Elite-Internat:Odenwaldschule am Ende

Odenwaldschule

Die Odenwaldschule, das einstige Elite-Internat, muss zum Ende des Schuljahres schließen. Die Einrichtung ist pleite.

(Foto: dpa)
  • Die Odenwaldschule ist pleite. Der Trägerverein und das Leitungsteam gaben das am Samstagnachmittag in Heppenheim bekannt.
  • Die Einrichtung schließt zum Ende des Schuljahres.
  • Dem Geschäftsführer war es nicht gelungen, neue Kredite zu bekommen.
  • Das Image der Schule hatte gelitten, seit 2010 zahlreiche Missbrauchsfälle bekannt geworden waren.

Von Tanjev Schultz

Die Odenwaldschule hat eine lange Tradition, auf die viele ihrer Absolventen voller Stolz schauten. Das änderte sich spätestens 2010, als das private Internat sein 100-jähriges Bestehen feiern wollte. Damals kam endlich das ganze Ausmaß der sexuellen Gewalt ans Licht, der die Schüler in früheren Jahren ausgesetzt waren. Nun war nicht nur der Ruf der reformpädagogischen Musteranstalt ramponiert. Sie stand auch vor dem finanziellen Ruin. Und es gab immer neue Querelen; die Schulleitung wechselte mehrmals, in den Gremien der Schule tobten erbitterte Kämpfe. Vor wenigen Wochen - im Februar - verkündete die Schule mal wieder einen Neuanfang und stellte ein neues Leitungsteam vor. Das ist jetzt hinfällig, die Odenwaldschule ist am Ende. Sie hat nicht mehr genügend Geld.

Die Behörden hatten den Nachweis verlangt, dass die Schule für den Betrieb in den kommenden Jahren ausreichend Mittel hat. Die notwendigen 2,5 Millionen Euro hat sie aber nicht zusammenbekommen. An diesem Samstag tagte der Trägerverein, anschließend teilten der Vorsitzende, Gerhard Herbert, und der Geschäftsführer, Marcus Halfen-Kieper, mit: "Die Zeit für das neue Team war kurz, offenbar zu kurz - vor allem aber mussten wir feststellen, wieviel Kredit nicht nur bei Schülern, Eltern und Behörden, sondern wie viel Vertrauen vor allem auch bei Banken und vielen Ehemaligen verspielt worden ist."

Es war dem Geschäftsführer nicht gelungen, neue Kredite zu bekommen oder, wie zeitweise erhofft, größere Summen von Altschülern einzuwerben. Er habe sich "die Füße wund gelaufen", sagt Halfen-Kieper. Es endete in einer Sackgasse. In den vergangenen Monaten hatte die Schule durch Immobilienverkäufe versucht, sich finanziell Luft zu verschaffen. Die Mitarbeiter verzichteten auf zehn Prozent ihrer Gehälter, um den Bestand der Schule zu sichern. Das alles hat nicht ausgereicht.

Die Schule hat heute die Behörden und Mitarbeiter über die Pleite informiert. Die Eltern müssten sich nun entscheiden, "welche Schule für ihre Kinder zum neuen Schuljahr die richtige ist".

Es sei an der Zeit gewesen, "die traurige Wahrheit auf den Tisch zu legen"

Sobald der aktuelle Abiturjahrgang die Schule verlassen hat, wären nach derzeitigem Stand nicht viel mehr als hundert Schüler übrig. Die geringe Zahl der Neuanmeldungen hat in den vergangenen Jahren die Krise verschärft. Nun sei es an der Zeit gewesen, "die traurige Wahrheit auf den Tisch zu legen", erklärte die Schule. Man werde alles tun, um Eltern und Schülern in den kommenden Wochen "bei der Neuorientierung zu helfen". Es sei eine "Tragik", dass es für "diese besondere Schule", die junge Menschen an einem "wunderschönen Ort" die Chance eröffnet habe, anders zu lernen, so weit gekommen sei.

