Drogenkrieg in Mexiko:"Wenn sie mich töten ..."

Drogenkrieg in Mexiko: An der National-Universität in Mexiko-Stadt demonstrieren junge Frauen nach dem Mord an einer Studentin.

An der National-Universität in Mexiko-Stadt demonstrieren junge Frauen nach dem Mord an einer Studentin.

(Foto: AFP)

Höher als in Mexiko ist die Mordrate nur in Syrien. Auf Twitter schreiben junge Frauen gegen ihre Angst vor dem Drogenkrieg an.

Von Karin Janker

Miriam Rodríguez Martínez war eine mutige Frau: Unermüdlich suchte die Mexikanerin nach ihrer Tochter, die 2012 entführt und ermordet wurde. Sie brachte mehr als 600 Familien zusammen, die ebenfalls nach Verschwundenen suchten, und engagierte sich für die Aufklärung der Fälle. Nun musste sie dafür mit dem Leben bezahlen: Miriam Rodríguez wurde vor ihrem Haus im Bundesstaat Tamaulipas im Nordosten Mexikos erschossen. Den mexikanischen Behörden zufolge feuerten Unbekannte mehrmals auf sie. Rodríguez starb am Mittwoch, als in Mexiko Muttertag gefeiert wurde.

Nach dem Mord tat die Regionalregierung, was sie immer tut: Sie kündigte Ermittlungen an. "Wir werden nicht zulassen, dass der Tod von Miriam Rodríguez eine weitere Statistik wird", schreibt Gouverneur Francisco García Cabeza de Vaca auf Twitter. Rodríguez' Heimatstadt San Fernando besitzt traurige Berühmtheit, dort ereigneten sich einige der schwersten Verbrechen der jüngeren mexikanischen Geschichte: 2010 töteten mutmaßliche Mitglieder des Verbrechersyndikats Los Zetas in der Ortschaft 72 Migranten. Ein Jahr später wurde dort ein Massengrab mit 193 Leichen entdeckt. Doch aufgeklärt werden solche Verbrechen selten.

In Mexiko zu leben, ist inzwischen beinahe so gefährlich wie das Leben in Kriegsgebieten. Die Gewalt der Drogenkartelle hat einer aktuellen Studie zufolge die Dimensionen eines Bürgerkriegs angenommen. Dem International Institute for Strategic Studies (IISS) zufolge wurde Mexikos Mordrate im vergangenen Jahr nur noch von Syrien übertroffen. "Nur sehr selten erreicht kriminelle Gewalt ein ähnliches Niveau wie ein bewaffneter Konflikt", sagt Antonio Sampaio, ein Experte des in London ansässigen Instituts.

Frauen solidarisieren sich unter dem Hashtag #SiMeMatan

Häufig sind unbeteiligte Frauen unter den Opfern des Drogenkriegs, unter ihnen entwickelt sich derzeit eine neue Bewegung. Auslöser war die Ermordung der 22-jährigen Studentin Lesby Berlin Osorio, deren Leiche auf einem Uni-Campus in der Hauptstadt Mexiko-Stadt gefunden wurde, erdrosselt mit einem Telefonkabel und die Leine ihres Hundes noch immer um ihr Handgelenk. Der oberste Staatsanwalt der Hauptstadt kommentierte den Mord, indem er behauptete, die junge Frau sei "Alkoholikerin und eine schlechte Studentin" gewesen.

Diese Stellungnahme, verbreitet über den offiziellen Twitteraccount der Strafvollzugsbehörde, sorgt nun auf Twitter für Empörung. Gerade feministisch denkende junge Frauen kritisieren, die Behörde beschuldige das Opfer statt die Täter. Inzwischen hat sich der Hashtag #SiMeMatan (deutsch: Wenn sie mich töten) etabliert, unter dem junge Frauen gegen ihre Angst anschreiben und versuchen, die Deutungshoheit über ihr Privatleben zu behalten:

"Wenn sie mich töten, sagen sie danach sicherlich, es war, weil ich es provoziert habe, weil ich alleine durch die Straßen gegangen bin, weil ich geatmet habe, weil ich als Frau geboren wurde und stolz darauf bin", schreibt eine junge Frau. Eine andere twittert: "Wenn sie mich töten, sollt ihr wissen, dass es Femizid war, kein Suizid, keine Eifersuchtstat: FEMIZID." Eine Teilnehmerin an einer Demonstration hält ein Plakat hoch, auf dem das Motto der jungen Bewegung formuliert ist: "Wenn sie eine von uns angreifen, antworten wir alle. Gerechtigkeit für Lesby. Nicht eine mehr."

Anti-Drogen-Krieg soll für den Anstieg der Gewalt verantwortlich sein

Der aktuellen IISS-Studie zufolge hat Mexiko im vergangenen Jahr einen Anstieg der Mordrate um elf Prozent erlebt. 23 000 Menschen sind 2016 in dem Land ermordet worden, in Syrien waren es laut IISS 60 000 Menschen. Die IISS-Experten führen die Steigerung auf den von der früheren mexikanischen Regierung unter Felipe Calderón im Dezember 2006 ausgerufenen "Anti-Drogen-Krieg" zurück, mit dem die Kartelle zerschlagen werden sollten. "Doch als Ergebnis hat dieses Unglück über Mexiko gebracht: 105 000 Menschen haben allein zwischen November 2012 und Dezember 2016 durch Morde ihr Leben verloren", sagt der Experte.

Grund für die weiterhin hohe Mordrate sei unter anderem, dass es dem derzeitigen Präsidenten Enrique Peña Nieto entgegen seiner Ankündigung bisher nicht gelungen ist, den Konflikt zu entmilitarisieren. Rivalisierende Banden liefern sich in Mexiko einen Krieg um die Vorherrschaft über den Drogenhandel. Neben den Zehntausenden Toten gelten mehr als 28 000 Menschen als vermisst.

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