Eagles of Death Metal:"Bonsoir Paris, we're ready for this!"

Die Eagles of Death Metal spielen ihr Konzert in Paris zu Ende, das am 13. November von Terroristen gestürmt worden war. 89 Menschen wurden damals getötet. Die Überlebenden geraten an diesem Abend an ihre Grenzen.

Von Felix Hütten, Paris

Unter tosendem Applaus beginnen die Eagles of Death Metal ihren ersten Song - dann herrscht plötzlich gespenstische Stille. Die lauten Gitarren schweigen, Frontman Jesse Hughes wünscht sich einen Moment der Erinnerung an die Opfer des Anschlags. Ein Mann hinten links grölt noch mal in den leisen Saal, die Zuschauer brüllen ihn zur Ruhe, dann ist es tatsächlich still, nur die Verstärker surren. Ruhe, nur ein paar Sekunden, bevor die Show erneut beginnt.

Die Eagles of Death Metal sind nach Paris zurückgekehrt. Drei Monate nachdem Terroristen den Auftritt der US-Band im Konzertsaal Bataclan mit Schüssen aus Sturmgewehren unterbrochen und 89 Musikfans in den Tod gerissen haben. Einfach so, der Anschlag galt dem fröhlichen Leben, der französischen Freiheit, dem Savoir-vivre von Paris. Niemand versteht das.

Man kann es gar nicht verstehen, sagt Andrija. Er war im Bataclan an jenem Freitag, dem 13. November, als die drei Terroristen mit Kalaschnikow-Gewehren in die Menge feuerten. Er liegt mit dem Gesicht zum Boden, Splitter treffen seine Unterschenkel, Schreie gellen. Das Schlimmste, sagt der 44-Jährige, war die Stille nach den Schüssen. Als in den Hosentaschen die Smartphones zittern und jeder hofft, dass er tot genug wirkt, um nicht als Lebender entdeckt zu werden.

Andrija ist an diesem Dienstagabend zum Konzert gekommen, weil er die Eagles sehen will, die ganze Show, so sagt er das. Er kann nachts schlafen, ein Glück. "Wer weiß, vielleicht muss ich eines Tages auch zum Psychologen, ich hoffe nicht." Von der Dramatik im Vorfeld des Konzertes hält er nicht viel. Es sei naiv zu glauben, sagt er, dass dieser Abend irgendetwas wiedergutmacht. "Uns Freiheit schenkt, von wegen."

Blut im Bataclan, war da was?

"Finir le concert", das Konzert beenden. Diese Worte schweben seit ein paar Wochen durch Paris. Als hätten die meist jungen Fans der Eagles eine Rechnung offen, die sie unbedingt begleichen wollen. Die Band will ihnen die Chance dazu geben und hat alle Überlebenden am Dienstagabend in den Olympia-Konzertsaal ins 9. Arrondissement eingeladen. Die restlichen freiverkäuflichen Tickets waren sofort weg. "Bonsoir Paris, we're ready for this!", brüllt Sänger Jesse Hughes - und dann donnern zwei Schlagzeuger und drei Gitarristen einen fulminanten Sound aus den Boxen, ganz großer Rock 'n' Roll. Der Boden wippt, die Leute tanzen, ein paar flippen völlig aus. Angst, dass hier gleich ein paar Jungs mit schweren Waffen hereinstürmen, ihr Bart noch ein Flaum - diese Angst scheint hier heute keinen Platz zu haben. Panik in Paris, Blut im Bataclan, war da was?

Knapp zwei Stunden spielen die Eagles am Dienstagabend, die Menschen schreien vor Glück, der Saal ist voll. Frontmann Hughes hatte sich gewünscht, die Show im Bataclan zu spielen, doch das Konzerthaus wird bis zum Jahresende umgebaut und so lange wollte er nicht warten.

