Elektronische Überwachung:Warum die Fußfessel bei radikalen Attentätern wenig bringt

Elektronische Überwachung: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Die Justiz hat die Verurteilten im Blick, kann mögliche Opfer alarmieren, aber manche Täter nicht abschrecken: Die Erfahrung mit der Fußfessel zeigt, wann sie nützt - und wann nicht.

Von Ronen Steinke und Stefan Braun

Sich selbst als Zuchtmeisterin zu bezeichnen, würde Sabine Schäfer wohl nie einfallen. Dann schon eher neudeutsch Supervisor oder ganz einfach Aufseherin oder Aufpasserin. Denn nichts anderes tut sie an ihrem Arbeitsplatz mit den zwei Bildschirmen, die sie nicht aus den Augen lässt, zwölf Stunden lang pro Schicht: Sabine Schäfer, 47 Jahre alt, überwacht die Menschen in Deutschland, denen ein Gericht es zur Auflage gemacht hat, eine Fußfessel zu tragen.

Bisher hält sich deren Zahl in engen Grenzen, deutlich weniger als wohl die meisten annehmen werden, nach der aufgeregten Diskussion der vergangenen Wochen um Gefährder und die Peilgeräte, mit denen man sie beaufsichtigen will: 88 Menschen in Deutschland tragen bisher ein solches Gerät am Bein, 87 Männer und eine Frau.

Die Bundesregierung will die Überwachung mit einer elektronischen Fußfessel auf deutlich mehr Personen ausweiten. Als eine Art Wunderwaffe gegen Islamisten, denen die Strafverfolger eine Terrortat zutrauen, wurden die Fußfesseln schon gepriesen, so konnte man jedenfalls den Eindruck haben. Aber wie schnell auch diese Technik an ihre Grenzen stößt, das lässt sich durch einen Besuch bei Sabine Schäfer und ihren Bildschirmen feststellen.

Der irakische Islamist Rafik Y. zum Beispiel trug so eine elektronische Fußfessel. Den Abend, als er Alarm auslöste, haben Sabine Schäfer und ihre Kollegen noch genau in Erinnerung. Er endete mit Schüssen und einem Toten. In solchen Momenten, sagt Schäfer, spüre sie eines ganz genau: ihre Ohnmacht.

Der Iraker war vom Oberlandesgericht Stuttgart zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Wegen eines Mordkomplotts gegen den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi, der 2004 in Berlin zu Besuch war. 180 Gramm wog die schwarze Kunststoffbox, die sie ihm auf Anordnung einer Strafvollstreckungskammer ans Bein schnallten, darin die Technik eines Mobiltelefons und ein GPS-Ortungssystem. Das Gericht verbot ihm, eine bestimmte Zone zu betreten, so wie immer bei der "elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht", wie es offiziell heißt. Auf Bildschirmen konnte Schäfer seinen Standort bestimmen, bis auf zwei Meter exakt. Verhindert hat es nichts.

"Es hängt keine Stahlkugel dran"

Rafik Y. lief im September 2015 mit einem Messer bewaffnet über die Heerstraße in Berlin-Spandau. Er verletzte eine Passantin und eine Polizistin. Deren Kollege forderte ihn auf, das Messer fallen zu lassen. Als der Iraker nicht reagierte, schoss der Beamte. Rafik Y. überlebte nicht.

Die Bundesregierung will die Möglichkeiten, die Fußfessel anzuordnen, nun gleich dreifach ausweiten. Erstens auf die sogenannten Gefährder, wie schon in der vergangenen Woche angekündigt wurde. Also auf Personen, die nach Ansicht eines Richters demnächst einen Terrorakt begehen könnten. Zweitens soll an diesem Mittwoch das Bundeskabinett auf Vorschlag von Justizminister Heiko Maas (SPD) beschließen, mehr Straftäter als bisher nach Verbüßung ihrer Haft per Peilsender zu beobachten: alle, die mindestens zwei Jahre Haft wegen einer Straftat im Zusammenhang mit Terrorismus abgesessen haben. Die Union hätte diese Schwelle gerne auf ein Jahr abgesenkt. Drittens will das Bundesinnenministerium voraussichtlich bei der Kabinettssitzung in zwei Wochen vorschlagen, dass auch diejenigen eine Fußfessel tragen sollten, die ausreisepflichtig sind und eigentlich in Abschiebehaft müssten, weil der Verdacht besteht, dass sie untertauchen könnten.

