Dioxin-Skandal:Verseuchtes Tierfutter schon seit Monaten im Handel

Bereits im Frühjahr 2010 wurden mit Dioxin verseuchte Fette zu Tierfutter verarbeitet - und könnten auch Milch verunreinigt haben. Der verantwortliche Betrieb soll davon gewusst haben, die Behörden sprechen von Vorsatz.

Mit Dioxin verseuchte Industriefette sind offenbar über einen längeren Zeitraum zu Tierfutter verarbeitet worden als bisher bekannt - und könnten außer Fleisch und Eiern auch Milch verunreinigt haben.

Dioxin-Skandal

Giftiges Viehfutter wurde an Hunderte Bauernhöfe in mehreren Bundesländern verkauft - anscheinend schon vor zehn Monaten.

(Foto: dpa)

Bereits im März 2010 seien beim Futtermittellieferanten Harles und Jentzsch in Schleswig-Holstein von einem privaten Institut erhöhte Dioxinwerte gemessen worden, teilte das Landwirtschaftsministerium in Kiel mit. Man habe aber erst am 27. Dezember von der Grenzwertüberschreitung erfahren, sagte ein Sprecher von Schleswig-Holsteins Agrarministerin Juliane Rumpf (CDU). Der Fall hätte sofort gemeldet werden müssen.

Demnach ist schon vor zehn Monaten verseuchtes Tierfutter in den Handel gelangt. Laboruntersuchungen ergaben, dass in neun von 20 ausgewerteten Proben der zulässige Höchstwert für Dioxin (0,75 Nanogramm) überschritten wurde. Die Werte erreichten bis zu 10,05 Nanogramm.

Das positive Ergebnis stamme aus einer Eigenkontrolle des Unternehmens und wurde den Behörden nicht mitgeteilt. Die Probe wurde am 29. Dezember von der schleswig-holsteinischen Futtermittelüberwachung in Uetersen (Kreis Pinneberg) beschlagnahmt und der Staatsanwaltschaft übergeben. Nach März 2010 hat es nach Angaben des Ministeriumssprechers bei Eigenkontrolluntersuchungen des Unternehmens weitere Auffälligkeiten gegeben, die ebenfalls unterschlagen wurden.

Belastete Milch im Supermarkt?

Verbraucherschützer warnen indes davor, dass neben Eiern und Fleisch auch Milch mit Dioxin verseucht sein könnte. "Im Moment ist nicht auszuschließen, dass mit Dioxin belastete Milch in den Supermarkt-Regalen gelandet ist", sagte Christiane Groß, Sprecherin der Lebensmittelorganisation Foodwatch, der Bild-Zeitung.

Ein Greenpeace-Chemiker teilt dieselbe Befürchtung: "Das mit Dioxin belastete Futter wurde auch an Rinder verfüttert. In den Tieren lagert sich das Dioxin in den fetthaltigen Körperregionen ab, also auch in der Milch", sagte Mafred Santen dem Blatt. Den Informationen nach sind zum Beispiel im Emsland unter den 153 betroffenen Höfen 15 Milchbetriebe.

Verdacht auf illegale Geschäfte

Indes erhärtet sich der verdacht, dass das Unternehmen Harles & Jentzsch illegale Geschäfte betrieb. Das berichtet das Bielefelder Westfalen-Blatt unter Berufung auf das niedersächsische Agrarministerium. Danach habe die Spedition Lübbe in Bösel im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg keine Genehmigung gehabt, auf ihrem Gelände Fette für die Futtermittelherstellung zu lagern und zu mischen, sagte Ministeriumssprecher Gert Hahne der Zeitung. Die Herstellung von Futtermittelfett sei illegal erfolgt.

Da bei den Behörden lediglich ein Transportunternehmen gemeldet war, habe es auch keine Kontrollen der produzierten Ware gegeben. Es bestehe der Verdacht, dass der Futtermittelhersteller Harles & Jentzsch in Uetersen die Spedition genutzt habe, um sich der Überwachung der Behörden zu entziehen, sagte Hahne dem Blatt. Der niedersächsische Agrar-Staatssekretär Ripke sprach von "kriminellen Machenschaften" und von "Vorsatz": Er gehe von der Absicht aus, dass die Firmen möglichst viel Gewinn erzielen wollten. Technische Fette seien viel billiger als Stoffe für Futter. Von Bösel aus war mit Dioxin belastetes Futterfett bundesweit an Futtermittelhersteller geliefert worden.

Die Zahl der wegen Dioxinverdacht von den zuständigen Landesbehörden vorsorglich geschlossenen Betriebe hat sich erneut erhöht. Wie das Bundesverbraucherministerium mitteilte, sind bundesweit gegenwärtig 4.709 Betriebe geschlossen. Betroffen sind den Angaben zufolge überwiegend Schweinemastbetriebe. Der Großteil liege in Niedersachsen. Dort dürfen 4.468 Betriebe aus Vorsorgegründen solange keine Produkte mehr ausliefern, bis deren Unbedenklichkeit erwiesen ist. Für Verbraucher hat das Ministerium eine Telefon-Hotline eingerichtet. Sie ist unter der Rufnummer 0228 - 99 529 - 4000 Montag bis Freitag von 8.00 bis 18.00 Uhr, Samstag von 8.00 bis 14.00 Uhr erreichbar.

Bauern fordern Schadenersatz

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner rechnet wegen des Dioxin-Skandals mit einem Schaden von 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche für die betroffenen Bauern. Die Futtermittel-Lieferanten sollen die Zeche zahlen. "Sie müssen die Schadensersatzansprüche der Landwirte abgelten. Da werden wir bis zum Letzten gehen", sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Dem Bauernverband bereite aber eine Sache große Sorge: "Betriebe, die gesperrt waren, bei denen aber letztlich kein Dioxin nachgewiesen worden ist, schauen in die Röhre." Man könne juristisch gesehen dafür niemanden haftbar machen.

Sonnleitner: "Deshalb muss die Futtermittelindustrie sobald wie möglich einen Schadensfonds auflegen, der jährlich mindestens eine dreistellige Millionensumme umfassen müsste." Dieser Fonds wäre laut Sonnleitner eine Rückversicherung, etwa für den aktuellen Skandal. Bauern, die unschuldig hineingezogen werden, könnten so entschädigt werden.

Die Berichte über Dioxin in Eiern und Fleisch haben derweil kaum Einfluss auf das Ess- und Kaufverhalten der Deutschen. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend geben nur 14 Prozent an, nun weniger Eier Essen zu wollen, lediglich vier Prozent wollen gar keine Eier mehr essen. 13 Prozent geben an, nun woanders einkaufen zu wollen.

Zwei Drittel der Deutschen (66 Prozent) sagen, dass der aktuelle Dioxin-Lebensmittelskandal keinen Einfluss auf ihre Ess- und Kaufgewohnheiten hat. Für diese Umfrage im Auftrag der ARD-Tagesthemen hat das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap am Mittwoch 727 Wahlberechtigte bundesweit telefonisch befragt.

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