Doping im Fitnessstudio:Am Ende nur noch Todesangst

Über Menschen, die sich selbst vergiften, nur der Schönheit wegen. Er wollte den mächtigsten Körper von allen haben, heute ist er ein Wrack: Die Geschichte des ehemaligen Bodybuilders Jörg Börjesson.

Von Volker Kreisl

Zeiten gab es im Leben von Jörg Börjesson, da war der Gegner überall. Er begleitete ihn zum Bäcker, schaute ihm ins Gesicht, wenn er sich in der Glastür spiegelte. Er litt unter ihm, wenn er das Hallenbad betrat.

Bodybuilder
(Foto: Foto: AP)

Oder wenn Börjesson in Gedanken versank und nebenbei seine Oberarme knetete. Dann meldete sich der Gegner wieder. Der Gegner spielte ein Versteckspiel, aber manchmal verhöhnte er Börjesson auch ganz offen.

Zum Beispiel dann, wenn er beim Fußballspielen plötzlich husten musste und seine Lunge wie ein Teekessel pfiff. Dann musste Börjesson schnell zum Spielfeldrand laufen und nach dem Asthmaspray kramen, während Panik in ihm hoch stieg. Die anderen spielten ohne ihn weiter, und irgendwann spielte Börjesson gar nicht mehr mit.

Heute glaubt Jörg Börjesson, 37, dass er diese Zeiten hinter sich hat. An den Wänden des Cafés am Darmstädter Bahnhof hängen Spiegel.

Während die Gäste einen Platz suchen, schauen sie aus den Augenwinkeln hinein, prüfen, ob die Frisur sitzt, die Haltung stimmt, vielleicht auch, ob der Körper einem Vergleich mit den anderen Körpern im Raum standhält.

Börjesson ignoriert die Spiegel, während er erzählt. Seine Wangen sind grau, sein Körper ist gezeichnet. Er hat einen krummen Rücken, einen kaputten Magen und Narben, weil ihm vor zwei Jahren weibliche Brüste entfernt werden mussten.

Kein Körper für den Spiegel, aber einer für seine neue Mission.

Die Rezepte der Könner

Es ist ein ehemaliger Bodybuilderkörper. Von denen gibt es in Deutschland rund 500.000. Sie entstehen aus einer noch größeren Masse von circa fünf Millionen Fitnessstudio-Besuchern, die an ihrer Erscheinung arbeiten.

Bodybuilder betrachten sich als Sportler, doch es ist ein Sport im Dunkeln, über die Rezepte der Könner erfährt die Öffentlichkeit meist nichts.

Ein Sport, der vor allem auf Jugendliche großen Reiz ausübt. Börjessons Magen hat über die Jahre etwa 3000 Pillen aufgenommen, große und kleine, bunte und farblose, dazu in Wasser aufgelöste Pulver, Eiweißpräparate, Kraftriegel.

Sein Blut hat unzählige Steroidhormone, Milliarden körperfremder Eiweißmoleküle transportiert, seine Muskeln haben immer neue Nahrung bekommen, bis sie unter Spannung standen und sich anfühlten wie Medizinbälle.

Der Gegner war sein Körper. Eingeölt war er erträglich.

Börjesson rührt in seinem Tee und schaut auf die Uhr, er ist zu einem Vortrag verabredet in einem Fitnessstudio in Großumstadt. Der Auftritt fügt sich in einen größeren Rahmen, dem er einen eigenen Namen gegeben hat: Doping-freie Tour.

Vorher, nachher

Börjesson bezeichnet sich als Präventologe, doch seine Mittel sind bescheiden. Geldgeber hat er kaum, denn was er erzählen will, wollen die Leute eigentlich nicht hören.

Früher hatte er sich mit Kleinjobs über Wasser gehalten, heute klemmen zwei große Poster unter seinem Arm, riesige Bilder, die die Zuschauer aufschrecken sollen.

Ein Bild als erfolgreicher Bodybuilder, eines als Wrack. Vorher, nachher - eine schlichte Methode. Börjesson geht langsam, beim Treppensteigen hört man ihn atmen.