Doch genau diesen Wunsch gab es unter den Überlebenden: Bitte noch etwas warten. Vergeblich. 30 Psychologen sind am Dienstagabend in der Olympia-Konzerthalle im Einsatz. Mit weißen Namensschildern markiert warten sie im Foyer auf Menschen, für die das Konzert zu früh ist und die trotzdem da sind. Niemand weiß, wie die Opfer reagieren, Musik kann Erinnerungen wecken, die man lieber hätte schlafen lassen. Am Bataclan sind noch immer Einschusslöcher zu sehen, die Wunden noch nicht verheilt.

Etwa 500 Überlebende sollen am Dienstag im Olympia gewesen sein, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Es geht um Traumabewältigung, um einen Schlussstrich unter eine Erinnerung, die sich wohl bei den meisten Opfern für immer ins Gedächtnis krallt. Die Eagles stimmen ihr achtes Lied an, als eine junge Frau die schwarzen Schwingtüren ins Foyer aufstößt, die Augen rot, sie weint entsetzlich. Während drinnen der Saal kocht, sitzen auf den mit rotem Samt überzogenen Foyertreppen Menschen, ihre Blicke sind leer. Ein Mann hat das Foto seines Freundes auf sein weißes T-Shirt gedruckt. Er geht, noch bevor das Konzert vorbei ist.

Die Freiheit wiederherstellen - so einfach geht das nicht

Am Ende des Abends wird eine Psychologin sagen, dass größere Einsätze ausgeblieben sind. Die meisten Opfer waren wohl gar nicht erst zum Konzert gekommen. Wohlwissend, dass etwas nicht automatisch vorbei ist, nur wenn es endet. "Ein Angriff auf unsere Freiheit", das war die Rhetorik nach den Anschlägen. Ein Angriff, den man sich in Paris nicht bieten lassen will. Und so ist und bleibt es das Ziel der Franzosen, diese Freiheit zurückzuerobern - ohne aber genau zu wissen, wie das eigentlich gehen soll.

Jesse Hughes, der Frontmann, beklagt am Montag vor dem großem Auftritt in einem Interview mit dem französischen Sender iTélé, dass durch das Verbot von Schusswaffen Terroristen in Frankreich leichtes Spiel haben. Es ist die Ironie dieser Geschichte, dass die Konzertbesucher einen Waffennarr zur Freiheitsikone küren, während die französische Nationalversammlung just am Tag des Nachholkonzerts den Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert.

Weil Jesse Hughes in Paris trotz Ausnahmezustand keine Waffe auf der Bühne tragen darf, hat er sich ein paar Bodyguards mitgebracht, gut platziert am Bühnenrand. "I can see a room full of champions. I love you all", ruft er dem Publikum zu, das vor Konzertbeginn vier Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen musste. Vor der Konzerthalle patrouillieren Polizisten mit Maschinenpistolen, sie verlangsamen den Straßenverkehr und leuchten mit Taschenlampen in die Autos. Die Hand stets an der Waffe.

Andrija, der Rock-Fan, hat sich nach dem Anschlag im Bataclan ein echtes Eagles-T-Shirt aus den USA bestellt. 19 Dollar hat es gekostet, zusätzlich 40 Euro Versandgebühren. "Ich lebe weiter", sagt er. Sich die Freiheit nicht nehmen lassen. Es klingt wie eine Worthülse.

"Ich habe Zwillinge, beide 14 Jahre alt. Ich wollte ihnen Karten für das Bataclan schenken. Sie konnten an dem Tag nicht, sonst wären sie jetzt vielleicht tot. So etwas macht mir Angst."

Irgendwann nach 23 Uhr spielen die Eagles ihr letztes Lied. Sie blödeln noch ein bisschen auf der Bühne rum, Jesse Hughes bedankt sich mit Handküssen und Stinkefingern bei den Fans. Als die Männer von der Bühne gehen, verhallt der Applaus nicht, nicht nach Minuten, nicht, als die Scheinwerfer schon erloschen sind. Andrija gähnt, trotz Applaus, noch ein kleines Bier, dann ab nach Hause. Er wohnt in einem Pariser Vorort, 90 Minuten S-Bahn. Morgen, sagt er, beginnt um halb sieben die Arbeit. Weiterleben. Muss, sagt er - und geht.

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