Elendsviertel in Casablanca:Was Marokkaner in die Flucht treibt

Nach den Übergriffen von Köln sind junge Nordafrikaner zum Feindbild geworden. Aber wer sind die Männer eigentlich? Und wo kommen sie her? Über einen Besuch im Elend.

Von Moritz Baumstieger

Seit den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln ist der junge, männliche Marokkaner zum Synonym geworden für alles, was in der Flüchtlingspolitik angeblich falsch läuft: Aggressive Männer nutzen die Gastfreundschaft der Deutschen aus, heißt es, sie grapschen, klauen, prügeln und vergewaltigen. "Nafri" nennt die Polizei in Nordrhein-Westfalen diese Klientel, "nordafrikanische Intensivtäter". Ratlos fragen sich viele, wer diese Männer eigentlich sind - und wo sie herkommen.

Um das herauszufinden, lohnt sich ein Besuch in Sidi Moumen, dem östlichsten Ausläufer von Casablanca. 500 000 Menschen hat dieses Elendsviertel, in Sozialwohnungen mit 60 Quadratmetern leben meist Familien mit sechs oder noch mehr Mitgliedern. Eine geregelte Arbeit haben die wenigsten. Die Flucht nach Europa bestimmt das Denken und die Gespräche vieler Einwohner. Jeder kennt hier wen, der plötzlich nicht mehr da ist.

Die Vorfälle von Köln? Eine "Riesenschande" für Marokko

Da geht es zum Beispiel um den Friseur, der vor zwei Monaten seinen Laden zugesperrt hat und jetzt in einer Stadt namens "Fillik-Schwennik" Haare schneidet, vielleicht in jener Flüchtlingsunterkunft in Villingen-Schwenningen, auf die kürzlich eine Handgranate geworfen wurde. Es gibt auch die Rückkehrer, deren Flucht gescheitert ist. "Und ich Trottel habe mir noch extra schicke Kleidung gekauft, weil ich nicht wie ein Bettler in Europa ankommen wollte. Drei Paar Schuhe und einen Anzug, alles im Meer gelandet!", erzählt einer.

Es ist kein Problem, in Sidi Moumen Gesprächspartner zu finden. Junge Menschen, die Zeit haben, einen Besucher herumzuführen, findet man leicht. Sie freuen sich, ihr oft bruchstückhaftes Englisch auszuprobieren. Es hat sich auch nicht im Ansatz bedrohlich angefühlt, allein in den Elendsquartieren herumzulaufen. Entweder wurde man nicht beachtet oder freundlich begrüßt.

Haben die Menschen hier von den Vorkommnissen in Köln überhaupt mitbekommen? Ja, eigentlich alle, zumindest in Umrissen. Wenn es wirklich Marokkaner gewesen seien, dann wäre das eine "Riesenschande" für das Land, erzählt einer. Nun fragen sich die Einwohner von Sidi Moumen, was ihren Verwandten und Bekannten in Deutschland droht.

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