Erotischer Weihnachtsmarkt auf St. Pauli:Ihr Stöhnerlein kommet

Erotischer Weihnachtsmarkt oeffnet auf Hamburger Kiez

Sinnliche Weihnachtszeit: Während es anderswo geschnitzte Krippenfiguren zu kaufen gibt, bietet Hamburgs erotischer Weihnachtsmarkt "Santa Pauli" barbusige Weihnachtsfrauen.

(Foto: dapd)

Engel tragen essbare Genitalien um den Hals, Vibratoren aus Holz werden zum Kauf angeboten. Was in anderen Städten undenkbar wäre, ist in Hamburg zur Institution geworden: der erotische Weihnachtsmarkt "Santa Pauli". Ein Besuch.

Carsten Eberts, Hamburg

Um den Hals des Engels hängt ein Schokoladenpenis, er weist Bissspuren auf. Olivia Jones findet das richtig klasse. Hamburgs bekannteste Drag-Queen lacht, dröhnend und dreckig. Sie trägt einen Dalmatiner-Mantel und so viel rotes Glitzerband um Hals und Kopf, dass es für einen ganzen Christbaum reichen würde. "Ich wünsche euch eine wunderbar geile und erotische Weihnacht'", röhrt Jones. Willkommen auf dem Weihnachtsmarkt in St. Pauli.

"Santa Pauli" heißt die Attraktion auf der Hamburger Reeperbahn, die bis zum 23. Dezember jeden Tag geöffnet hat. Was hier geboten wird, wäre in süddeutschen Großstädten wohl undenkbar: Mitten in St. Paulis Rotlichtviertel werden statt Bienenwachskerzen und Wollmützen Dildos und Vibratoren verkauft. Weihnachtliche Blaskapellen sucht man vergebens, dafür finden in den Abendstunden Striptease-Shows statt.

Der Engel mit dem Schokoladenpenis heißt Eve. Eve Champagne, mit vollem Namen. Sie ist Burlesque-Tänzerin und kaum bekleidet. Ihre Brustwarzen sind mit herzförmigen Aufklebern bedeckt. "Schön, dass es in diesem Jahr nicht so kalt ist", sagt Eve bei der offiziellen Weihnachtsmarkteröffnung. Dann schnappt sie sich zwei Glühweintassen und wärmt damit für die Fernsehkameras ihre nackten Brüste. "Mäuschen" und "Hopsy" heißen die beiden, lässt sie wissen.

Anschließend wird gesungen, auch Olivia Jones stimmt mit ein: "Ihr Stöhnerlein kommet."

"Eve, läute mit den Glocken"

Ist das alles nun eine Sensation? Auf St. Pauli nicht wirklich. In keinem Stadtbezirk einer deutschen Großstadt wird so offen mit Erotik kokettiert, gehört Sexualität zum öffentlichen Erscheinungsbild. Prostituierte dürfen auf offener Straße um Freier werben, sogar direkt gegenüber der Polizei. Dem Geschäft wird damit das Verbotene genommen, kriminelle Auswüchse sollen besser kontrolliert werden können. Und so stört sich auch niemand daran, dass hier Weihnachten offen in Verbindung mit Erotik gebracht wird.

"Eve, läute mit den Glocken", gibt Olivia Jones Anweisung. Eve stellt die Glühweintassen wieder auf den Tisch und schüttelt artig ihre Brüste. Klingeling. Ein bisschen doof ist das schon, aber Klamauk gehört dazu. Das Publikum johlt.

Vor sieben Jahren hat Geschäftsführer Jochen Bohnsack, 38, den erotischen Weihnachtsmarkt zum ersten Mal aufgebaut. Zwischenzeitlich stand das Projekt vor dem Aus, doch mittlerweile ist "Santa Pauli" eine Institution. Mit etwa 40 Buden ist der Markt in diesem Jahr so groß wie nie. Sogar die Jungs vom FC St. Pauli verkaufen hier ihre Fanartikel.

