Duisburg:Tragödie als Berufsrisiko

Mourners Commemorate Love Parade Disaster 5th Anniversary

An der Treppe, an der die meisten Menschen zu Tode kamen, stehen für jeden Toten Kreuze und Blumentöpfe.

(Foto: Sascha Steinbach/Getty Images)

2010 starben bei der Loveparade 21 Menschen. Beim ersten Zivilprozess gegen die Veranstalter klagt nun ein damals eingesetzter Feuerwehrmann auf Schadenersatz. Der Richter macht ihm kaum Hoffnung.

Von Bernd Dörries, Duisburg

25 Jahre lang war Ralf S. bei der Feuerwehr und er sagt, er habe schreckliche Dinge gesehen in dieser Zeit. Er ist ein kräftiger Mann mit vollem blonden Haar. Nichts habe ihn aus der Bahn geworfen, bis er am 24. Juli 2010 zur Loveparade in Duisburg gerufen wurde. "Es war wie im Krieg." Er habe sich danach mit Tabletten in den Schlaf kämpfen müssen, leide seither an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ralf S. hat das Land Nordrhein-Westfalen verklagt, die Stadt Duisburg und den Veranstalter Lopavent des Fitnessunternehmers Rainer Schaller (McFit), auf 90 000 Euro Schadenersatz.

Es dauert keine Minute, bis der Vorsitzende Richter Stefan Ulrich am Dienstag im Landgericht Duisburg den entscheidenden Satz sagt: "Wir sehen für Ihre Klage keine Aussicht auf Erfolg." Damit ist die erste öffentliche und juristische Aufarbeitung nach einer knappen Minute schon wieder so gut wie vorbei.

"Der Schaden ist der eigenen Berufswahl zuzurechnen", sagt Richter Stefan Ulrich

Fünf Jahre ist es nun her, dass auf der Loveparade in Duisburg 21 Menschen starben. Das Landgericht Duisburg berät seit 15 Monaten darüber, ob es die Anklage im Strafverfahren zulassen soll. Normalerweise beginnen erst danach die Zivilklagen auf Schadenersatz, weil sich die Chancen verbessern, wenn es schon ein Urteil und Schuldige gibt. Im Fall der Loveparade ist es umgekehrt, Zivilverfahren von 19 Klägern sind beim Landgericht Duisburg anhängig, der Fall des Feuerwehrmanns Ralf S., 53, ist der erste, der nun verhandelt wird. Das Urteil soll formal gesehen erst Anfang Oktober fallen, das Gericht hat aber jetzt schon klargemacht, dass der Kläger keine Chance haben wird.

Ralf S. sei Feuerwehrmann, zu diesem Beruf gehöre ein gewisses Risiko. "Der Schaden ist der eigenen Berufswahl zuzurechnen", sagt Richter Ulrich. Außerdem habe es keine "unmittelbar gegen den Angeklagten gerichtete Straftat gegeben". Als auf der Rampe die Menschen im Gedränge erstickten, war S. auf der Feuerwache, erst später gelangte er zum Veranstaltungsgelände, kam aber nicht bis zum Tunnel, dem eigentlichen Unglücksort.

Nach Ansicht des Gerichts müsse das Recht dem Anspruch auf Schadenersatz Grenzen setzen, sonst habe man es mit einer "ausufernden Haftung" zu tun. Dann könnten beispielsweise auch Fernsehzuschauer beanspruchen, durch Bilder von Grausamkeiten traumatisiert worden zu sein. "Der Beobachter kann keinen Schadenersatz verlangen."

Ralf S. sei aber weit mehr als ein Beobachter gewesen, sagt seine Rechtsanwältin Bärbel Schönhof, er sei bei seinem Einsatz körperlich bedrängt worden. Außerdem dürfe " das Berufsrisiko eines professionellen Nothelfers kein Alibi für die inkompetente Planung und Ausrichtung der Loveparade sein". Schönhof vertritt insgesamt 17 Kläger, deren Zivilklagen vor dem Landgericht verhandelt werden. Eine Mandantin macht Schäden geltend, obwohl sie nicht einmal das Festivalgelände betreten hatte, andere wurden bereits von der Versicherung des Veranstalters entschädigt, die bisher nach eigenen Angaben 94 Prozent der Anträge positiv entschieden habe. Anwältin Schönhof hält die Summen aber für zu gering.

"Alle gucken weg und lassen mich auf meinem Schaden sitzen", sagt Feuerwehrmann Ralph S.

Ralph S. kündigte am Dienstag an, er werde notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, sofern er sich das leisten könne. Aufgrund seiner Erkrankung wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. "Ich bin mir meines Berufsrisikos bewusst", sagt er. Aber noch nie sei er in eine Veranstaltung geschickt worden, bei der so offensichtlich war, dass sie in einer Katastrophe ende. Damals hätten alle Verantwortlichen die Loveparade um jeden Preis gewollt. "Jetzt ist die Geschichte in die Buxen gegangen, alle gucken weg und lassen mich auf meinem Schaden sitzen."

Die Aufarbeitung der Katastrophe könne das Zivilgericht nicht leisten, sagt Richter Ulrich hingegen. Die Erkrankung des Feuerwehrmanns nach dem Loveparade-Einsatz sei "sehr tragisch", sagt der Richter. "Was auf der Loveparade passiert ist, war auch sehr tragisch."

Das Landgericht will in einigen Monaten über die Zulassung der Anklage entscheiden. Ein Strafprozess würde dann wohl mehrere Jahre dauern. Gerechtigkeit ist noch nicht in Sicht für die Opfer und Hinterbliebenen der Katastrophe.

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