Echte Kreuzigung an Karfreitag:Ins eigene Fleisch

Echte Kreuzigung an Karfreitag: Schweres Gelübde: Ruben Enaje bei einer früheren Kreuzigung. An diesem Freitag will der Grafiker die Marter zum letzten Mal auf sich nehmen.

Schweres Gelübde: Ruben Enaje bei einer früheren Kreuzigung. An diesem Freitag will der Grafiker die Marter zum letzten Mal auf sich nehmen.

(Foto: Ted Aljibe/AFP)

An diesem Karfreitag will sich Ruben Enaje zum 27. Mal ans Kreuz schlagen lassen - mit echten Nägeln. Er habe es Gott versprochen, sagt der Philippiner. Weil der ihn und seine Familie stets beschützt habe.

Von Arne Perras

Wie seine Hände und Füße jetzt wohl aussehen? Einerseits möchte man gar nicht daran denken, andererseits ist ein Blick auf Hände und Füße unverzichtbar, um die Geschichte von Ruben Enaje zu erzählen, jenem Mann auf den Philippinen, der sich an diesem Karfreitag zum 27. Mal kreuzigen lassen will.

Er hält also seine Hände in die Höhe, er öffnet die Handflächen und dreht sie hin und her, damit sich der Besucher selbst ein Bild machen kann. Aber da ist nichts. Keine sichtbare Spur einer Narbe. Auch seine Füße, die an diesem Nachmittag in grünen Flipflops stecken, verraten nichts von den Verletzungen der vergangenen 26 Jahre. Nur wer mit dem Daumen über die Lebenslinie der rechten Hand fährt, spürt in der Mitte eine Wölbung. Das ist die Stelle. Dort treibt der Hammer den Nagel ins Fleisch.

"Es dauert jedes Mal drei Monate, bis die Wunden verheilt sind," sagt Enaje. Am Freitag ist es wieder so weit. Ein letztes Mal noch, sagt der Mann mit den schwarzen schulterlangen Haaren. Dann hat er 27 Kreuzigungen hinter sich und möchte aufhören. Siebenundzwanzig. Das ist keine zufällige Zahl, wie er noch erklären wird.

Die Kreuze hat er selbst gezimmert

Wer den 52-jährigen Grafiker in den Tagen vor Ostern in seiner kleinen Werkstatt besucht, ahnt schon etwas von den schweren Stunden, die bald kommen. Zwei Kreuze lehnen an den Pfosten, Enaje hat sie selbst gezimmert. Das leichtere von beiden, 27 Kilogramm schwer, wird er am Freitag bei der Prozession durch die Straßen tragen. Das größere bringt er schon am Gründonnerstag zum Kreuzigungshügel, wo es dann auf ihn warten wird.

Manchmal spricht Enaje hastig, dann wieder mit langen Pausen. Er ist ein freundlicher Mann, der sich Zeit nimmt für seinen Gast. Aber nie während des Gesprächs findet er ein lockeres Wort. In jeder Bewegung, in jedem Satz steckt die Anspannung vor dem großen Schmerz. Von Angst will er nicht reden, auch nicht von Zweifeln. "Ich bin mir ganz sicher", sagt er. "Sonst würde ich das nicht schaffen."

Warum erträgt er diese Qualen? Was treibt ihn jedes Jahr ans Kreuz von San Fernando? In diesem Ort, 70 Kilometer nördlich von Manila, lassen sich schon seit den 50er-Jahren Männer - und selten auch Frauen - ans Kreuz nageln. Aber keiner ist so lange dabei wie Ruben Enaje, den jedes Kind in San Fernando kennt.

Angefangen hat alles mit einem tiefen Sturz. 1985 fiel Enaje bei der Arbeit vom Gerüst eines dreistöckigen Hauses. Es ging wahnsinnig schnell, aber es reichte für ein Stoßgebet zum Himmel, bevor er unten aufschlug und das Bewusstsein verlor. Als er erwachte und merkte, dass er noch lebte, war es wie ein Wunder für ihn. Enaje war kaum verletzt. "Deshalb wollte ich Gott danken", sagt er. Leidend am Kreuz.

Jesus von Nazareth starb in der neunten Stunde, also nahm sich Enaje vor, fortan neun Jahre lang zu danken. Aber dabei blieb es nicht. Eines Tages erkrankte seine Tochter, die Ärzte wussten nicht, ob sie das Kind durchbringen würden. Also legte Enaje ein zweites Gelübde ab: neun weitere Jahre am Kreuz, damit seine Tochter überlebte. Schließlich aber musste er auch noch um seine Frau bangen, eine Geschwulst wuchs an ihrem Hals, sie wurde größer und größer. Also versprach Enaje noch einmal weitere Kreuzigungen. Neun plus neun plus neun. Macht 27.

Echte Kreuzigung an Karfreitag: Man müsse den Schmerz hinausschreien, um ihn zu ertragen, sagt Ruben Enaje.

Man müsse den Schmerz hinausschreien, um ihn zu ertragen, sagt Ruben Enaje.

