Erdstöße:Die zweite Katastrophe

Nepal wird von einem gewaltigen Nachbeben erschüttert. Wieder gibt es Tote und Verletzte. Viele Tempel, Pagoden und Stupas stürzen ein.

Von Stefan Klein, Kathmandu/München

Die geplagten Menschen von Nepal kommen nicht zur Ruhe. 17 Tage nach dem schweren Erdbeben, bei dem über 8000 Menschen getötet und fast 18 000 verwundet wurden, kam es am Dienstagmittag zum bisher schwersten Nachbeben. Es brachte erneut Häuser zum Einsturz und hat nach Regierungsangaben Dutzende weitere Tote und Verletzte gefordert sowie neuerliche Erdrutsche ausgelöst. In der Hauptstadt Kathmandu rannten die Menschen in Panik ins Freie.

Während das Beben am 25. April, das mit einer Stärke von 7,8 gemessen wurde, sein Epizentrum westlich der Hauptstadt hatte, lag es am Dienstag östlich von Kathmandu in der Nähe des Mount Everest. Mit einer Stärke von 7,2 waren die Erdstöße, die eine halbe Minute lang dauerten, achtmal kleiner als das Hauptbeben. Gleichwohl waren sie bis in Neu Delhi, der über 800 Kilometer entfernten Hauptstadt des Nachbarlandes Indien, zu spüren.

Für die Bewohner des bitterarmen Himalaja-Staates geht der Albtraum damit weiter. Nachdem die zahlreichen Nachbeben zuletzt schwächer geworden waren und die Nervosität der Menschen sich etwas zu legen begann, dürfte das Beben am Dienstag die Nepalesen erneut in Angst und Schock versetzt haben. Stark betroffen war wieder der nördliche Distrikt Sindhupalchok, wo es zu mindestens drei schweren Erdrutschen gekommen sein soll.

Seit dem Beben am 25. April hängt an den steilen Hängen des bergigen Landes jede Menge loses Gestein, das bei fast jedem Nachbeben ins Rutschen gerät und in den Tälern Straßen und Häuser verschüttet. Die einzige Straßenverbindung von Kathmandu nach China war wegen solcher Gerölllawinen nach dem Hauptbeben tagelang blockiert und erst kürzlich von einem chinesischen Straßenbautrupp mit Baggern freigeräumt wurden. Nach dem jüngsten Beben dürfte die für den Handel wichtige Straße erneut unpassierbar sein.

Erdstöße: Das neue Beben forderte nicht nur in Nepal Opfer, sondern auch im Nachbarland Indien: Hier trauert in der Stadt Patna eine Frau um ihren Mann.

Das neue Beben forderte nicht nur in Nepal Opfer, sondern auch im Nachbarland Indien: Hier trauert in der Stadt Patna eine Frau um ihren Mann.

(Foto: AFP)

Schon vor den neuen Erdstößen waren 70 Prozent der Tempel und Pagoden beschädigt

Das genaue Ausmaß der Katastrophe nach der Katastrophe ließ sich am Dienstag noch nicht absehen. In den Dörfern werden die Häuser traditionell aus Mörtel und Natursteinen gebaut, die heftigen Erdstößen nichts entgegenzusetzen haben. In Sindhupalchok waren bereits Tausende dieser Häuser kollabiert, seit Dienstag dürfte sich die Zahl und damit auch die der Obdachlosen noch deutlich erhöht haben.

Die Hauptstadt Kathmandu wirkte nach dem Hauptbeben Ende April äußerlich zwar weitgehend unversehrt, tatsächlich jedoch gelten mehr als Dreiviertel aller Häuser als beschädigt und nicht mehr sicher. Zu den eingestürzten Häusern in Kathmandu ist am Dienstag mindestens ein weiteres vierstöckiges Bauwerk hinzugekommen. Auswirkungen dürfte das neue Beben auch auf das nepalesische Kulturerbe gehabt haben. Nachdem bereits 70 Prozent der Tempel, Pagoden und Stupas massiv beschädigt waren, ist zu befürchten, dass der fragile Rest jetzt ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden ist.

Einziger Trost in der Misere: Alle großen Hilfsorganisationen sind bereits präsent und organisiert im Land. Allerdings gibt es Streit mit der Regierung in Kathmandu, die die Hilfe an sich zu ziehen versucht. Nach Ansicht der Helfer behindert das ihre Versuche, die größte Not schnell und effizient zu lindern.

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