"Es bleibt die Unbegreiflichkeit der Tat":Kindermord aus Rache

Lebenslange Haft für eine 34-jährige Mutter. Sie hatte ihre vierjährige Tochter getötet, indem sie das Mädchen von einer Brücke in den Neckar warf.

Bernd Dörries

Erst ging es nicht, weil gerade ein Fahrradfahrer über die Brücke kam, und dann fragte die Tochter, warum sie denn dauernd ins Wasser schaue. "Bist du durstig Mama?", waren die letzten Worte, die Iva-Maria, 4, in ihrem Leben sagte. Dann packte die Mutter Iva-Maria um die Hüften, hob sie über das Geländer der Neckarbrücke in Stuttgart und warf die Tochter ins Wasser, wo sie ertrank. Als die Mutter vor Gericht gefragt wird, warum sie es getan habe, sagt sie lange nichts und dann: "Es wäre nicht passiert, wenn mein Mann mich mit dem Auto von meiner Mutter abgeholt hätte."

"Es bleibt die Unbegreiflichkeit der Tat": Lebenslange Haftstrafe: An dieser Schleuse am Neckar in Stuttgart wurde die Leiche des Kindes aufgefunden. Die Mutter hatte es von einer Brücke geworfen.

Lebenslange Haftstrafe: An dieser Schleuse am Neckar in Stuttgart wurde die Leiche des Kindes aufgefunden. Die Mutter hatte es von einer Brücke geworfen.

(Foto: Foto: dpa)

Es sieht tatsächlich so aus, als würde Slavica D. in sich suchen nach dem Grund und nichts anderes finden als diese Verletzung, die für andere recht klein aussieht. Die für Slavica D. aber offenbar groß genug war, um ihre Tochter zu töten.

Jugendamt kommt vorbei

"Sie fühlte sich von den anderen im Stich gelassen, obwohl das objektiv nicht so war", sagt der Richter am Mittwoch. Für diese Empfindung habe sich Slavica D., 34, rächen wollen - an ihrem Mann, dem sie einen Zettel hinterließ: "Jetzt kannst du in Ruhe fernsehen. Niemand wird dich stören." Auch an ihrer ganzen Familie, die angeblich nie Zeit für sie hatte. Die Rache war der Tod der Tochter. Dafür verurteilte sie das Landgericht Stuttgart nun zu lebenslanger Haft.

In den vergangenen Jahren gab es Fälle, in denen Kinder starben und hinterher klar wurde, dass es immer auch Behörden gab, die hätten einschreiten müssen. Slavica D. ist selbst zum Jugendamt gegangen und hat gesagt, dass sie als Mutter überfordert sei. Das Amt schickt zwei Leute vorbei, das Kind wird zu Ärzten gebracht und untersucht. Eine Verzögerung in der Entwicklung stellen sie fest, nichts wirklich Schlimmes. Iva-Maria bekommt eine besondere Förderung im Kindergarten und "jede erdenkliche Hilfe", wie der Richter feststellt. Ärzte, Ämter und Therapeuten kümmern sich mit Erfolg.

Für Slavica D. ist diese Hilfe aber immer auch ein Vorwurf, eine Kränkung, ein Beweis, dass sie keine gute Mutter sei. So hat sie es wohl empfunden. Slavica D. war keine, die ihr Kind vernachlässigte. Eine fast schon krankhaft symbiotische Beziehung sah das Landgericht. Das Mädchen bekam alles, die Fingernägel lackiert zum Beispiel oder auch einen eigenen Fernseher mit einem Bambi drauf.

"Die Ehe war nicht so ideal"

Vor Gericht trägt Slavica D. eine rote Kapuzenjacke und Jogginghose. Sie spricht ausdauernd, und alles, was sie über ihr Leben erzählt, hat einen anklagenden Unterton. Nur die Kindheit im ehemaligen Jugoslawien ist nicht schwierig, sondern recht glücklich. Dann kommen Bürgerkrieg und die Flucht nach Deutschland. Sie macht eine Lehre als Verkäuferin und lernt ihren späteren Mann kennen. Tomislav ist lange arbeitslos, Slavica geht arbeiten. 2004 wird Iva-Maria geboren, ein Wunschkind. Der Mann findet Arbeit in einer kroatischen Gaststätte und kommt abends spät heim. "Die Ehe war nicht so ideal. Wir haben eher nebeneinander gelebt als miteinander", sagt Slavica. Sie ist enttäuscht, so wie sie immer schnell enttäuscht ist im Leben.

Wie ihre Schwestern, so wollte sie eigentlich leben. Mit einem guten Mann und mehreren Kindern in der alten Heimat. Sie selbst fühlte sich allein und unverstanden. Mit der Schwiegermutter und der Schwägerin habe es oft Streit gegeben, die hätten ihr das Leben zur Hölle gemacht. Wie das denn ausgesehen habe, fragt der Richter. "Ihnen hat einmal mein Kaffee nicht geschmeckt", sagt Slavica. Das war ihre Hölle. Die Angeklagte neige zur Theatralik und zum Dramatisieren, sagt der Richter.

Der Zettel auf dem Tisch

Am 12. Dezember besucht sie ihre Mutter und den Bruder, es gibt Streit, sie bittet ihren Mann, sie abzuholen, der hat aber keine Zeit. "Ich habe gefühlt, dass ich und Iva-Maria zu viel sind auf dieser Welt." Dann lief sie zur Brücke. Zu Hause findet der Mann einen Zettel auf dem Tisch: "Tomislav. Riesen-Idiot. Suche nicht nach uns."

Der Brief passe zum Verhalten der Angeklagten in der Hauptverhandlung, urteilt das Gericht, ständig habe sie anderen die Schuld an ihrem Leben gegeben. Es war ein Leben, wie es so oder so ähnlich Millionen andere in Deutschland führen. Warum Iva-Maria sterben musste, habe das Gericht nicht vollständig klären können, sagt der Richter.

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