Dortmund und die Borussia:Stehaufmänner aus dem Pott

BVB-Fans im Stadion

Echte Ruhrpottliebe: Die Dortmunder sind stolz auf ihren Verein, der Verein ist stolz auf die Dortmunder.

(Foto: AFP)

Die Dortmunder sagen, nirgendwo sonst in Deutschland sei die Verbindung so eng zwischen einer Stadt und ihrem Verein. Denn beide kennen sich mit Niederlagen aus, beide helfen sich gegenseitig wieder auf die Füße. Die Dortmunder leben für Schwarz-Gelb. Eine Liebesgeschichte aus dem Ruhrpott.

Von Bernd Dörries

"1967 bin ich bei der Stadt angefangen", sagt Gerd Kolbe; es spricht das Ruhrgebiet aus ihm. Vor fast 50 Jahren kam er ins Presseamt der Stadt Dortmund, wo damals gerade eine große Aktion anlief, die das Image der Stadt und der Region verbessern sollte. In gewisser Weise läuft sie bis heute.

Damals wurden die Bürger und auch Journalisten von auswärts zu den "49-Prozent-Wanderungen" eingeladen - der Titel wurde aus dem statistisch berechneten Anteil der Grünflächen im Dortmundner Stadtgebiet abgeleitet, die davor offenbar nur wenigen aufgefallen waren. Jahrzehnte sind die Teilnehmer so durch Dortmund gewandert, durch die Parks und Wäldchen und an den Flüssen entlang, Zehntausende kamen bei schönem Wetter.

Es ist immer schwer zu messen, ob es was bringt, wenn Städte sich ein neues Image geben wollen. Aber die Massenausflüge wirken bis heute nach. "Wir haben aber auch viel Grün", sagen Menschen aus Dortmund und dem Ruhrgebiet sehr häufig, wenn sie auf Fremde treffen. Wie zur Begrüßung. "Wir sind vielleicht etwas defensiv, glauben, uns rechtfertigen zu müssen", sagt Kolbe. Das ist in diesen Tagen vor dem großen Finale nicht unbedingt der Fall. Die Menschen laufen mit gelben Trikots durch die Fußgängerzone, mit ihren Schals, so als würde das Spiel gleich beginnen.

Die Stadt der Rosen und Schachspieler

Die Stadt hat vieles versucht in den vergangenen Jahren, um nicht immer das Dortmund des Niedergangs zu sein, das ehrliche, aber arme. Dortmund wurde die Stadt der Rosen, der Tanz- und Schachmeisterschaften. Der Spaziergänge. Aber was sind denn all diese Versuche gegen das, was die Borussia für die Stadt bedeutet? 13 Milliarden Mal werde Dortmund im Jahr in tagesaktuellen Medien erwähnt, im Zusammenhang mit der Borussia. So habe es das Presseamt der Stadt errechnet, sagt Gerd Kolbe. Früher habe er im Urlaub ungern gesagt, wo er herkomme. Das ist heute anders.

Er sitzt in einem Zimmer des Stadtarchivs und hat dort sein eigenes untergebracht: Trikots von Borussia, Bilder, Plakate, Bälle und Kaffeetassen. Fünf Jahre lang, von 1976 bis 1981, war Kolbe Pressesprecher von Dortmund und von der Borussia, in einer Person. Woanders wäre so etwas wahrscheinlich nicht möglich gewesen, in Dortmund erscheint es nur folgerichtig. "Nirgendwo sonst in Deutschland ist die Verbindung so eng zwischen einer Stadt und ihrem Verein", sagt Kolbe.

Der Verein hat immer wieder die Stadt gerettet, oder zumindest mit nach oben gezogen. Und ohne die Stadt gebe es wohl auch den Verein nicht mehr. Zumindest nicht in dieser Form.

Der legendäre Dortmunder Oberbürgermeister Fritz Henßler kam nach dem Krieg zur Borussia und sagte, die Kicker sollten nun nicht nur Fußball spielen, sondern auch eine Art Friedensbotschafter. So reiste die Borussia Anfang der Fünfziger nach Frankreich und England, um Freundschaftsspiele gegen den ehemaligen Feind auszutragen.

