Drohender Vulkanausbruch:"Rehe, Affen, sogar Schlangen, alle kamen den Abhang hinunter"

Mount Agung Perras

Ketut Rai (links) und seine Mutter Wayan Nisa kommen immer wieder in ihr Zuhause am Fuß des Vulkans - und verlassen es, wenn der Berg grollt.

(Foto: Dennis Angga)

Menschen und Tiere auf Bali fliehen vor einem drohenden Ausbruch des Vulkans Agung. Doch es gibt auch Einwohner, die keine andere Wahl haben, als sich in die Gefahrenzone zu begeben.

Von Arne Perras, Sambirenteng

Die Turnhalle ist sicher, aber Ketut Rai hält es hier nicht lange aus. Wenn er um die Ecke schaut, sieht er den Berg und die Rauchsäule, dann ist er mit den Gedanken wieder bei seinem Haus. Und den Bohnen, dem Mais auf den Feldern, seinen drei Kühen, dem Kälbchen, den Hühnern mit den Küken.

Ketut Rai, Bauer auf Bali, ist am Fuß des Vulkans Agung zu Hause, nur wenige Kilometer vom Krater entfernt. Das bedeutet, dass sein Dorf Sukadana jetzt innerhalb der Evakuierungszone liegt.

Die Menschen hier befürchten einen großen Ausbruch, in dieser Woche spuckte der Berg schon so viel Qualm und Asche, dass der 70 Kilometer entfernte Flughafen für mehrere Tage geschlossen blieb. Zehntausende Touristen saßen fest in ihren Ressorts, Yoga-Zentren und Hotels, lästig, nervig, wer braucht so was schon im Urlaub. Aber das ist nichts gegen das, was Ketut Rai und die Balinesen durchmachen, die um den brodelnden Vulkan siedeln.

Seine Familie hat der 43-Jährige schon in Sicherheit gebracht, seine kleinen Töchter hüpfen jetzt lachend um ihn herum, sie verstehen noch nicht, was hier vor sich geht. Aber Rai drückt nachts kein Auge zu. Er lauscht auf jedes Geräusch, er schnuppert, ob die Luft noch rein ist.

Es sind Tage quälender Unsicherheit. Und deshalb kann er nicht nur herumsitzen und warten. Seine Tiere brauchen ihn. Also setzt er sich jetzt, Donnerstagnachmittag, auf sein Motorrad und fährt los.

Die Straße führt am Meer entlang, normalerweise ist sie stark befahren, auch von Touristen. In der Nähe liegt ein Dorado für Taucher: Das Wrack des amerikanischen Kriegsschiffs USS Liberty, versenkt im Zweiten Weltkrieg. Es wurde damals noch ans Ufer geschleppt, dann brach 1963 der Agung aus, und das Schiff rutschte 30 Meter in die Tiefe. In Scharen steigen seither die Flaschentaucher am schwarzen Strand von Tulamben ins Meer, hinab in eine bizarre Welt aus versunkenem Stahl, wo sich Korallenfische tummeln, Schildkröten und Barrakudas. Aber jetzt ist die Straße verlassen, niemand darf derzeit tauchen in Tulamben, so nahe am Vulkan.

Ein paar einheimische Motorradfahrer kommen Ketut Rai entgegen. Er biegt in eine Seitenstraße, an der ein Schlagbaum errichtet wurde. Ein Schild warnt: "Gefahrenzone Vulkan". Und darunter: "Zutritt nur für Behörden". Dennoch ist der Schlagbaum offen, der Staat duldet es noch, wenn Bauern für kurze Zeit nach ihren Tieren sehen. Für Ketut Rai geht es um seine Existenz. Und dafür riskiert er immer wieder die Fahrt nach Hause.

Der Weg wird schmal und schlängelt sich den Abhang hoch. Links und rechts liegen Felder unter Palmen und Mangobäumen. In einer Biegung hält Rai an und führt links hinauf zu seinem kleinen Haus. Kein Mensch weit und breit, kein Vogelzwitschern. Stille. Geistergärten.

