Ein Tag im Borchardt:Das Schnitzel ist der Anlass, das Publikum ist die Show

Borchardts

Dame mit Dalmatiner vor Edelrestaurant: Im Borchardt darf nicht fotografiert werden. Wie auch das Berghain lebt der Laden von seinem Ruf, dass die Gäste sich hier unbeobachtet vorkommen.

(Foto: Regina Schmeken)

Zur Berlinale gehen sie wieder alle ins "Borchardt": Filmteams und Leute auf der Jagd nach einem guten Abend. Ein Tag in Berlins berühmtem Promi-Restaurant, wo man findet, was man dort nicht suchte.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Es ist Punkt zwölf Uhr mittags, Joachim Löw sitzt mit blonder Begleitung im inneren Kreis. Eingerahmt von vier eleganten Säulen, die den hohen, stuckverzierten Raum in einen Innen- und einen Außenbereich teilen, bespricht er eindeutig PR-Strategien.

Allerdings gehört es sich nicht, hinterhältig belauschte Gespräche zu veröffentlichen, Fotos oder Interna aus dem Borchardt sind unerwünscht. Weil hier ein ähnliches Motto herrscht wie im Berghain ("What happens in Berghain, stays in Berghain"). Trotzdem möchte man wissen, was dieser Laden anders macht als die Konkurrenz, die neidisch ist auf so viel Prominenz und gut zahlendes Stammpublikum. Man würde gerne verstehen, warum sich das Borchardt seit 25 Jahren in der Hauptstadt hält wie eine eherne Institution, während sich rundherum Berlin so rasend verändert.

Da bietet es sich an, während der Berlinale einen Tag an dem Ort zu verbringen, wo nicht einmal Altkanzler Helmut Kohl sich in ein Gästebuch eintragen durfte und Börsenguru George Soros angeblich daran scheiterte, den Küchenchef als seinen Privatkoch abzuwerben.

Das ist doch nicht die Berliner Luft?

Wie passt so viel Abgehobenheit zu Berlin, zu einer Stadt, die an anderen Orten so derbe am Boden ist, dass es schon fast wehtut? Der verfluchte Flughafen, der ewig knappe Stadthaushalt, die berühmte Pleitegeier-Attitüde, die von Politik und Stadtmarketing geschickt in den Slogan "Arm, aber sexy" umgedeutet wurde, die vielen Obdachlosen, Punks, Bettler, der höchste Anteil an Sozialhilfeempfängern deutschlandweit. Es vergeht kaum ein Monat, in dem man in Berlin nicht von einem Taxifahrer angepumpt wird - wohlgemerkt zusätzlich zum Trinkgeld.

Auch in anderen europäischen Metropolen driftet die Schere zwischen Arm und Reich auseinander, mit den bekannten Folgen, vor denen Soziologen schon seit Jahrzehnten warnen. Nur in Berlin wirkte das lange weniger explosiv. Ist die berühmte Lässigkeit Ausdruck von superber Coolness oder nur von gut getarnter Wurschtigkeit, um die Probleme zu verdecken?

Solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, sitzt man auf der dunkelroten Polsterbank bei einer Flasche französischem Sprudelwasser für neun Euro und einem erstaunlich günstigen Mittagsmenü, Roastbeef mit Bratkartoffeln plus Salat für 14 Euro. Der Innenraum für knapp 200 Personen ist gut gefüllt, auch der Innenhof bietet trotz äußerer Eiseskälte mittels Zeltüberbau und großen Blumengestecken nochmal so viel lauschigen Platz wie drinnen: In Januar und Februar wird hier traditionell eine Art Wintergarten angebaut; wegen des großen Andrangs zur Fashion Week und zur Berlinale.

Selbst mittags kommt es vor, dass man keinen Platz bekommt, doch die emsigen Kellner bemühen sich um jeden Gast. Jawohl, um jeden. Das scheint das erste Geheimnis des Borchardt zu sein. Angesprochen wird dezidiert ein zahlungskräftiges, gesetzteres Publikum. Kommt aber jemand an den Empfang, der diesen Attributen äußerlich nicht entspricht, ist das erst mal kein Problem. Berlin ist Berlin und ein Gast ist ein Gast. Mittags speisen hier auffallend viele Normalos Seit an Seit mit Schauspielern, Medienmenschen, Szenepublikum, Geschäftsleuten und schnieken Senioren.

Diese ganzen Leute mit Burnout!

Sobald der Gast sitzt, kommt die Speisekarte, die Hummersuppe folgt binnen Minuten. Am Nebentisch Tisch erzählt die amerikanische Gattin eines Filmproduzenten, warum sie keinesfalls dessen Firma managen möchte: Die meisten Mitarbeiter würden doch irgendwann über Burnout klagen. Es sei ein absoluter Albtraum ("A nightmare!"), für all deren Wehwehchen zuständig zu sein.