Die entscheidende Million fürs Stadion

Viele Jahrzehnte später, 1971, hat die Stadt die entscheidenden Millionen zum neuen Westfalenstadion zugeschossen, sagt Kolbe, der BVB konnte im größeren Stadion mehr Karten verkaufen, rettete sich in letzter Minute vor der Insolvenz. So ging das hin und her in der Geschichte. Solidarität ist eine wichtige Komponente der Ruhrgebiets-Mentalität. Die Stadt, der Verein, ihr Vorstand und der Trainer, sie betonen sie bis heute.

Auf den Aufklebern, die die Borussen-Fans in fremden Städten hinterlassen, ist neben dem Stadion auch der Union-Brauerei-Turm drauf und ein Gebäude der Hoesch-Werke. "Für eine Tonne Stahl braucht man tausend Liter Bier", so oder so ähnlich wurde früher der Zusammenhang beschrieben, zwischen den zwei wichtigsten Wirtschaftszweigen der Stadt, die dann auch ziemlich zeitgleich ihren Niedergang erlebten.

Stahlarbeiter erkämpfen sich ihren Verein

Im Süden gilt der FC Bayern als Summe dessen, was das ganze Bundesland erlebt hat nach dem Krieg, als Krönung der Erfolge. Die Borussia ist ein Verein, der um die Niederlagen einer Gesellschaft weiß, einen Teil der Stärke daraus zieht, aus dem ständigen Kampf, der hier Strukturwandel heißt. Und der teilweise auch ganz gut gelingt. Ein "Projekt" hat Trainer Jürgen Klopp sein Wirken immer mal wieder genannt. Das Dortmund-Project, das gab es aber auch schon vor seiner Ankunft.

Stolze Hoeschianer waren dabei, als der Klub 1909 gegründet wurde, im "Wildschütz", einer Gaststätte in der Nordstadt, die heute einfach nur "Pommes Rot-Weiss" heißt, nicht mal Schwarz-Gelb. Wenige Meter sind es von hier zum Hoesch-Gelände, wo früher die Hochöfen standen. In den Sechzigerjahren waren fast 50.000 Menschen bei Hoesch, heute sind es noch tausend. 70.000 Arbeitsplätze gingen der Stadt in den vergangenen Jahren durch die Schließung der Stahlwerke verloren. Das muss man erst einmal verkraften.

In Dortmund hat Thyssen-Krupp, die Hoesch geschluckt hatten, zumindest ein bisschen Solidarität geübt mit der Region, hat Millionen in ein Wirtschaftsförderprogramm gesteckt, mit dem IT-Arbeitsplätze geschaffen wurden, mit dem Zukunft entstand - das vielgelobte "Dortmund-Project". Auf dem Gelände der Hermannshütte haben sie den Phoenix-See geflutet, und niemand hat gelacht über den Namen, weil der Phönix, der sich sonst so oft verheddert im Ruhrgebiet, hier tatsächlich abgehoben, das Bild der Stadt verändert hat. Man kann schön leben in Dortmund und Umgebung. In Gelsenkirchen ziehen die Spieler meist nach Düsseldorf. Doch trotz all der kleinen Erfolge bleibt Dortmund bei den Arbeitslosenzahlen stets am Ende der Tabelle. Ein paar tausend neue Arbeitsplätze im IT-Bereich sind halt nicht viel, gegenüber dem Wegbrechen einer ganzen Branche.

Die Wirtschaftsförderer der Stadt sind auch jeden Samstag im Stadion, das kaum VIP-Bereiche kennt, kaum Fußball hinter Glas, nur das Glas Pils, zu dem man an den Stammtischen steht, und über die Mannschaft spricht. Und manchmal auch über neue Jobs. Wegen der Borussia entstehen vielleicht nicht massenhaft neue Arbeitsplätze. Wegen des Vereins, so hofft man in der Stadt, würden sich Investoren aber vielleicht für Dortmund entscheiden. Und gegen eine andere Ruhrgebietsstadt. Die ja für Außenstehende schwer zu unterscheiden sind. Die sich alle mehr Aufmerksamkeit wünschen.

