Ermittlungsbehörden:Gegen die eigenen Regeln

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Das LKA stolpert von einem Skandal zum nächsten. Nach fatalen Patzern im Fall Amri offenbaren sich Verstöße bei Ermittlungen in der Medizinwirtschaft.

Von Stefan Braun, Berlin

Dem Landeskriminalamt Berlin droht nach dem Skandal um schwere Ermittlungspannen im Fall des islamistischen Attentäters Anis Amri neues Ungemach. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung hat es auch in einem anderen Fall bei Ermittlungen erhebliche Verstöße gegen kriminalpolizeiliche Standards und die eigenen Dienstanweisungen gegeben. Außerdem legen interne Dokumente nahe, dass Berlins Polizei auch gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen hat, und mehrere Delikte in einem Bericht zusammengefasst wurden, obwohl dies getrennte Ermittlungen in den einzelnen Fällen frühzeitig fast unmöglich gemacht hat.

In diesem Fall geht es nicht um mögliche Gefährder oder Terroristen, sondern um Ermittlungen wegen eines mutmaßlichen Millionenbetrugs in der Medizinwirtschaft, zuständig ist das Kommissariat 346. Trotzdem können die neuen Vorkommnisse für Polizeipräsident Klaus Kandt und Innensenator Andreas Geisel (SPD) unangenehm werden. Beide hatten nach Bekanntwerden der Verfehlungen im Amri-Fall gerade bei den internen Verfahren und Abläufen Besserung gelobt. Noch während der Sonderermittler und ehemalige Bundesanwalt Bruno Jost seinen Abschlussbericht im Fall Amri erstellt, werfen die neuen Vorkommnisse ein schlechtes Licht auf die Berliner Strafverfolgungsbehörden.

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Im Einzelnen geht es darum, dass Beamte des Landeskriminalamts (LKA) Berlin bei der Aufnahme von Strafanzeigen und bei Vernehmungen gegen die eigenen Regeln verstoßen haben. So wurden Aussageprotokolle zunächst gar nicht erstellt, obwohl sie zwingend erforderlich sind und seitens der anzeigenden Person geprüft und abgezeichnet werden müssten. Dokumente, welche die SZ einsehen konnte, deuten sogar daraufhin, dass ein vermeintliches Vernehmungsprotokoll in dem Fall des mutmaßlichen Medizinbetrugs erst Tage später erstellt wurde, obwohl es am Tag der Vernehmung hätte verfasst werden müssen. Schließlich wurden Vermerke auf einem weißen Blatt Papier notiert, obwohl sie nach den Geschäftsanweisungen der Berliner Polizei zwingend im Datenverarbeitungssystem Poliks erstellt werden müssen, um Fehler und Manipulationen ausschließen zu können.

Weder Berlins Polizeipräsident Kandt noch Innensenator Geisel äußern sich zu den Vorwürfen

Gegen die eigenen Regeln hat das LKA offenbar auch im Umgang mit einer Beschwerde verstoßen. Ausgerechnet in dem Moment, in dem die interne Beschwerdestelle ein Ruhen aller Ermittlungen verfügt hatte, wurden ebendiese Ermittlungen aufgenommen. Gleichzeitig wurden vertrauliche persönliche Gesundheitsdaten der anzeigenden Person in den Ermittlungsbericht aufgenommen, der offen für alle Verfahrensbeteiligten einsehbar ist, obwohl diese Daten für die Ermittlungen selbst keine Relevanz haben. Nach Einschätzung von Datenschützern ist das ein eklatanter Verstoß gegen den Datenschutz - so könnten die Angezeigten sich intime Kenntnisse über die Person verschaffen, die sie angezeigt hat. Und das gilt umso mehr für die Tatsache, dass diese Daten noch an andere Berliner Behörden weitergeleitet wurden, an eine sogar per E-Mail, obwohl sich darunter vertrauliche Diagnosen und Ausweisnummern befanden.

Als besonders merkwürdig erscheint zudem der Versuch von LKA-Beamten, alle Dokumente über mögliche Offizialdelikte an die anzeigende Person zurückzugeben, "zur Beruhigung der Situation", wie das LKA selbst schrieb. Offizialdelikte müssen jedoch von Amts wegen verfolgt werden, insbesondere dann, wenn die beteiligten Beamten in einem internen Mailverkehr ebendiese Delikte bereits "als strafrechtlich relevant" bezeichnet haben. So wird der Fall nicht beschleunigt, sondern gebremst.

Trotz Nachfragen und der Bitte um Antworten gab es weder von Polizeipräsident Kandt noch von Innensenator Geisel eine Stellungnahme zu den Vorwürfen. Dabei ist die Angelegenheit seit Monaten nicht nur in beiden Behörden bekannt; die Senatsverwaltung für Inneres hat sich - als Aufsichtsbehörde der Polizei - in diesem Fall wiederholt mit dem Landeskriminalamt abgestimmt. Auch das ergibt sich aus internen Dokumenten.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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