Entführung im Jemen:Im mörderischen Dickicht

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Der Jemen ist berüchtigt für Entführungen von Ausländern. Meistens kommen sie mehr oder weniger unversehrt wieder frei. Doch diesmal ist offenbar alles anders.

Nicolas Richter und Judith Raupp

Furchtbar sind die Nachrichten an diesem Tag, aber wenigstens eine kleine Hoffnung war zwischendurch geblieben. Zwei Kinder sollen dem Massaker an einer Gruppe von Ausländern im Jemen entgangen sein. Zwei Kinder, die, wie Behörden erklären, unverletzt seien und wohlauf. Später am Tag aber deutet vieles darauf hin, dass niemand das Attentat überlebt hat.

Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Welt. Vor allem die Frauen leiden unter den Zuständen in dieser Gesellschaft. (Foto: Foto: AFP)

Die Gruppe der Opfer bestand aus einem deutschen Ehepaar, seinen drei Kindern, zwei deutschen Pflegehelferinnen; ferner ein britischer Ingenieur und eine südkoreanische Lehrerin. Sie sollen in der vergangenen Woche verschleppt worden sein, in Saada, der nördlichen Provinz des Jemen.

Es wird dort seit Jahren gekämpft, in einem Land, das so bekannt ist für die ständigen Entführungen von Ausländern wie für die Tatsache, dass es sich hier schon für kleine Jungen gehört, Schusswaffen zu tragen. Viele Bewaffnete, viele Kidnapper, aber meist ein glimpfliches Ende. Die Geiseln wurden fast immer freigelassen. Diesmal war es anders.

"Wir haben die Leichen von sieben Entführten gefunden. Zwei Kinder waren noch am Leben", sagte ein Sicherheitsbeamter nach Angaben des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira. Die Tochter eines Stammesältesten soll die Opfer in Noshur gefunden haben, zwölf Kilometer entfernt von der Provinzhauptstadt Saada. Zu diesem Zeitpunkt versuchte sich das Auswärtige Amt in Berlin noch ein Bild der Lage zu machen.

Das Außenministerium konnte zunächst nur bestätigen, dass im Jemen sieben Deutsche vermisst würden. Der Krisenstab in Berlin und die deutsche Botschaft in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa versuchten, mehr herauszufinden. Weil das zunächst nicht gelang, musste in Berlin auch die Kanzlerin ihre Ratlosigkeit kundtun: "Im Augenblick kann ich keine Bestätigung der Bundesregierung geben", sagte sie bloß.

Während man in Berlin noch rätselte, was geschehen war, hatte die Regierung im Jemen längst die angeblichen Täter ausgemacht: eine separatistische Schiiten-Gruppe namens al-Huthi, die seit Jahren gegen die Regierung kämpfe. Schon am Sonntag hat der Innenminister des Jemen die Al-Huthi-Rebellen verdächtigt. "Es ist deren Art, eine solche Tat an Ausländern zu verüben", sagte er. Allerdings klang er da noch optimistisch, dass die Entführung so enden würde wie die meisten im Jemen: "Wir hoffen, dass die Geiseln bald wieder frei sind."

Am Montag begreift zunächst niemand, wie die Geiselnahme so enden konnte. Mal ist von drei toten Frauen die Rede, dann wird gemeldet, alle Ausländer seien ermordet worden, dann wieder heißt es, zwei Kinder hätten überlebt. Die Opfer sollen am Al-Dschumhuri-Krankenhaus in der Provinzhauptstadt Saada gearbeitet haben, im Auftrag der eher unbekannten niederländischen Hilfsorganisation Worldwide Services.

Sie müssen wild entschlossen gewesen sein, hier zu helfen, und sie ignorierten die Warnungen. Die deutsche Botschaft im Jemen hatte ihnen offenbar abgeraten. Die Provinz Saada ist so gefährlich, dass manche Entwicklungshilfsdienste ihre Mitarbeiter lieber gar nicht erst dorthin schicken. Dazu zählt Care Deutschland. "Die Lage dort ist unübersichtlich und verworren", sagt Felix Wolff von Care. Und die Machthaber mögen es nicht, wenn zu viele Ausländer mitbekommen, wie brutal der Staat die Rebellion der Aufständischen niederschlägt.