Als der WDR bekannt gab, dass der Sender einen neuen Ruhrgebietstatort schaffen wolle, da prügelten sich die Städte im Revier fast darum. Dortmund hat ihn bekommen und damit einen Kommissar, der auch mal besoffen auf der Straße einschläft. In einer der ersten Folgen ging es auch um die Dortmunder Nordstadt, um den Borsigplatz, der das ganze Jahr über gelb geflaggt ist, die Heimat von Borussia. Zahllose Förderprogramme sind in den vergangenen Jahrzehnten über die Nordstadt gefegt, und man kann sagen, dass sich die raue Nordstadt davon nicht viel anmerken lässt. Andere Städte würde sich freuen, über so viel alte Bausubstanz. In Dortmund stehen viele Häuser leer.

Weil der Name so gut klang

Charmant ist es dennoch. Viele Straßen dort sehen so aus wie die, in der der BVB einst gegründet wurde. Wie das Gründerhaus, in dem man am vierten Advent 1909 den Verein einfach Borussia nannte, weil man keinen anderen Namen wusste, und der auf dem Brauereischild an der Wand einfach so gut klang. So die Legende.

Was wahr ist: Der Verein ist aus dem Kampf entstanden, so wie die ganze Region immer gekämpft hat, sich ihren einstigen Reichtum der Natur abgerungen hat und der Gesundheit der Malocher. Am Anfang des 20. Jahrhunderts spielten die harten Stahlarbeiter abends in der katholische Jünglingssodalität "Dreifaltigkeit" Fußball, bis der neue Kaplan fand, dieser Sport sei viel zu roh und proletarisch, und einfach die Andachten auf den Anpfiff der Ligaspiele legte. Die Arbeiter rebellierten - es sollen Fäuste geflogen sein - und gründeten den BVB.

Borussia heißt eigentlich Preußen. Und je nach Stimmungsklage fühlen sich die Dortmunder auch eher als "Tor zu Westfalen", wollen also gar nicht so viel mit den armen Nachbarn im Revier zu tun haben. "Wir kokettieren mit dem Pott, aber nur, wenn es auf den T-Shirts steht", sagt Norbert Dickel, dem sein Vorname in Dortmund aber schon vor Jahren abhandengekommen ist. Nobby nennt man ihn in der Stadt. Und an diesem Mittag steht er vor "ND CurryFan", einer schicken Würst- chenbude in der Dortmunder Innenstadt, die der Inhaber nach sich benannt hat. Früher haben ehemalige Fußballprofis Schreibwarenläden und Lotto-Annahmestellen eröffnet, weil sie nichts anderes konnten.

Nobby Dickel, ehemaliger BVB-Star, heute beim Verein für Events zuständig, hat eine Currywurstbude aufgemacht, weil er es sich leisten konnte, als eine Art Hobby. Und weil es besser zu dieser Stadt passt als ein Sternerestaurant. Die Würste kommen von einem eigenen Metzger, für die Soße hat Dickel lange herumprobiert, das Geheimnis sei der eingekochte Orangensaft. Es dauert nicht lange, bis sich eine Traube um Dickel bildet, der nun fleißig Würstchen ausgibt. Ein ehemaliger Borussia-Präsident steht dabei und andere, von denen nicht ganz klar ist, ob sie langjährige Freunde sind, oder neue alte Kumpel. Egal. Bald ist man wieder beim Thema angelangt: "Manche in Deutschland denken ja immer noch, wir leben unter Tage", sagt der Ex-Präsident. Dabei sei es doch auch sehr grün hier. Da ist es wieder, das Grün. Alle lachen. Das sei der Unterschied zu früher, sagt Norbert Dickel. Sie können jetzt lachen über die ganzen Vorurteile und Klischees. "Denn das, was wir jetzt haben, das haben wir uns alles erarbeitet."

Als Verein. Als Stadt. Als wir.

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