Andere Hamburger Weihnachtsmärkte, etwa der große vor dem Rathaus, sind hoffnungslos überfüllt. Viele Leute kommen deshalb lieber nach St. Pauli auf den Spielbudenplatz. Besucherzahlen hat Bohnsack nicht parat. 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor, schätzt der Veranstalter, an einem Adventswochenende dürften es Tausende sein. Der Glühwein kostet drei Euro, mit Schuss ein wenig mehr. So wie in anderen Großstädten auch.

Vibratoren aus Holz, allesamt TÜV-geprüft

Wer bei "Santa Pauli" seinen Stand aufbauen darf, wird sorgfältig geprüft. Nicht jeder Aussteller passt, findet Bohnsack. Einem Mann, der Bienenwachskerzen verkauft, hat er lieber abgesagt, das würde nicht funktionieren. Auch die großen Namen der Erotikindustrie haben hier keinen Platz. "Lieber klein, dafür ausgewählt", sagt Bohnsack.

Er meint Stände wie den von "WaldMichlsHoldi", direkt neben dem Striptease-Zelt. Hier gibt es Vibratoren aus Holz, allesamt TÜV-geprüft, gehobenes Preissegment. Normalerweise bereist Elmar Thüry mit seinem Sortiment große Erotikmessen oder baut seine Stände auf "Christopher Street Days" auf. Vor fünf Jahren kam er zum ersten Mal auf den erotischen Weihnachtsmarkt nach Hamburg. Seitdem kommt er jedes Jahr für vier Wochen wieder.

Über Verkaufszahlen redet Thüry nicht gern, lieber über seine Vibratoren. "Für das Holz verwenden wir keine Weichmacher", lässt er wissen, während er den Dildo von einer Hand in die andere wandern lässt, "welche Frau würde schon Weichmacher wollen?" Zwischen 39 und 109 Euro kosten die Spielzeuge, das beliebteste ist die "Doppelhummel", mit zwei statt einer Kugel am Kopf.

Viele Menschen lassen sich am Stand nur beraten, kaufen dann nachts in Thürys Internetshop ein. Seine Familie kann gut davon leben.

Erotik mit Augenzwinkern

In all den Jahren gab es nur einen kleinen Protest gegen Santa Pauli. Genauer gesagt: Eine Lokalzeitung wollte einen Protest lancieren. Sie hatte bei einem Hamburger Bischof angefragt, der erwartbarerweise die ganze Aktion "eher doof" fand. Das war es dann aber schon wieder. Insbesondere aus Süddeutschland, wo die öffentliche Stimme der Kirchen stärker ist und Bürgerbegehren nur eine Frage der Zeit wären, werden Busreisen gechartert. Anwohner und Touristen mischen sich auf dem Weihnachtsmarkt, ohne dass es eine Gruppe stört.

In diesem Jahr gibt es zwei Neuerungen. Da ist zum einem eine Burlesque-Show aus New York. "Sehr trashig", findet Geschäftsführer Bohnsack, "aber kein Hardcore, das wollen wir den Leuten nicht zumuten." Eine der Tänzerinnen wird ein Leuchtschwert schlucken, eine andere rammt sich zum Schein einen Akkuschrauber in die Nase. Dazu wird sich ausgezogen. Bohnsack hat die Truppe auf Videos gesehen und sofort gebucht.

Die zweite Neuerung: Porno-Karaoke. Im Ü18-Zelt werden abends Porno-Filme gezeigt, sowohl hochwertige als auch richtig schlechte, ohne Ton. Die Zuschauer werden animiert, die Szenen per Mikrofon zu vertonen. Also wird nach Herzenslust gestöhnt. Und viel gelacht. Bohnsack sagt: "Wenn man in der postpubertären Phase hängengeblieben ist, ist das herrlich."

Erotik mit Augenzwinkern - Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt machten es beim "Porno-Bingo" in einer ihrer Fernsehshows nicht anders. Und auch Olivia Jones weiß, was die Besucher von ihr erwarten: "Immer schön unartig bleiben", brummt sie zum Abschied. Damit ist dann wirklich alles gesagt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: