Ein Jahr nach Winnenden:Der Schmerz bleibt

Während dicke Schneeflocken wirbelten, hielten sich 900 Schüler der Albertville-Realschule an den Händen und bildeten eine Menschenkette - zum Gedenken an den Amoklauf, der vor einem Jahr an der Schule geschah.

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winnenden, apn

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Dicke Schneeflocken wirbelten um das Schulgebäude der Albertville-Realschule in Winnenden, in dem seit einem Jahr - seit dem Amoklauf von Tim K. am 11. März 2009, bei dem 15 Menschen getötet wurden - kein Unterricht mehr stattgefunden hat. Minutenlanges Glockenläuten begleitete die Gedenkminute um 9:33 Uhr, dem Zeitpunkt des Massakers. Schüler lagen sich in den Armen, einige weinten, legten Blumen nieder. Auch ein Jahr danach leiden viele von ihnen unter den psychischen Folgen der Tat, der Unterricht findet seither in Containern auf dem Sportplatz statt.

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winnenden, ddp

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In ganz Baden-Württemberg sind an öffentlichen Gebäuden die Fahnen auf Halbmast gesetzt - die Landesregierung hat Trauerbeflaggung angeordnet. 300 Polizisten sind in Winnenden im Einsatz, viele von ihnen in ziviler Kleidung. In Gedenken an die Getöteten hatten sich die Schüler im nichtöffentlichen Teil der Gedenkveranstaltung bereits um 7:45 Uhr versammelt. Jedem einzelnen Toten sind bei der Gedenkfeier Bildersequenzen aus seinem Leben gewidmet, die auf einer großen Videoleinwand gezeigt werden. Der Raum ist abgedunkelt, es werden Gedichte vorgetragen. Immer wieder ist ein Schluchzen zu hören. Ein "Lebensbaum" wird mit Symbolen für die Toten geschmückt - ein Herz, eine Sonne, ein Stern, ein Fußball, eine Katze und ein Notenschlüssel. Der Baum soll später auf dem Schulgelände seinen Platz finden.

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Rosen im Schnee, Getty Images

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Die Schule wird momentan renoviert und umgebaut, gegen einen Abriss sprachen sich die Schüler ausdrücklich aus. Ebenso zeigen sie mit bunten Kapuzenpullovern, die mit dem Schriftzug "Ich lebe meinen Traum" bedruckt sind, dass sie nicht zulassen, dass Tim K. als eine Art Sieger ihr weiteres Leben bestimmt. Als der offizielle Teil der Veranstaltung beginnt, haben sie nasse Haare und rotgefrorene Hände - doch darauf kommt es nicht an, sie scheinen es nicht einmal zu merken. Sie selbst haben die Dramaturgie für die Gedenkfeier mitgestaltet, als Trauerarbeit und im Gedenken an ihre Freunde. Sie haben viel verloren: Freunde, Mitschüler, Sicherheit in der Schule. Und doch ...

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Winnenden, Horst Köhler, AP

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... schauen sie in die Zukunft und wollen zum Zeichen daran aus großen Kieseln, auf die Wünsche geschrieben werden, symbolisch einen "Weg in die Zukunft" bauen. Große Steinplatten mit einer roten Rose daneben, in die die Namen der Getöteten eingraviert sind, ordneten sie im Kreis an. "Wir wollen nicht, dass er unser Leben beherrscht, deshalb gehen wir unseren Weg weiter", sagte ein Schüler. Doch: Nach solchen Ereignissen kann man nicht zurück zur Normalität. "Wir dürfen unsere Hoffnung nicht verlieren, denn dann können wir jeden Tag versuchen, unsere Träume zu leben, damit sie wahr werden", fügte ein Mitschüler hinzu.

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Horst Köhler, ddp

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Bundespräsident Horst Köhler zeigte sich betroffen: "Da ist viel Schlimmes, was wir teilen müssen: Einsamkeit, Leere, Sinnlosigkeit, Verzweiflung, Angst. Und auch Hass", sagte er. Dennoch dachte er neben den Namen der Getöteten auch an die Eltern von Tim K.: "Und ich füge auch heute hinzu: Auch die Familie des Täters hat ein Kind verloren. Auch für sie ist eine Welt zusammengebrochen."

Köhler forderte die Politik auf, das Waffenrecht weiter zu verschärfen. Die jüngste Novellierung des Waffengesetzes durch den Bundestag sei ein Zeichen dafür, dass ein Umdenken begonnen habe, die Parlamente und Regierungen des Bundes und der Länder sollten diesen Prozess aber weiter voranbringen - "und die Schützenvereine sollten ihnen dabei helfen".

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Winnenden, Stefan Mappus, Astrid Hahn, dpa

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Köhler appellierte an die Gesellschaft, sich gemeinsam gegen eine drohende Verrohung zur Wehr zu setzen und Grenzen zu ziehen. Die Meinungen der Wissenschaft darüber, ob Videospiele Handlungsanleitungen für potentielle Täter seien, gingen auseinander. Einen besonderen Appell richtete Köhler an die Medien. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass detaillierte Berichterstattung über die Täter, ihre Motive, ihre Planungen, ihre Vorgehensweise sowie Tatablauf, Kleidung und Waffen Nachahmer auf den Plan rufe. "Ich schließe mich deshalb dem Expertenrat der baden-württembergischen Landesregierung an: Wir brauchen klar definierte Berichterstattungsregeln, die gemeinsam mit den Medien erarbeitet werden; wir brauchen einen medienübergreifenden Pressekodex im Geist der Prävention." Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU, im Bild Mitte) sowie mehrere Mitglieder seines Kabinetts nahmen an der Gedenkfeier teil. "Ihr seid so stark", dankte Rektorin Astrid Hahn (im Bild rechts) den Schülern, und forderte sie auf, auch in Zukunft zusammenzuhalten, keinen zurückzulassen.

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Winnenden, Trauerfeier, Getty Images

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Überschattet wurde die Trauerfeier von einer Amokdrohung in einer Schule im schleswig-holsteinischen Schönberg (Kreis Plön). Nachdem ein Mitarbeiter in einer Toilette der Gemeinschaftsschule Probstei mit 1100 Schülern auf einem Spiegel das Wort "Amoklauf" entdeckt hatte, wurde die Schule geschlossen. Wenige Tage zuvor soll eine andere Kritzelei Bezug auf den Amoklauf von Winnenden genommen haben.

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(Text: apn/dpa/ehr)

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