Eine Fußfessel vibriert, wenn ihr Träger eine Verbotsgrenze überschreitet. "Aber es hängt keine Stahlkugel daran", sagt Sabine Schäfer, es würden keine Elektroschocks ausgegeben, und die Halterung aus Gummi lasse sich leicht durchtrennen. Bei einem medizinischen Notfall müsse das ohne Spezialwerkzeug gehen. Auch Rafik Y. hatte die Halterung einfach durchtrennt.

Die kleinste Verbotszone umfasst einen Quadratkilometer

Es genügt ein Schnitt mit der Rosenschere, schon ist Schäfer in ihrem Kontrollraum praktisch blind. Kontrollraum ist ohnehin ein großes Wort für das ehemalige Wohnzimmer in Bad Vilbel, einem Vorort von Frankfurt, in dem Schäfer arbeitet. Die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder (Gül), 2011 per Staatsvertrag errichtet, befindet sich in der einstigen Hausmeisterwohnung eines ehemaligen Amtsgerichts. Vor Schäfers Bildschirmen steht eine Tupperbox mit Chili con Carne und in einer Ecke des Raums eine Schale mit Futter für die Bürokatze. 15 Mitarbeiter arbeiten hier im Schichtdienst. Für lange Nächte, in denen wenig passiert, steht ein Fitnessgerät bereit.

Wenn der Alarm klingelt, machen sie Fernseher, Youtube und Musik aus und rufen die Zielperson auf dem Handy an. Der Mustertext dafür lautet: "Verlassen Sie die Zone sofort. Ich verfolge Ihren Weg hier am Bildschirm. Wenn Sie die Zone nicht unmittelbar verlassen, verständige ich die Polizei." So gestelzt sage man das aber selten, sagt Sabine Schäfer. Oft müssten sie oder ihre Kollegen die "Probanden" einfach deshalb anrufen, weil der Akku ihres Peilsenders fast leer sei, das bedeute, dass "wir Gefahr laufen, sie zu verlieren".

An der Wand im Büro hängt das Februar-Titelbild der Satirezeitschrift Titanic. "Regierung greift durch: Fußfessel für Gefährder", dazu eine Fotomontage des Lastwagens, den der Attentäter am Berliner Breitscheidplatz verwendete, festgehalten mit einer Wegfahrkralle. Ein böser Kommentar zur Debatte. Frage also: Können Peilsender Terrortaten verhindern?

Junge Fanatiker statt ältere Männer

Bei einem Attentäter, der mit seinem Leben abgeschlossen hat, sicher nicht, so sehen sie das in Bad Vilbel. Bei Straftätern, die noch Kosten und Nutzen kalkulieren, aber durchaus. Wenn der Träger einer Fußfessel eine Straftat begeht, kann er mit großer Wahrscheinlichkeit überführt werden, sein Entdeckungsrisiko schnellt in die Höhe - und bei Personen, die für den Abschreckungseffekt des Strafrechts nicht ganz verloren seien, bedeute das schon etwas.

Nähert sich der Fußfessel-Träger unerlaubt einem gesperrten Bezirk - etwa dem Bereich, in dem ein Stalking-Opfer lebt -, dann können die Überwacher die Polizei losschicken, um den Täter zu suchen. Sie können aber auch das gefährdete Opfer alarmieren und eine Streife zu ihrem Schutz schicken. Die Erfahrung zeigt: Meist genügt schon die bloße Drohung mit einer Verbotszone. Eine Verbotszone zu verletzen, ist eine Straftat. Die derzeit größte Verbotszone umfasst ein Bundesland, die kleinste nur einen Quadratkilometer. Umgekehrt kann ein Mensch mit der Fußfessel auch in eine Gebotszone eingesperrt werden, zum Beispiel in einen Landkreis.

Sollten demnächst auch Islamisten auf diese Weise überwacht werden, würde sich Schäfers Klientel sehr ändern. Bisher sind es großteils ältere Männer, sie haben viele Jahre Gefängnis hinter sich und sind "recht wenig mobil", sagt Sabine Schäfer. Und sie seien gewohnt, sich im Umgang mit der Justiz an Regeln zu halten. Das würde sich ändern, wenn man es mit jungen, mobilen Fanatikern zu tun bekomme.

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