Die Schule im Tal von Ober-Hambach im hessischen Heppenheim ist äußerlich eine Idylle, wurde für viele aber zur Hölle. Mindestens 132 Schüler sind dort, überwiegend in den 1970er und 1980er Jahren, Opfer sexueller Gewalt geworden. Zu den Tätern gehörten mehrere Lehrer, unter anderem der langjährige Schulleiter Gerold Becker, ein bundesweit einflussreicher Reformpädagoge. Er war der Lebensgefährte des berühmten Pädagogen Hartmut von Hentig. Becker starb 2010.

Der Opferverein "Glasbrechen" schätzt, dass die Zahl der Missbrauchsopfer wesentlich höher liegt und spricht von mutmaßlich 500 Opfern. Zwischen Glasbrechen und der Schule hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder heftige Auseinandersetzungen über den richtigen Umgang mit der Missbrauchsgeschichte gegeben. Derzeit arbeiten zwei wissenschaftliche Institute an einer umfassenden Aufarbeitung. Dafür hatte auch die Odenwaldschule Geld gegeben. Es sei nun wichtig, diese Aufarbeitung weiter sicherzustellen, erklärt Glasbrechen.

Huckele fordert seit Langem, die Odenwaldschule zu schließen

Einer der Betroffenen, der ehemalige Schüler Andreas Huckele, hatte die Übergriffe bereits Ende der 1990er Jahre aufgedeckt. Damals waren seine Berichte noch weitgehend ungehört verhallt. Erst im zweiten Anlauf im Jahr 2010 änderte sich dies. Huckele fordert seit Langem, die Odenwaldschule zu schließen: "Sperrt den Laden endlich zu!", rief er 2012, als man ihm den Geschwister-Scholl-Preis verlieh. Andere Betroffene und Ehemalige wollten die Schule dagegen erhalten.

Der Vorsitzende von Glasbrechen, Adrian Koerfer, sagt am Samstag: "Der Schlange beim Todeskampf zusehen zu müssen, tut weh. Die gegenwärtigen Schüler tun uns leid. Sie lebten bis heute in ständiger Angst um die Existenz ihrer Schule". Einen solchen Abschied hätten sie nicht verdient. Die "vergeblichen, weil immer unehrlichen Häutungen der Odenwaldschule" hätten nicht zum Ziel geführt. Der jetzige Vorstand des Trägervereins trage die Schuld am Untergang der Schule. Die Verantwortlichen hätten die vergangenen Jahre nicht gut genutzt. Das Verhältnis zwischen Glasbrechen und Herbert, dem Vositzenden des Schulvereins, ist seit längerer Zeit gestört.

Die Schule bekennt sich zu ihrem Scheitern

Die Schule wurde 1910 von dem Reformpädagogen Paul Geheeb als Landerziehungsheim gegründet. Das Konzept sah von Anfang an die Koedukation vor, also den Unterricht von Mädchen und Jungen in gemischten Klassen. Die Schule wollte ein kindgerechtes Lernen ermöglichen und die Schüler weitgehend mitbestimmen lassen. Die Internatschüler lebten in sogenannten "Familien" mit Lehrern zusammen. Zu den Absolventen gehörten auch zahlreiche Prominente, beispielsweise Klaus Mann, Johannes von Dohnanyi und Tilman Jens.

Im Jahr 2014 standen erneut unangenehme Schlagzeilen in den Zeitungen: Es kam heraus, dass gegen einen Lehrer, der noch gar nicht lange an der Schule war, wegen des Besitzes von Kinderpornografie ermittelt wurde. Er wurde entlassen, und das Image der Schule litt weiter.

Die Schule stehe, so der Geschäftsführer, dort wo sie stehe "durch eigene Fehler, durch die eigenen Strukturen, durch Wegsehen und Wegducken, durch eigenes Nichthandeln". Man wolle weder den Behörden, den Medien oder der Politik und schon gar nicht den Opfern die Verantwortung zuschieben. Die Schule bekennt sich zu ihrem Scheitern. Zumindest das hat noch eine gewisse Größe.

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