Es geht gesittet und geschäftig zu, die Kellner sind schnell und diskret. Trotzdem macht sich schon kurz nach Öffnung des Ladens eine Atmosphäre breit, die am ehesten mit Verbrüderung zu beschreiben wäre: Gäste stehen auf, wandern von Tisch zu Tisch, begrüßen diesen und jenen. Kai Diekmann erzählt beim Rausgehen schnell von seinen Urlaubserlebnissen, bevor er pünktlich um 14 Uhr wieder im Büro sein müsse. Die Damen am Nachbartisch wundern sich, ob da nicht schon sein Nachfolger sitzt. Julian Reichelt wird pflichtbewusst erst nach Feierabend hier aufschlagen.

Um die Mittagszeit ist das Borchardt nicht mehr als ein gehobenes Berliner Speiserestaurant. Relativ zünftige Karte, kleine Mittagsportionen und die berühmten Riesenschnitzel an lauwarmem Kartoffelsalat, die man hier so gerne isst. Die goldenen Messinghandläufe über den Sitzbänken erschweren allzu neugierige Blicke von Fremden auf den eigenen Teller und zum Promipaar am Nachbartisch. Es ergibt sich ein halbwegs entspanntes Sehen und Gesehenwerden, in der Kantine der Berliner Medienrepublik tun sie ihren Dienst beflissen und angenehm unaufgeregt. Doch dann kommt der Abend und alles wird anders.

Der Besitzer wirkt fast luzide - er ist überall und nirgendwo zugleich

Rauschten nachmittags nur wenige Limousinen vorbei, um Grüppchen geschäftiger Gäste auszuspucken, die sich zwischen Filmfest-Vorführungen gemütlich eine Kalbsleber zu Weißwein gönnen, füllt sich das Restaurant ab 18 Uhr immens. Immer mehr und immer größere Gruppen von für Berliner Verhältnisse stark aufgebretzelten Menschen trudeln ein, und man fragt sich schon um 19 Uhr, wo die noch alle hin sollen. Doch wie durch ein Wunder verteilen die ebenfalls immer mehr werdenden Kellner auch die größten Filmfest-Gruppen noch standesgemäß auf die begehrten Plätze. Ein winziger Mönch hockt wie selbstverständlich zwischen grazilen Aufnahmeleiterinnen, ein riesiger Regisseur springt aufgeregt zwischen allen Tischen umher.

Borchardts

Als das Restaurant vor 25 Jahren in der Französischen Straße eröffnete, krähte noch kein Hahn nach dieser Adresse, mitten in der leeren Mitte Berlins.

(Foto: Regina Schmeken)

Vom Hippie zum Millionär

Man sieht es ihm nicht an, doch der Löwenbändiger dieses Zirkus` ist Roland Mary. Der zierliche Mann mit dem hippen Haarschnitt und dem Tweedjackett wirkt so alterslos wie berlinerisch und fast luzide. Er ist da und bleibt trotzdem stets im Hintergrund. Einzelne Gäste begrüßt er schon am Eingang mit Handschlag, zu anderen setzt er sich im Laufe der Nacht an den Tisch. Ganz kurz oder auch sehr lange. Der 65-Jährige ist der Besitzer des Borchardt, der vor 25 Jahren diesen damals heruntergerockten Raum von einer Ex-Diskothek zu einer Legende gemacht hat. Wie und warum ihm das gelungen ist, hängt wohl untrennbar mit seiner eigenen Person zusammen.

Mary, geborener Saarländer und ehemaliger Hippie, hat in seinem Buch "Gefahrenzone", das er trotz aller nötigen Diskretion einst über das Borchardt schrieb, verraten, was ihn vom Buddhismus zum Kapitalismus umschwenken ließ und schließlich zum Großgastronomen machte: In jungen Jahren sei er noch auf der Suche nach seinem Inneren gewesen. Als er gemerkt habe, dass da nichts sei, habe er sich dem Äußeren zugewandt, der Welt des schönen Scheins. Mary gibt teils sehr witzige und teils sehr offene Interviews, und so ist er auch an diesem Abend: Lustig, gesellig, offen - und dann wieder ganz schnell weg. Es warten wahlweise: der nächste Gast, seine Exfrau, sein Sohn, Thomas Gottschalk. Auch der schwebt hier am späteren Abend ein, seine Gattin ist nun so blond wie er.

Die Lady vom Katzentisch beschwert sich über den Fisch

Dass hinter dieser scheinbaren Unangestrengtheit sehr viel Arbeit stecken muss, das wissen Mary und sein Borchardt gut zu verbergen. Was auch schon das Hauptgeheimnis sein dürfte, warum sich der Laden seit einem Vierteljahrhundert hält. Gleich nebenan punktet das edle Bocca di Bacco mit italienischer Opulenz, ein Stück weiter protzt das Grill Royal mit sehr viel Fleisch und direktem Blick auf die Spree. Doch die erste Adresse für Prominenz in Berlin ist immer noch das Borchardt mit seiner urigen Mischung aus Tradition und Leichtigkeit. Was man bei einem Promi-Restaurant gar nicht erwarten würde: Es ist richtig entspannt hier. Ganz anders als etwa Unter den Linden im ebenfalls berühmten Einstein, wo sich die Kellner schon an normalen Tagen an Anspannung überbieten.

