Ein Anruf bei ...:Stina Näslund, Spezialistin für mobiles Kinderkriegen

Stina Näslund ist gelernte Krankenschwester, seit Kurzem bringt die Schwedin Eltern bei, wie man im Auto ein Baby zur Welt bringt. Ein Gespräch über Teelichter, Eltern und Tannenzweige.

Interview von Silke Bigalke

Stina Näslund ist gelernte Krankenschwester und verantwortlich für das Kursprogramm des schwedischen Arbeiterbildungsvereins. Seit kurzem haben sie da einen Kurs im Angebot, in dem Eltern gezeigt bekommen, wie man im Auto ein Baby zur Welt bringt.

SZ: Wie kommt man denn auf so eine, sagen wir mal: ungewöhnliche Idee für einen Kurs, Frau Näslund?

Stina Näslund: Wir hatten eine Entbindungsstation in Sollefteå, so lange ich denken kann. Jetzt sind die Leute schrecklich besorgt, weil sie zwischen 100 und 200 Kilometer ins nächste Krankenhaus fahren müssen, entweder nach Sundsvall oder nach Örnsköldsvik. Das ist eine lange Fahrt und das Baby könnte unterwegs kommen. Kennen Sie die Straße von Sollefteå nach Örnsköldsvik?

Nein.

Es gibt überhaupt kein Licht, man muss durch den Wald fahren, es ist dunkel, nichts außer Schnee und wilden Tieren. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Unfall mit einem Elch. Dann stecken Sie fest.

Klingt ungemütlich.

Das ist aber noch nicht alles. Die Straße ist wirklich eng, es gibt kaum Platz, um anzuhalten. Und in der Gegend sind oft schwere, mit Baumstämmen beladene Lastwägen unterwegs.

Wenn dann die Wehen einsetzen ...

Ein Anruf bei ...: Manches Motiv könnte in Schweden eine neue Bedeutung bekommen.

Manches Motiv könnte in Schweden eine neue Bedeutung bekommen.

(Foto: mauritius images)

Ganz grundsätzlich ist erst einmal wichtig, eine Schneeschaufel dabei zu haben und Tannenzweige. Wenn man die unter die Wagenräder legt, kommt man im Schnee besser weg. Für einige Straßen in Schweden gibt es die Regel, dass Schnee innerhalb von drei Stunden geräumt sein muss. Aber nicht hier. Hier kann es acht Stunden dauern. Deswegen brauchen die Fahrer einen Plan, falls sie stecken bleiben.

Und wenn das Baby kommt? Dann müssen sie eh anhalten.

Das Wichtigste ist dann, warm zu bleiben. Wir sagen den Eltern, dass sie Decken und Teelichter mitnehmen sollen. Es klingt seltsam, aber nur drei Teelichter können ein Auto tatsächlich schon einigermaßen wärmen. Wir zeigen dem Vater, wie er die Mutter auf den Rücksitz betten kann. Er sollte eine Stirnleuchte tragen, damit er die Hände frei hat. Und Kopfhörer für sein Handy. Wenn das Handy Empfang hat, zuerst den Krankenwagen rufen. Und während die Eltern auf den Krankenwagen warten, sollten sie ihre Hebamme anrufen, damit sie sie anleiten kann.

Ein Anruf bei ...: Stina Näslund, 58, leitet den schwedischen Arbeiterbildungsverein (ABF) in Sollefteå, etwa 500 Kilometer nördlich von Stockholm. Der ABF bietet unter anderem Sprachkurse an, Kochkurse und Yogakurse.

Stina Näslund, 58, leitet den schwedischen Arbeiterbildungsverein (ABF) in Sollefteå, etwa 500 Kilometer nördlich von Stockholm. Der ABF bietet unter anderem Sprachkurse an, Kochkurse und Yogakurse.

Und wenn es keinen Empfang gibt?

Dann muss der Vater die Hebamme ersetzen. Am wichtigsten ist es, ruhig zu bleiben, die Mutter moralisch zu unterstützen und zu tun, was man in den Geburtsvorbereitungskursen gelernt hat. Wir bringen den Eltern bei, wie sie mit dem Baby umgehen sollen, wenn es geboren ist, wie es warm halten. Klar ist: Eltern sollten ihre Kinder nicht allein auf die Welt bringen. Kein Krankenhaus sagt so etwas. Aber wir haben beschlossen, die Sorgen der Eltern ernst zu nehmen. Der Kurs wird von zwei Hebammen geleitet und bereitet sie so gut es geht für den Notfall vor.

Schweden ist ein reiches Land. Warum müssen Eltern da durch?

Schwedens Gesundheitssystem ist nicht mehr, was es einmal war. Entbindungsstationen werden überall im Land geschlossen und es geht immer ums Sparen. Unsere Provinz, Västernorrlands län, schließt unsere Station, um 15 Millionen Kronen (etwa 1,6 Millionen Euro) im Jahr zu sparen. Und die Eltern sollen woanders ihre Kinder zur Welt bringen.

Die werden nun in Ihren Kurs kommen.

Man kann sich seit Mittwoch anmelden und wir haben bereits neun Eltern, die kommen wollen. Ich denke, es werden noch viel mehr. Und ich weiß, dass andere Gemeinden nun ähnliche Kurse planen. Aber wir sind die ersten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: