Katastrophe in New York:Das fatale Feuer auf der "General Slocum"

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Der abgebrannte Schaufelrad-Dampfer "General Slocum" liegt auf diesem Foto aus dem Jahre 1904 bereits auf dem Grund des East River. (Foto: Foto: dpa)

Eine Ausflugsfahrt auf einem Schaufelraddampfer endet 1904 in einem Inferno - mehr als 1000 deutsche Einwanderer sterben im New Yorker East River. Das Unglück bedeutete auch das Ende des Viertels Kleindeutschland.

Von Andrian Kreye

Der 15. Juni 1904, an dem der Brand auf dem Schaufelraddampfer "General Slocum" ausbrach, der als schlimmste aller Katastrophen vor den Anschlägen des 11. September in die Geschichte der Stadt New York eingehen sollte, war einer jener Sommertage, an denen sich über der Atlantikküste ein azurblauer Himmel wölbt und ein warmer Sommerwind durch die Straßenschluchten weht.

Ein idealer Tag für einen Ausflug, um der Schwüle zu entkommen, die sich auf Manhattans ärmlicher Ostseite schon im Frühling in den Mietskasernen anstaute. Deswegen war die Freude auf dem 3rd Street Pier am East River auch besonders groß, als gegen acht Uhr Morgens der siebzig Meter lange Ausflugsdampfer anlegte, der die Gemeinde der St. Mark's Lutheran Church zu einem Picknick am Sund von Long Island bringen sollte.

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Die Kirche auf der Sechsten Straße war eines der Zentren jenes Viertels zwischen der Houston und der 14th Street, das ihre Bewohner damals "Kleindeutschland" nannten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts stellten die Deutschen das größte Kontingent neuer Einwanderer.

Kein Wort Englisch in mancher Straße des Viertels

Um die Jahrhundertwende war New York nach Berlin und Wien die drittgrößte deutschsprachige Gemeinde der Welt, und die meisten deutschen Einwanderer begannen ihr amerikanisches Leben auf der Lower Eastside von Manhattan.

Kleindeutschland war ein Phänomen. Hier gab es deutsche Bierschwemmen, Musikhallen, Pensionen, Büchereien, und in der vierten Straße residierte der Turnverein, der mit seinen Versammlungsräumen und seinem Bierkeller das weltliche Zentrum der Gemeinde bildete.

Kleindeutschland war das erste Einwandererviertel Amerikas, in dem in Dutzenden von Straßenzügen kein Wort englisch gesprochen wurde. Darum hatten die Einheimischen die deutschen Einwanderer auch zunächst mit Skepsis begrüßt. Deutsche, so das gängige Vorurteil, sprechen kein Englisch, trinken zu viel Bier und sind Sozialisten.

Weil in Kleindeutschland jeder jeden kannte, wussten so ziemlich alle im Viertel von der Dampferfahrt. 350 Dollar Charter hatte Pastor George Haas für die "General Slocum" bezahlt. Das einstmals schicke Vergnügungsboot war zwar schon etwas heruntergekommen, fasste aber immerhin knapp zweitausend Passagiere, verfügte über mehrere Schenken und ein Speiselokal.

Zehn Minuten nach halb zehn legte die "General Slocum" vom 3rd Street Pier ab. Über 1300 Mitglieder der Gemeinde hatten sich eingefunden. Auf einem Foto sieht man die Ausflugsgäste an Deck, die meisten im schweren Sonntagsstaat, wie damals üblich für einen Tag am Strand.

Für viele war dies die erste Bootsfahrt seit ihrer Emigration, für die meisten Kinder die erste ihres Lebens. Einige hatten sich etwas gefürchtet, denn schwimmen konnten um die Jahrhundertwende nur die wenigsten, doch Pastor Haas hatte sie beruhigt.

Mit Kapitän William Van Schaick, der das Boot seit seiner Jungfernfahrt führte, hatte man einen erfahrenen Kapitän angeheuert, der erst vor wenigen Monaten eine Auszeichnung dafür bekommen hatte, dass er schon 35 Millionen Passagiere befördert hatte.

Rauch unter Deck

Die Kapelle des Musikprofessors George Maurer spielte "Ein' feste Burg ist unser Gott". Es gab Muschelsuppe, Bier und Eiskrem. Doch wenige Minuten nach dem Ablegen entdeckte ein kleiner Junge Rauch unter Deck.

Ein Funke, wahrscheinlich von einem achtlos weggeworfenen Zigarettenstummel oder Streichholz hatte einen der Strohballen entflammt, in denen die Bierkrüge transportiert worden waren. Was dann geschah, gilt bis heute als eine fatale Verkettung von Fehlern.

Kapitän Van Schaick hätte sofort anlanden können, doch an den Ufern des East River standen Öl- und Holzlager, darum beschloss er, Kurs auf North Brother Island zu nehmen, auf dem nur ein Hospital für ansteckende Krankheiten stand. Der Fahrtwind fachte die Flammen an, die nun bis zum Oberdeck schlugen. Panik brach aus.

Die Rettungsboote ließen sich nicht klarmachen. Die Mannschaft flüchtete, anstatt zu helfen. Die ersten Passagiere griffen sich Schwimmwesten und sprangen über Bord. Doch die Westen waren veraltet, der Kork längst porös. Versäumnisse der Firma, die während des Prozesses später zu historischen Änderungen im Seerecht führten.

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Dann endlich landete das Schiff am Ufer der Insel, doch der Bug verkantete sich im Sand. Die Menge aber, die zum Heck geflüchtet war, stand nun über einem Abgrund vier Meter tiefen Wassers. Für Nichtschwimmer eine tödliche Falle.

Und selbst wer schwimmen konnte, lief Gefahr, von den Ertrinkenden geklammert oder vom schweren Sonntagsstaat in die Tiefe gezogen zu werden. Die Patienten von North Brother Island eilten hinzu, ein Hafenschlepper, sie alle versuchten zu helfen. Vergeblich. Nur ein paar Hundert wurden gerettet.

Über eintausend Menschen starben beim Feuer der "General Slocum". Tiefe Trauer legte sich über Kleindeutschland. Es gab kaum jemanden, der nicht Verwandte oder Freunde verloren hatte.

Eine Selbstmordwelle unter Vätern, die ihre Familien verloren hatten, erhöhte die Zahl der Toten um mehrere Dutzend. Die Gemeinde erholte sich nie wieder. In den folgenden Jahren wanderten fast alle deutschen Familien aus dem Viertel ab.

Mit dem Weltkrieg endete die Trauer

Lange war das Unglück in Vergessenheit geraten. Der Prozess galt zunächst als Meilenstein des Arbeitskampfes, weil erstmals Korruption und unternehmerische Gier verhandelt wurden. Bis beim Brand in einer New Yorker Hemdenfabrik sieben Jahre später.

Ein weiteres Jahr später überschattete der Untergang der "Titanic" die Seefahrtsgesichte. Schließlich kam mit dem Ersten Weltkrieg eine Rückkehr der antideutschen Ressentiments und das Ende der öffentlichen Trauer um die "Slocum".

Von der deutschen Gemeinde New Yorks findet man heute nurmehr wenige Spuren. Seit mehr als drei Jahrzehnten kennt man das ehemalige Kleindeutschland als Bohemeviertel East Village. Im Turnverein residiert das avantgardistische La Mama Theater.

Die St. Marks Lutheran Church ist heute das Community Synagogue Center. Das wird demnächst renoviert, Architekt ist Daniel Libeskind, der Architekt des Freedom Towers, welcher der inzwischen größten Katastrophe in der Geschichte New Yorks gedenkt.

© SZ vom 15.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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