Dabei sind die Gäste wirklich nicht die einfachsten. In den Wintergarten schlurft eine nachlässig gekleidete ältere Dame mit elegantem jungen Herrn. Sie wird sich zwei Stunden lang missmutig darüber beschweren, "an den Katzentisch" gesetzt worden zu sein. Obwohl sie von hier aus den besten Blick über das gesamte Geschehen hat. Auch das Essen schmeckt ihr nach eigener Aussage heute so gar nicht. Die silberne Etagere mit Schalentieren auf Eis wird dennoch blitzschnell geleert.

Fast pariserisch mutet der Laden an, wie ein gehobenes Bistro an der Seine. Man verzichtet auf viel Dekor, auf die Tische kommen gestärkte weiße Tischdecken, weiße Teller mit Logo, Gläser und Silbersteck - fertig. An der Wand eine einzelne römische Frauenfigur, sonst nur gedecktes Licht. Helmut Dietl soll sich deshalb demonstrativ eine Kerze mitgebracht haben, für mehr Heimeligkeit. Doch der Besitzer beharrt darauf: Hier ändert sich nichts an der Optik.

Genauso wenig wie sich an der Speisekarte etwas ändert. Während rundherum die Berliner Gastronomie Purzelbäume schlägt, von der Fleischbegeisterung zu veganem Essen und wieder zurück zur Paleo-Küche, bleibt man hier beim Riesenschnitzel, Rindertatar und feinem Fisch. Einzig die Süßkartoffelpommes sind eine Referenz an den Zeitgeist.

In diesem Restaurant geht es nicht ums Essen

Beim Essen soll alles stimmen, das ist der Anspruch, eine Sterneküche gibt es aber nicht. Viel wichtiger ist der Unterhaltungsfaktor: "Man will mit vielen Leuten zusammen sein und gleichzeitig nichts mit ihnen zu tun haben. Das ist so ein undefiniertes Gemeinschaftserlebnis. Rein wegen des Essens geht, glaube ich, keiner ins Restaurant", sagte Mary der Berliner Morgenpost. Den Begriff Promi-Restaurant hört er trotzdem ungern. "Wir sind kein Schnöselladen" betont er in Interviews. Sein Publikum soll sich mischen, sonst ist der Reiz schnell weg.

Die Gäste sind zu den Kellnern am Eingang fast unterwürfig, mit zunehmendem Alkoholspiegel steigen dann Laune und Mut. Man flaniert frei durch den Raum, zu den anderen Prominenten oder zu Mary an die Empfangsbar. Im Keller wartet eine schwarze Couch unter einem Nina-Hoss-Filmplakat auf Raucher, hier lässt sich die schöne Esther Schweins von Fliegenträgern anquatschen. Am späten Abend ist das Borchardt kein Restaurant mehr, es ist selbst eine Filmszene, wie bei "Rossini". Wenigstens ist Vroni Ferres heute nicht da. Das Schnitzel ist nur der Anlass, das Publikum ist hier die Show.

Doch auch das ist nur die Oberfläche. Eigentlich geht es um mehr. Menschen wollen Anerkennung, die bekommen sie hier. Alles muss so selbstverständlich sein, als wäre die Welt da draußen genauso problemlos und angenehm leicht wie alles hier drinnen. Das ist das Märchen, das Mary seinen Gästen auftischt - und er lässt es sich tüchtig versilbern.

Essen ist ja nun das neue Feiern

Aber auch Berlin verändert sich, wieder einmal. Schön und teuer ist es nicht mehr nur in Mitte. Auch anderswo leistet die Gentrifizierung ganze Arbeit, man kommt sich stellenweise vor wie in München. Der wilde Geist der Neunziger lebt noch am ehesten in den hungrigen Augen der Touristen fort, die hier eine Partykultur suchen, die es längst nicht mehr gibt. Stattdessen ist Essen nun das neue Feiern. Und auch da ist das Borchardt wieder mittenmang dabei.

Nachts um zwei Uhr ist immer noch alles voll, die Gäste ebenfalls, keiner will nach Hause gehen. Ist doch gerade erst so schön gemütlich geworden. Heino Ferch, der deutsche Bruce Willis, wagt sich jetzt aus dem inner circle der schützenden vier Säulen hinaus, der so etwas wie eine Bannmeile für die Prominenz ist. Drinnen sitzen bekannte Promis, draußen auch vornehme Liebespaare oder schwedische Schriftsteller. Ferch umarmt ein ganzes Filmteam, das im Wintergarten Platz gefunden hat. Anna Loos und Jan-Josef Liefers bleiben dagegen brav auf ihren Sitzen kleben, während ein volltrunkener älterer Serienschauspieler von überaus verständigen Kellnern aufgefangen wird.

Morgens um 5 ist dann aber doch mal Schluss. Ein Putzmann reinigt den Mosaikboden, ein schimpfender Lieferant schafft neue Ware in den Keller. Der Schampus will aufgefüllt werden. Der nächste Berlinale-Tag ruft.

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