Erdrutsch auf den Philippinen:"Holt uns raus"

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Verzweifelte Hilferufe aus einer verschütteten Grundschule: Kinder meldeten sich per SMS, eine Bergung war noch nicht möglich. Sie warten ebenso wie vermutlich tausende Verschüttete auf ihre Rettung.

Der Körper der sechsjährigen Rosmarie Sibunga ist mit Wunden und Blutergüssen übersät. "Als der Erdrutsch kam, bin ich nur noch gerannt und gerannt", erzählt das Kind mit schwacher Stimme in einem philippinischen Krankenhaus.

Irgendwann holte die gewaltige Schlamm- und Gerölllawine das Kind ein, es stolperte und wurde von den Schlammmassen überrollt. Rosmarie kann sich nicht mehr erinnern, wie lange sie am Boden lag. Doch als sie Stimmen hörte, reckte sie mit letzter Kraft ihre Hand in die Luft und rief um Hilfe.

Rosmarie ist eine der wenigen, die den Erdrutsch im Süden der Insel Leyte vom Freitagmorgen überlebt haben. Ein ganzes Dorf wurde von den Schlammmassen begraben, darunter auch eine Grundschule, in der sich rund 200 Kinder und 40 Lehrer befanden.

Am Freitagabend erreichten noch SMS-Botschaften aus der Schule in Guinsaugon die Außenwelt. "Wir sind alle in einem Raum, lebend", schrieben die verzweifelten Eingeschlossenen, oder "Wir sind am Leben. Holt uns raus." Seither gab es keine Lebenszeichen mehr.

"Wir sind noch immer sehr zuversichtlich", macht Provinzgouverneurin Rosette Lerias sich und anderen Mut. Dabei sind die Bilder von den Rettungsarbeiten bedrückend. Nur mit Schaufeln oder bloßen Händen graben Soldaten und andere Helfer.

Umstehende Angehörige weinen oder beklagen sich bitterlich über den schleppenden Fortgang der Rettungsarbeiten. Schweres Räumgerät könne wegen des weichen Untergrunds nicht eingesetzt werden, verteidigt Lerias das Vorgehen der Behörden.

Eine Fläche von insgesamt neun Quadratkilometern ist nach dem Erdrutsch am Berg Can-abag verschüttet, die Schule lag direkt am Fuße des Berges.

Während Arbeiter Suchscheinwerfer für die zweite Nacht in Folge aufstellen, überfliegt ein Hubschrauber das Dorf, in dem jüngsten Angaben zufolge etwa 3000 Menschen wohnten.

"Alles, was sie finden, sind Leichen"

Unterschiedlichen Angaben zufolge sollen bis zu 117 Menschen überlebt haben. "Alles, was sie finden, sind Leichen", berichtet Reporter Jimmy Angay für den Radiosender DYVL über die Rettungsarbeiten. Die letzte Überlebende, die die Helfer bergen konnten, war am Freitagnachmittag eine Frau.

Auch der Vater von Rosmarie vermisst den Rest seiner Familie. Der 35-Jährige weiß nicht, wo seine Frau, die zwei Brüder und zwei Schwestern Rosmaries und seine Mutter sind. "Das ist eine sehr schmerzhafte Zeit für mich", sagt Ricardo Sibunga, der am Krankenhausbett seiner Tochter wacht.

"Ich habe meine Familie verloren, ich bin nur dankbar, dass eines meiner Kinder überlebt hat." Im Bett neben der noch immer unter Schock stehenden Rosmarie liegt der einjährige Anthony Enso Junior. Auch sein Vater weiß nicht, was mit dem Rest der Familie geschehen ist.

"Ich arbeite auf einem landwirtschaftlichen Betrieb wenige Kilometer vom Dorf entfernt", erzählt der 23-Jährige unter Tränen. Als er am Freitag zum Mittagessen nach Hause kam, wollte er seinen Augen nicht trauen.

"Da, wo das Dorf war, war nichts mehr." Verzweifelt suchte Anthony Enso Senior nach seiner Frau und seinem Sohn - ohne Erfolg.

Rettungskräfte hätten ihm gesagt, er solle es im Krankenhaus von Anahawan versuchen. Nach mehreren Kilometern Fußmarsch fand er dort schließlich seinen Jungen. "Ich hoffe nur, dass sie meine Frau noch lebend finden", sagt er und versucht, den weinenden Sohn zu trösten.

Für seine rund 20 Patienten aus Guinsaugon kann Krankenhausarzt Russell Dejarmie nicht viel tun. "Sie stehen unter Schock und haben schwere Verletzungen erlitten, zu denen wir nicht mehr sagen können, weil wir keine Röntgengeräte haben." In der landwirtschaftlich geprägten Region herrscht Armut.

Mit dem Bergungsgerät, das wegen des weichen Schlamms nicht eingesetzt werden kann, werden Leichen in Plastiksäcken über den Fluss transportiert und auf Lkw umgeladen. Eine Stunde entfernt liegt die Stadt St. Bernard, in der ein öffentliches Gebäude zur Leichenhalle umfunktioniert wurde. Eigentlich sollte dort ein Fest stattfinden - nun liegen Tote in dem Saal mit der bereits aufgebauten Musikanlage.

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