1963 kam es zu einer Katastrophe mit mehr als 1100 Toten

Aber dann rührt sich doch plötzlich Leben, in Gestalt eines braunen Vierbeiners, er wedelt heftig beim Anblick seines Herrn. Cero, der kleine Hofhund, hält tapfer Wache. Und umkreist den Fremden skeptisch. "Guter Hund", lobt ihn der Bauer. Cero gibt ein Jaulen von sich und sieht nun wieder zufrieden aus. Es klappert jetzt auch hinter dem Stall, wo die Kühe angepflockt sind. Um die Ecke kommt eine schlanke alte Frau. Wayan Nisa ist die Mutter von Bauer Rai, sie ist schon etwas früher angekommen, sie hilft ihrem Sohn, die Tiere zu füttern.

Wenn man nach Süden blickt, hat man den Agung direkt vor Augen, einen mächtigen Kegel mit gezacktem Kraterrand. Aus dem Innern steigt Rauch auf, er formt dicke Haufen, die in die Höhe drängen. Allerdings ist die Rauchsäule an diesem Nachmittag dünn. Sie sieht nicht besonders bedrohlich aus. "Fast so, als wollte er gleich wieder einschlafen", sagt Rai und stößt ein gequältes Lachen hervor. Der Bauer weiß, wie schnell sich alles ändern kann. "Vor drei Tagen hat er plötzlich ein lautes Grollen von sich gegeben. Es war, als donnerte ein Hubschrauber über uns hinweg. Da bin ich gleich aufs Motorrad und ab." Er macht ihm Angst, dieser Berg.

"Früher hatten die Behörden noch keinen richtigen Plan"

Die Großmutter hat sich auf einen Schemel gesetzt und sagt: "So hat es damals auch angefangen." Damals, 1963, war sie ein junges Mädchen und hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde. Irgendwann spuckte der Vulkan so viel Asche und auch Brocken von Gestein, dass sie die Angst packte. Sie floh, zu Fuß. "Früher hatten die Behörden noch keinen richtigen Plan", sagt sie. Und kaum jemand schien mit dem Schlimmsten zu rechnen. Beim Ausbruch kam es zur Katastrophe, mehr als 1100 Menschen starben. Glühend heiße Gesteinswolken, auch pyroklastische Ströme genannt, rasten den Südostabhang hinunter und töteten allein im Dorf Sebudi Hunderte Bewohner. Weil der Agung als heiliger Berg gilt, hatten die Leute dort ausgeharrt und die Götter noch mit Musik und Gebeten beschworen, bevor sie in den Glutwolken starben.

Seither hat sich der Katastrophenschutz Indonesiens enorm verbessert, schon im Herbst waren die Dörfer für längere Zeit evakuiert worden, auch Bauer Rai mit der Familie musste einen Monat lang im Camp übernachten, wie er es jetzt wieder tut. Aber es ist schwer auszuhalten, wenn man jede Minute um seinen Besitz bangt, "um alles, was wir haben".

Rai ist ein bedächtiger und freundlicher Mann. Aber er ist angespannt. Er schält jetzt Mangos und erzählt: "Die Nachbarn weiter oben haben seltsame Dinge beobachtet." Vor gut einer Woche, kurz bevor der Berg riesige Aschewolken in den Himmel spie und rote Glut am Krater leuchtete, sahen die Bauern auf einmal die Tiere des Waldes fliehen. "Rehe, Affen, sogar Schlangen, alle kamen den Abhang hinunter," sagt der Bauer. Da wusste er: Hier kann er nicht mehr übernachten.

Rai bangt um seine Ernte. In drei Monaten hofft er, seinen Mais zu ernten, er betet jeden Tag dafür, dass der Berg doch wieder einschlafen möge. Aber wer weiß das schon bei diesen Gewalten der Natur. Experten sagen, dass die Lage immer noch brandgefährlich ist für die 100 000 Balinesen, deren Häuser innerhalb der Evakuierungszone mit einem Radius von zehn Kilometern liegen. Noch immer aber gibt es Leute, die Anweisungen der Behörden ignorieren, sie weigern sich zu gehen, sie schlafen am Fuße des Vulkans.

"Sie waren nicht dabei 1963", sagt die Oma. "Sie haben das alles nicht erlebt."

Der Bauer und seine Mutter wollen wieder los. Ihr Hund Cero kennt das schon. Er kriecht zu seinem Herrn und lässt sich die Ohren kraulen. Zeit für den Abschied. "Cero, pass gut auf", sagt der Bauer. Der Hund spitzt die Ohren, er läuft noch mit hinunter zur Straße. Dann macht er abrupt Halt und setzt sich auf die Hinterfüße, ohne jeden Laut. Cero kennt sein Revier, er bewacht es jetzt wieder ganz alleine.

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