufliegen lassen bis zu ihren überaus couragierten Rücktritt von allen Ämtern. Sie bleibt geradlinig: "Ich lasse mich nicht behandeln, dann handele ich lieber selbst."

Und, na gut, sie ist auf einer Weise auch privilegiert: "Ich falle auch ohne Amt nicht auf Hartz IV zurück. Ich habe viele Privilegien in meinem Leben, kann mich jetzt in Ruhe umschauen, wie es weitergeht. Zwischendurch dachte ich schon, eigentlich muss ich ja ganz still sein. Vielleicht macht es auch irgendeinen Sinn in meinem Leben."

Sie wisse, dass sie mit der Alkoholfahrt im Februar dieses Jahres einen "Riesenfehler gemacht" habe, und "für Fehler muss der Mensch Verantwortung übernehmen". Doch sie habe ja daraus auch umgehend die Konsequenzen gezogen und ihre Entscheidung zum Rücktritt "am Ende allein gefällt". Sie habe nicht "jammern", nicht "heulen" wollen, sondern habe eine Entscheidung getroffen, die sie mitteilen wollte "und nichts anderes".Christentum ist für Käßmann vorrangig eine Frage der Verantwortung: "Mit Brüchen verantwortlich umzugehen ist viel wichtiger, als über richtiges oder falsches Leben zu richten."

Eine konkrete Aufgabe für ihre Zukunft hat sie nach eigenen Angaben noch nicht. Sie wolle "keinen Sonderposten zur Versorgung Käßmanns, keinen Dissidentenstatus". Ab August werde sie für vier Monate als Gastdozentin an der Emory University von Atlanta in den USA tätig sein. Auf Dauer wolle sie aber nicht im Ausland bleiben. Weiter sagt Käßmann, sie habe nach ihrem Rücktritt 2630 Briefe und mehr als 12.000 E-Mails erhalten, die meisten seien "liebevoll" gewesen. Wie folgender: "Die rote Ampel war vielleicht ein Zeichen des lieben Gottes, das Sie mal langsamer treten sollen."

Ihr Rücktritt sei also die "richtige Konsequenz" nach ihrer Alkoholfahrt gewesen, betont Käßmann. "Es wäre immer ein Vorbehalt geblieben." Zugleich wertete sie die Berichterstattung über den Vorfall als "unverhältnismäßig" im Verhältnis zu anderem, was in der Zeit in der Welt passiert sei. Immerhin gab es zu dieser Zeit auch das apokalyptische Erdbeben auf Haiti.

Auch zu einer weiteren Schelte ist sie wieder fähig: Trotz Datenschutzes habe sie ihre "Promillezahl zuerst aus der Zeitung erfahren". "Für eine Fahrlässigkeit hat die ganze Angelegenheit eine große Dimension bekommen."

Wie sagte sie bei ihrem Abschied - und wiederholte das jetzt noch einmal in dem lesenswerten Gespräch? "Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand."

Margot Käßmann ist ein Comeback zu wünschen. Vielleicht nicht für sich, denn die Aufgaben und die permanente öffentliche Aufmerksamkeit mögen einen zerfressen, doch für die Wiederbelebung einer politischen Kirche, die die Einmischung sucht. Sei es den Krieg in Afghanistan auch als Krieg zu benennen und daraus Konsequenzen zu ziehen, oder das "Auseinanderdriften von Arm und Reich" in der Gesellschaft nicht einfach achselzuckend hinzunehmen.

Und als glaubwürdige Vertreterin eines Gottesbildes, das nicht die Reichen, Schönen, Erfolgreichen goutiert, sondern eine Zuneigung für die hat, "bei denen nicht alles glänzt, zu Sündern, mit Schuld beladenen". Was sagt sie weiter, als sie über den Neuanfang spricht: "Ich schätze die Freiheit, die ich jetzt habe." Und offenbart dabei abermals ihre Brüche, in dem sie hinzufügt, "obwohl ich jetzt gar nicht weiß, wohin diese Freiheit führt".

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