Seine Vorträge beginnt er mit den ersten Kontakten zu seinem Anabolika-Dealer, doch eigentlich fängt die Geschichte schon auf dem Fußballplatz in Recklinghausen an, vielleicht sogar noch früher, mit einem Notarzt-Einsatz.

Darüber redet er nicht so gern, er sagt auch nicht "Ich", er sagt "Man".

"Wie'n Bildhauer"

Mit Blaulicht war man ins Krankenhaus gefahren worden, hatte keine Luft bekommen. Später dann war die Schwester an Herzversagen gestorben, und als er etwas größer war, "konnte man nirgendwo mithalten".

Als Börjesson 14 war, hörte er auf, Fußball zu spielen, später erfuhr er, dass es eine andere Möglichkeit gab, Leistung zu zeigen. Eine, die den Körper weniger schwitzen ließ, bei der man nicht die Backen aufpumpen musste oder rot anlief, sondern ein Wettbewerb, bei dem man etwas zeigte, was man selber geschaffen hatte.

"Geformt", sagt Börjesson, "so wie'n Bildhauer".

Begonnen hatte er damit in einem Fitnessstudio in Wulfen im Ruhrgebiet, "dort war es angenehm", sagt er, die Gruppe ließ einen in Ruhe.

Jeder hatte seinen Trainingsplan, der Austausch beschränkte sich auf Banales; wie intensiv die Einheiten sein müssen; dass man Bänder und Gelenke nicht überreizen darf, Eiweiße zuführen, mehr essen muss.

Irgendwann entdeckte Börjesson die ersten ausgebildeten Fasern am Trizeps, an den Oberschenkeln, am Rücken. Fettwulste, die ohne Definition an ihm hingen, verschwanden.

Qual, Diät, Glück

Er verbesserte das, indem er weniger tierische Fette zu sich nahm, sondern morgens einen Brei aus einer ganzen Packung Haferflocken, einem halben Liter Milch, mehreren Bananen und einem Viertel Kilo Quark aß. Börjesson quälte sich, er machte Diät, er war glücklich.

Seine Bizeps wuchsen, seine Bauchmuskeln traten hervor, sein Nacken schwoll an wie ein Ochsenjoch, sogar seine Waden waren mehr als nur Waden, doch jedes Wachstum erreicht einmal sein Ende, und bei den meisten Bodybuildern kommt das zu schnell.

Nach drei Jahren Qual müsste alles stagnieren, und man müsste zugucken, wie die mit den besseren Genen ihr Kunstwerk vollenden. Oder man bekommt Hilfe, zum Beispiel wenn man in der Umkleide gerade allein ist.

Börjessons Hilfe war ein erfahrener Bodybuilder. Den Namen will er nicht nennen. Eines Tages hatte der ihn angesprochen, hatte sich seine Sorgen angehört und ihm ein paar bunte Pillen gezeigt.

Perfekte Manipulation

Börjesson spricht immer von seinem "Kontakt", seinem "Idol", mit dem Wort "Freund", sagt er, sei er vorsichtig geworden.

Viele Bodybuilder, die ihre natürlichen Grenzen ausdehnen wollen, steigen mit Clenbuterol ein, einem Asthmamittel, das sich leicht verschreiben lässt.

Börjesson weiß nicht mehr genau, was in welchen Pillen enthalten war, entscheidend war nur die anabole Wirkung - der Aufbau von Muskeln und Knochen.

Clenbuterol hat nur eine anabole Nebenwirkung, wer mehr will, nimmt anabole Steroide, synthetisch hergestellte Hormone, die dafür sorgen, dass der Körper seine Produktion grundsätzlich umstellt.

Als Börjesson mit Testosteron anfing, wurde die Manipulation perfekt. Die Hormone sendeten Botschaften in die Muskelzellen, in denen fortan ausgiebig Eiweiß in Muskelgewebe umgewandelt wurde.

Eine Bühne und sechs billige Pokale

Als auch kein Fett mehr störte, traute er sich vor Publikum. Es war nur ein Regionalwettbewerb, die Meisterschaft um den Märkischen Kreispokal.

Doch es gab eine Bühne und sechs billige Pokale, von denen Börjesson einen wollte. Sich zur Schau zu stellen, kann peinlich werden, und Börjesson hatte Panik vor einem Hustenanfall.

