Hungerkrise in Afrika: Ein Helfer berichtet:"Viele sterben schon auf dem Weg durch die Wüste"

In Ostafrika wütet die schlimmste Hungerkatastrophe seit Jahrzehnten. Mitten im Elend, im Flüchtlingslager Dadaab, arbeiten Menschen wie der Entwicklungshelfer Alun McDonald. Das Camp erreichen täglich mehr als tausend Somalis auf der Flucht vor dem Hunger - doch viele kommen erst gar nicht an.

Lena Jakat

In Ostafrika wütet die schlimmste Hungerkatastrophe seit Jahrzehnten. Mitten im Elend arbeiten Menschen wie Alun McDonald. Der Entwicklungshelfer kommt gerade zurück aus dem Flüchtlingslager im kenianischen Dadaab nahe der Grenze zu Somalia. Das größte Flüchtlingslager der Welt ist hoffnungslos überfüllt und täglich strömen mehr Menschen in das Lager, die vor der Hungersnot im Osten fliehen. Der Waliser McDonald, 31, ist seit zwei Jahren für die Hilfsorganisation Oxfam in Kenia und Somalia im Einsatz. Ein Protokoll.

"Eines der größten Probleme in Dadaab ist die Überfüllung. Vor 15 Jahren wurde das Lager - eigentlich sind es drei Camps nebeneinander - für 90.000 Menschen gebaut, inzwischen leben dort 380.000. Es gibt nicht genug Wasser, nicht genügend Essen, Toiletten. Jeden Tag kommen etwa 1400 weitere Menschen über die Grenze aus Somalia ins Lager. Viele Frauen und Kinder. Ich habe mit Menschen gesprochen, die dreißig Tage lang durch die Wüste gelaufen sind. Eine unglaubliche Reise: Sie sind von bewaffneten Banden überfallen worden, die ihnen den letzten Proviant gestohlen haben, wurden von wilden Tieren angegriffen. Nachts kommen Hyänen und fallen die Kinder an. Ziemlich viele Kinder sterben bereits auf dem Weg ins Lager.

Ich habe mit einer Frau gesprochen, die eine schreckliche Erfahrung hinter sich hat. Ihre Beine sind vom Polio verkrüppelt, sie kann nicht laufen. Sie kam auf einem Eselskarren aus Somalia, zwei Wochen war sie unterwegs. Sie hatte fünf Kinder, zwei von ihnen starben auf dem Weg, ebenso ihr Mann. Räuber haben sie angegriffen und ihnen alles genommen. Vor einer Woche dann kam sie endlich im Lager an und lebt jetzt in einem winzigen Unterschlupf mit den Kindern, die ihr geblieben sind. Sie hat eine Lebensmittelkarte, die sie berechtigt, Essenspakete zu bekommen. Aber sie kann sie nicht abholen. Sie ist auf andere Flüchtlinge angewiesen. Ihre Nachbarn, die auch in furchtbaren Umständen leben, helfen ihr.

Eine andere Frau, die ich traf, war zu Fuß von Somalia unterwegs, gemeinsam mit ihren sechs Kindern. Unterwegs begegnete sie vier Kindern. Ihre Eltern waren auf der Flucht gestorben. Die Waisen waren ganz alleine unterwegs nach Dadaab, ohne den Weg zu kennen, ohne zu wissen, wie man dorthin kommt. Also nahm die Frau die Kinder mit ins Lager. Dort lebt sie unter einem Baum und versucht verzweifelt, die zehn Kinder irgendwie durchzubringen.

Das Lager ist geschlossen

Wenn die Flüchtlinge das Lager erreichen, dürfen sie im Moment dort nicht rein, weil das Camp schon so voll ist. Diejenigen, die im vergangenen Monat angekommen sind, etwa 60.000 Menschen, lagern am Rand des Camps in sehr, sehr armseligen Verhältnissen. Sie leben dort in Unterständen, die sie aus Ästen, aus Resten von Pappe und alten Kleidern bauen, aus allem, was sie so finden können. Sie hausen eng aufeinander. Es gibt nur eine Toilette für mehrere hundert Familien. Die Menschen verrichten ihre Notdurft im Freien, doch dadurch wird das Wasser kontaminiert, die Kinder werden krank. Die Lage dort ist wirklich ziemlich hoffnungslos.

Und da ist noch ein anderes Problem: Im vergangenen Jahr wurde mit der kenianischen Regierung vereinbart, ein viertes Camp in Dadaab zu bauen, um die Lage zu entspannen. Das Lager ist fertig, dort gibt es ein Wassersystem, Ärztezentren und vieles mehr. Aber die Regierung lässt niemanden rein. Es ist unglaublich. Da gibt es dieses leere Camp, und zwei Kilometer die Straße runter leben Zehntausende Menschen, die Wasser brauchen, Nahrung und medizinische Versorgung - all das, was sie in dem Lager finden würden. Die Regierung begründet das mit nationalen Sicherheitsbedenken. In der Region gab es in letzter Zeit immer wieder Anschläge, die mit bewaffneten Gruppen in Südsomalia in Verbindung gebracht werden. Deswegen will die Regierung das Lager nicht öffnen.

"Die Solidarität ist inspirierend"

Doch diese Begründung macht keinen Sinn, weil die Menschen ja schon da sind, nur eben zwei Kilometer weiter. Ich habe dieses Camp gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen monatelang aufgebaut. Es ist fertig. Jeden Tag sehe ich Leute, die dort ankommen, die Hoffnung haben und Wasser brauchen. Man könnte ihnen helfen, indem man die Menschen einfach in das Lager lässt. Doch es wird ihnen verwehrt. Das ist sehr frustrierend.

Solange da nichts vorangeht, helfen wir den Neuankömmlingen. Wir verteilen Wasser, bauen Latrinen. An diesem Donnerstag verteilen wir dort zum Beispiel große Konservendosen, in denen die Menschen Wasser aufbewahren können, für das sie jeden Tag sehr weit laufen müssen.

Ich bin seit sechs Jahren in Afrika und es gibt hier immer wieder solche Dürren, leider. Aber das Ausmaß des Elends ist viel schlimmer als das, was ich bisher gesehen habe. Kollegen, die schon sehr lange hier sind, vergleichen die Dürre bereits mit den schlimmen Hungerkrisen der neunziger Jahre. Der Konflikt in Somalia macht die Lage noch viel schlimmer. Es gibt dort Landesteile, wo es geregnet hat, wo es Essen gibt, wo Getreide wächst. Doch die Menschen, die von der Dürre betroffen sind, können wegen der angespannten Sicherheitslage nicht dorthin gelangen.

Dass somalische Milizen jetzt wieder Hilfsorganisationen in die südlichen Landesteile lassen wollen, ist eine gute Nachricht. Das würde uns sehr helfen, die Krise zu bewältigen. Wir müssen aber abwarten, ob sie ihre Ankündigung auch umsetzen.

In all der Hoffnungslosigkeit von Dadaab ist es unglaublich zu sehen, welche Anstrengungen die Menschen unternommen haben, um das Lager zu erreichen, wie sehr sie sich gegenseitig stützen. Solidarität unter diesen Bedingungen: Das ist inspirierend."

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