Essen und Gelsenkirchen:Vergewaltigungen, geplant im Handy-Chat

  • Eine Gruppe von jungen Männern soll in Essen mehrfach minderjährige Mädchen vergewaltigt haben.
  • Die Täter lockten die Opfer, meist Bekannte von Bekannten, unter einem Vorwand in ihr Auto und fuhren an einen abgelegenen Ort.
  • Vier der mutmaßlichen Täter sind bereits gefasst, ein 18-Jähriger ist noch auf der Flucht.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf, und Oliver Klasen

Bis kurz vor Schluss, so beschreibt es eine Polizeisprecherin am Donnerstag, scheinen die Opfer nichts geahnt zu haben von der Gewalttat, die passieren wird: Vier junge Männer fuhren mit einem 16-jährigen Mädchen im Auto durch Essen, nahmen ihr irgendwann mit einem Vorwand ihr Handy ab. Dann stellten sie das Auto im Dunkeln ab, einmal auf einem Feld, einmal in einem Wald. Jeweils irgendwo entlegen im wohlhabenden Essener Süden, wo sich die jungen Frauen nicht gut auskannten. Dann missbrauchten sie ihr Opfer - womöglich über Stunden, wie die Ermittler den späteren Aussagen der Mädchen zufolge vermuten. In mindestens zwei Fällen vergewaltigen sie die jungen Mädchen.

Die Essener Polizei weiß mittlerweile von sechs sexuellen Übergriffen, die sich nach diesem Muster von November bis Januar im Ruhrgebiet ereignet haben sollen. Die Ermittler fahndeten zunächst nach fünf Männern, die sich vor allem in Handy-Chats abgesprochen haben sollen, um die Vergewaltigungen zu planen.

Die Polizei hat Haftbefehl gegen fünf Verdächtige beantragt.

Alle Verdächtigen haben einen deutschen Pass, bestätigen die Ermittler

Drei der mutmaßlichen Täter sitzen derzeit in Untersuchungshaft, sie äußern sich nicht zu den Vorwürfen. Ein vierter, ein 18-Jähriger aus Gelsenkirchen, stellte sich am Donnerstagabend, nachdem die Ermittler mit einem Foto nach ihm gefahndet hatten. Ein weiterer Verdächtiger sitzt nicht in Untersuchungshaft, weil er erst 16 Jahre alt ist.

Alle Männer haben einen deutschen Pass. Die genauen Tatorte ließen sich kaum bestimmen, die betroffenen Mädchen könnten den Weg dorthin nur schlecht beschreiben, auch weil es dunkel gewesen sei. Bislang haben sich erst drei der betroffenen Schülerinnen bei den Ermittlern gemeldet, wie die Polizei berichtet, sie alle sind 16 Jahre alt. In einem Fall ermittelt die Polizei wegen versuchter Vergewaltigung; bei den zwei anderen Fällen handle es sich um "vollendete Vergewaltigungen", sagt die Polizeisprecherin.

Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler kannten die Opfer stets einen der mutmaßlichen Täter persönlich. "Meist handelte es sich um einen Bekannten von Bekannten." Demnach bestand jeweils ein Vertrauensverhältnis zwischen der jungen Frau und zumindest einem der Verdächtigen. Die Treffen hätten immer harmlos begonnen. Dann brachte einer der Männer, so rekonstruiert die Polizei das Vorgehen, seine mutmaßlichen Mittäter zur Autofahrt mit - und zum anschließenden Gruppen-Missbrauch. Die Polizei schließt jedoch nicht aus, dass die Tatverdächtigen auch über soziale Netzwerke im Internet Kontakt zu ihren jeweiligen Opfern aufgenommen haben.

Die Männer sollen die Mädchen nach den sexuellen Übergriffen jeweils wieder nach Hause gebracht und ihnen die abgenommenen Handys zurückgegeben haben. Ein Tatverdächtiger soll den jungen Frauen sogar seine Handynummer gegeben haben, um weiter Kontakt mit ihnen zu halten.

Warum hat die Polizei die Öffentlichkeit nicht früher gewarnt?

Dies half letztlich den Ermittlern, den Verdächtigen zu identifizieren. Am 17. Januar hat die Polizei den ersten der vier Männer festgenommen. Wie sich in der Zwischenzeit herausstellte, soll das die anderen nicht davon abgehalten haben, ein weiteres Verbrechen zu begehen. Nur einen Tag später, am 18. Januar, sollen sie losgezogen sein und ein weiteres Mädchen vergewaltigt haben. Warum ist die Polizei erst so spät an die Öffentlichkeit gegangen? Warum wurde nicht früher vor der Männergruppe gewarnt? Die Vorfälle werfen quälende Fragen auf, angesichts der grausamen und heimtückischen Vorgehensweise der Gruppe, wie sie die Polizei rekonstruiert.

Man habe die Öffentlichkeit Mitte Januar noch nicht informieren können, sagt der Essener Polizeisprecher Lars Lindemann, "weil uns die Zusammenhänge zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar waren". Erst vom 18. Januar an sei das Handy des festgenommenen Mannes ausgewertet worden. "Es waren Hunderte Chats, die wir durchsehen mussten, bei Whatsapp, Facebook und anderen Anbietern", sagt Lindemann. Es habe einige Tage gedauert, bis man die Kommunikation der Männer rekonstruiert und relevante Informationen zusammengetragen hatte. Am 30. Januar folgten zwei weitere Festnahmen. Der letzte Flüchtige stellte sich nun, zwei Wochen später, selbst. Bild.de veröffentlichte Bilder von dem Moment, in dem der Verdächtige gemeinsam mit seinem Anwalt, wie es heißt, das Polizeipräsidium betrat.

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