Aber nicht nur die Al-Huthi-Rebellen werden der Tat verdächtigt. Manche Sicherheitsexperten erkennen schnell die Handschrift von al-Qaida. Sie spekulieren, die Terror-Organisation könne Rache genommen haben, weil ihr mutmaßlicher Finanzchef in der Region, ein Saudi-Araber, kürzlich im Jemen festgenommen wurde. Ein Sprecher der al-Huthi hatte am Sonntag erklärt, es sei eine "Verschwörung" der Regierung, seine Gruppe zu beschuldigen. "Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Mitglied der al-Huthi einen solchen Akt der Schande begangen hätte".

Aus Sicht der Regierung in Sanaa allerdings gibt die Gruppe einen passenden Sündenbock ab, denn sie liefert sich seit einiger Zeit heftige Gefechte mit dem Militär im Norden des Landes. Kürzlich erklärte der Vize-Premier Raschid al-Alimi dem Parlament, die Huthi-Rebellen hätten als verlängerter Arm Irans ihren Kampf aufgenommen. "Der teuflische Samen al-Huthis begann 1982 während des Krieges zwischen Iran und dem Irak, damals haben sie mit iranischer Unterstützung Zellen gebildet, um Terrorakte zu begehen." Heute sollen sie der Regierung zufolge für Terror aller Art verantwortlich sein. Kürzlich hätten sie Handgranaten in ein Kino in Sanaa geworfen und Frauen auf der Straße angegriffen.

In der Provinz Saada wurden die neun Ausländer entführt. Zum Vergrößern der Karte klicken Sie bitte auf die Lupe. (Foto: SZ-Karte: Mainka)

Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Welt. Er leidet unter inneren Unruhen, starkem Bevölkerungswachstum und einem mangelhaften Bildungssystem. Es sind vor allem die Frauen, die in dieser Gesellschaft zu leiden haben, unlängst machte eine Achtjährige Schlagzeilen, weil sie die Scheidung von ihrem 30-jährigen Mann forderte, mit dem sie ihr Vater zwangsverheiratet hatte.

Immer wieder kommt es zwischen einflussreichen Stämmen und der Regierung zu Auseinandersetzungen; mit der Entführung von Ausländern versuchen einzelne Gruppen, der Regierung Zugeständnisse abzupressen. Im Norden des Landes, wo die Not noch größer ist als anderswo, beklagt sich die Gruppe al-Huthi darüber, dass die Regierung ihr den Zugang zu ausländischer Hilfe verweigere.

Gedrückte Stimmung

Tausende Menschen leben in der unwegsamen, bergigen Provinz Saada in Flüchtlingslagern, weil sie wegen der Kämpfe zwischen Rebellen und Regierung ihre Dörfer verlassen mussten. Hier also wollten die Deutschen helfen. Dass sie trotzdem sterben mussten, spricht nach Ansicht hochrangiger deutscher Sicherheitsexperten weniger für die Täterschaft lokaler Al-Huthi-Rebellen als vielmehr für die Terroristen der al-Qaida.

Die hätten Deutsche schon seit einiger Zeit ins Visier genommen, unter anderem in Nordafrika. Auch im gebeutelten Jemen hinterlässt al-Qaida immer neue Blutspuren. Wie das Auswärtige Amt in seiner Reisewarnung bemerkt, wurden am 15. März 2009 bei einem Selbstmordanschlag al-Qaidas in der Provinz Hadramaut vier Touristen aus Südkorea und ein jemenitischer Reisebegleiter getötet. Der Attentäter, der sich als Fotograf getarnt hatte, trieb die Gruppe noch für einen angeblichen Schnappschuss zusammen, bevor seine Bombe detonierte.

Marcel Pott, langjähriger Nahost-Korrespondent und Buchautor, ist gerade aus Sanaa zurückgekommen. Die Stimmung sei gedrückt. "Jederzeit kann ein größerer Anschlag passieren, etwa auf ein Hotel, in dem sich ausländische Diplomaten oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen einquartieren", sagt er. Die Gefahr gehe von al-Qaida aus, das Terrornetzwerk setze sich im Jemen fest. "Das geht schleichend voran. Aber das Land könnte völlig abrutschen, so wie Afghanistan oder Somalia", befürchtet er. Selbst westliche Botschaften in Sanaa beschränkten öffentliche Veranstaltungen auf ein Minimum, um nicht aufzufallen.Und jetzt könnte al-Qaida gezielt Deutsche erschossen haben. Ein Sicherheitsexperte vermutet: "Die Täter wussten ganz genau, wen sie vor sich hatten."

© SZ vom 16.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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