Die anderen hatten ja kein Asthma, sie konnten härter trainieren. Haut wurde geölt, Zähne wurden gebleckt, Körperteile verbogen, gebläht, von allen Seiten gezeigt und von einer Jury bewertet.

Börjesson bestand: Er wurde Sechster und dachte sich: "Ich habe ein paar ausgestochen."

Jeder für sich

Eine Gemeinschaft war das nicht. Kein Verein, schon gar keine Mannschaft. Man tauschte sich aus, der Ton war sanft, doch hinein mischte sich die Kälte von Hintergedanken.

Jeder arbeitete am eigenen Kunstwerk, und die Werkstätten hingen ja voller Spiegel. Die Pillen wurden immer wichtiger, doch zur Übergabe musste man sich an der Autobahnauffahrt treffen.

Man lernte die Sehnsucht der anderen nach Masse und Schwere kennen und erfuhr, wie man seinen Nebenmann am gemeinsten verletzen konnte. Man musste nur, sagt Börjesson, ganz nebenbei bemerken: "Sag' mal, haste etwa abgenommen?"

Börjesson gerät in Fahrt, erzählt, wie er erstmals ahnte, dass alles ein großer Betrug sein könnte. Immer wieder gleitet er in eine Schulddebatte ab, die er mit sich selber noch nicht abgeschlossen hat.

Das System ist maßlos

Klar, er war verantwortlich für seinen Körper, aber welcher Teenager denkt schon an so etwas wie Nebenwirkungen? Grundsätzlich sei Fitnesssport schließlich in Ordnung, auch Bodybuilding in Maßen.

Doch das System ist maßlos. "Fast jeder Jugendliche will heute einen dicken Arm haben", hat Börjesson beobachtet. Die wichtigste Erkenntnis seiner "Dopingfreien Tour" stammt aus den Jugendzentren, deren Sozialarbeiter ihn fragen, was gegen die Anabolikaspritzen zu tun sei, von denen immer mehr herumliegen.

Gar keine Spiegel gibt es im Büro von Hans Sachs im rechtsmedizinischen Institut der Universität München. Sachs ist Toxikologe, sein Raum ist karg eingerichtet, ein Wissenschaftlerbüro.

Über Börjessons Engagement würde er nicht lächeln, dazu hat er schon zu viele tote Bodybuilder gesehen. Zehn waren es insgesamt. Sachs hatte sich früh auf Haar-Analysen spezialisiert, Fälle aus ganz Deutschland werden an ihn überwiesen.

Gelbe Geschwüre, so groß wie Tischtennisbälle

Vor sieben Jahren hatte er den Körper des österreichischen Bodybuilders Andreas Münzer untersucht. "Das Foto von Münzers Leber", sagt Sachs, "war beispielhaft."

Das Organ war durchsetzt von gelben Geschwüren, groß wie Tischtennisbälle, "es hielt kaum noch zusammen". Münzers Tod hatte viel Aufmerksamkeit erregt, doch er hatte so viele verschiedene Hormon-Präparate und Medikamente genommen, dass sich Fitness-Sportler leicht von ihm abgrenzen konnten. Münzer hatte es eben übertrieben, hatte sein Leben geopfert für Schönheit.

Börjesson gelang es weitere fünf Jahre, Nebenwirkungen zu verdrängen. Er fühlte sich der Natur überlegen. Auch dies hing mit Testosteron zusammen.

Carsten Boos, Orthopäde an der Universität Lübeck, befasst sich seit längerem mit dem Selbstbetrug Bodybuilding. Er sagt, anabole Steroide, die den Hormonhaushalt durcheinander wirbeln, stimulieren nicht nur Muskeln, sondern auch das Gemüt.

200.000 Muskeldoper in Deutschland

Kampfpiloten wurden davon einst wagemutig, Kraftsportler werden euphorisch, risikofreudig, angriffslustig. "Die Leute wollen gut drauf sein," sagt Boos, "Testosteron passt in den Zeitgeist."

Boos hat Fragebögen in Studios ausgelegt, Hormonkonsum haben 20 Prozent der Kraftsportler zugegeben, in Deutschland gibt es mindestens 200.000 Muskeldoper.