(Foto: AFP)

Nicht jeder wird gekreuzigt

An diesem Freitag also, wenn er erwacht, wird er sich zurückziehen und für zehn Minuten beten. Dann wird er nach draußen gehen und das Kreuz schultern. Auf dem Weg werden sich Dutzende andere mit selbstgebauten Geißeln den Rücken blutig schlagen, umringt von einer drängenden Menge. Fast zwei Kilometer wird Enaje das Kreuz durch die Straßen schleppen. Das Ziel, der Kreuzigungsplatz, ist ein aufgeschütteter Sandhügel, mit drei Metallschuhen, in denen drei Kreuze stecken. Enaje wird an diesem Tag nicht der Einzige sein, den sie dort oben festnageln. Mehr als 20 Namen stehen auf der Liste.

"Dass man sich kreuzigen lassen will, heißt noch lange nicht, dass man auch gekreuzigt wird", erklärt Mariano Castro vom Komitee der Organisatoren. "Wir verlangen ein medizinisches Zertifikat. Man sollte keinen Diabetes haben." Auch eine Altersgrenze haben sie festgelegt. Ein Gekreuzigter darf nicht älter als 55 Jahre sein.

Enaje kennt den Mann mit dem Hammer. Es ist sein Onkel. "Das ist gut so, denn ich traue ihm." Der Onkel mache das jedes Jahr und wisse genau, wo der Nagel durch muss. Enaje hat das Gefühl, dass es beim ersten Mal noch leichter war als die Jahre danach. Damals, 1986, schaute er sogar noch zu, wie sie die Nägel an den Händen einschlugen. Aber so wie er jetzt darüber spricht, sieht es so aus, als würde das letzte Mal der schwerste Gang seines Lebens.

Auf dem Tisch seiner Werkstatt steht ein Marmeladenglas voller Alkohol. Enaje schraubt den Deckel ab und zieht vier Stahlnägel heraus, jeder ist zehn Zentimeter lang. Sein Bruder hat sie eigens für ihn angefertigt. Enaje dreht das kalte Metall im Licht, sein Mundwinkel zuckt. Dann steckt er die Nägel wieder weg. "Du musst den Schmerz hinausschreien, um ihn zu ertragen", sagt er.

Schon öfters wollte er aufhören. Aber dann fühlte er sich so schlecht, dass sie ihn ins Krankenhaus einlieferten. Gefunden haben sie nie etwas. "Aber ich wusste: Ich muss weitermachen." Als er dann noch sah, dass seine Frau und seine Tochter nach seinen Gelübden wieder gesund wurden, hatte er alle Zweifel überwunden.

"Die Leute kommen auf dem Weg zu mir ans Kreuz, sie fassen mich an und sagen: Bete für mich." Das tut er dann dort oben, wenn er festgenagelt auf dem Sockel des Kreuzes steht. Zehn Minuten hält er das aus, dann holen sie ihn herunter, ziehen die Nägel heraus - was der schlimmste Moment ist - und tragen ihn zu den Sanitätern. Sie verbinden ihm die Wunden, geben ihm Schmerzmittel und Antibiotika.

Prozessionen, welche die Kreuzigung darstellen, gibt es vielerorts auf der Welt, meist aber werden die Schauspieler nur ans Kreuz gebunden. Nirgendwo fließt so viel Blut wie auf den Philippinen. Der Katholizismus ist dort tief verwurzelt. Spanische Missionare kamen mit den Kolonialherren im 16. Jahrhundert, heute ist die Kirche eine der mächtigsten Institutionen auf den Philippinen, 80 Prozent der 100 Millionen Einwohner bekennen sich zum katholischen Glauben.

Zweifelhaftes Spektakel

Zu den Kreuzigungen haben die Bischöfe ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits sagen sie, dass sie dazu nicht ermutigen wollen, was in San Fernando geschieht. Es sei nicht nötig, all diese Schmerzen auf sich zu nehmen, das habe Christus schon für die Menschen getan. Andererseits aber duldet die Kirche die Kreuzigungen.

Die Prozessionen locken jedes Jahr Tausende an, auch Touristen. Manche sprechen längst von einem zweifelhaften Spektakel. Einmal gab es auch Empörung, als sich ein Japaner kreuzigen ließ und hinterher herauskam, dass er als Pornodarsteller arbeitete und den Clip am Kreuz als Werbung nutzen wollte. Seither ist es Ausländern verboten, sich in San Fernando festnageln zu lassen.

Wer mit Ruben Enaje spricht, hat nicht den Eindruck, dass es ihm um Geld oder Ruhm geht. Er wirkt wie ein tiefgläubiger Mensch, der sich von seinem Weg nicht abbringen lässt. Ein Mal noch also. "Dann höre ich auf." Er sagt es ohne Erleichterung in der Stimme. Er weiß, was kommt. Seine Frau weiß es auch. "Tue, was du tun musst", hat sie ihm gesagt. Aber in all den Jahren war sie kein einziges Mal da draußen, um ihren Mann am Kreuz zu sehen. Sie hätte es nicht ertragen.

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