Nach fünf Jahren bekam Jörg Börjessons Magenprobleme. Anfang der Neunziger hatte er einen gestählten Körper, doch der begann sich zu verweigern. Irgendwann brauchen Testo-Doper Aufputschmittel.

Die euphorisierende Wirkung verkehrt sich ins Gegenteil, der Fitness-Sportler bekommt Depressionen. Amphetamine helfen, Ephedrin, aber auch einfaches Aspirin, und das schlägt auf den Magen.

Börjesson konnte keine Nahrung mehr behalten, musste die Trainingseinheiten reduzieren. Er wollte die Hormonzufuhr stoppen, sein Idol machte ihm Vorwürfe, fehlerhaft dosiert zu haben.

Wie ein vergifteter See

Die Stimmung im Studio wurde frostig, die Symptome wurden heftiger. Der Rücken begann zu schmerzen, Blut schoss ihm plötzlich aus der Nase, und - Börjesson nahm ab.

Ungefähr im Jahr 2000 kippte sein Hormonhaushalt dann um, als wäre sein Körper ein vergifteter See. Bestimmte Derivate von Testosteron wandeln sich mit der Zeit in Östrogene um, und irgendwann nimmt deren Wirkung überhand.

Börjesson wuchsen Brüste, rechts etwas größer als links, so deutlich, dass sein Problem nicht mehr zu verheimlichen war. Seine Hormone spielten verrückt, und vielleicht, glaubt Börjesson heute, hatte er die Wirklichkeit erst erkannt, als ihn sein Sohn fragte, was er nun eigentlich sei, Mann oder Frau.

"Man erkennt sie schnell"

Sachs, der Toxikologe, sagt, das Schicksal von Bodybuildern berühre ihn nicht besonders. "Man erkennt sie sehr schnell auf dem Obduktionstisch", sagt er, viele haben Pickel, manchmal Haarausfall, die Hoden sind auf Teelöffelgröße geschrumpft.

Manche haben Lebertumore, Todesursache sind häufig Herz-, auch Hirninfarkte. Es sind Geschichten von Menschen, die sich selbst vergiften, und Sachs hat so viele andere Menschen zu untersuchen, die sich nie vervollständigen wollten und trotzdem gestorben sind.

"Kennen Sie die Chaos-Theorie?", fragt er. "Sie besagt, dass alles in Beziehung zueinander steht, auch wenn dies rational nicht erklärbar ist."

Das Hormonsystem mit seinen unzähligen geheimnisvollen Wirkungen ist so ein Chaos-System, besonders dann, wenn es noch nicht vollständig entwickelt ist.

Eine Art Verweigerung

Vielleicht steckt aber hinter all den chaotischen Hormon-Reaktionen von Börjessons Körper doch ein logisches System. Es war eine Art Verweigerung.

Jede positive Wirkung führte unweigerlich in ihr Gegenteil. Die Euphorie zu Depression, die Männlichkeit zu Weiblichkeit, das Wachstum zu Krebs und Zerstörung. In Börjessons Brust wurden Knötchen entdeckt, er musste operiert werden, am Ende der Bodybuilder-Karriere stand die Todesangst.

Börjesson, als jugendlicher Mittelstürmer eine Art Außenseiter, blieb ein Einzelgänger.

Es gibt fast keine Bodybuilder, die vor der Presse über die Nebenwirkungen ihrer Anabolika-Kuren sprechen. Börjesson aber war plötzlich beseelt von einer neuen Mission. Er ließ sich bei seiner Operation filmen, versuchte, seine Geschichte in die Zeitungen zu bekommen, gründete das Doping-Frei-Zentrum (www.doping-frei.de).

"Es gibt Wichtigeres"

Die Resonanz ist bislang bescheiden, die Gesellschaft, an die er sich wendet, glaubt nicht daran, ein Körperproblem zu haben.

Börjesson erzählt den Leuten seine Geschichte, doch es wird kaum über die Frage gesprochen, warum das einer tut: sich zu verstümmeln, um schöner zu werden.

Börjesson wollte immer mehr als nur Entspannung, er hat sich als zu gering gefühlt und gibt zu: "Der Körper als Gegner, da ist was dran. Ich kann mich heute nicht mehr mit ihm anfreunden, es gibt Wichtigeres."

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