Dieter Bohlen wird 50:Ein Telefonat mit dem Musikminister

50 Jahre Bohlen. Das sind gefühlte 500 Jahre Deutschland sucht den Superstar.

Von Oliver Fuchs

"Hallo", sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung. "Hallo." Die Stimme klingt norddeutsch, verhalten, scheu. Sie sagt: "Hallo."

Bohlen

Dieter Bohlen - ein Mann, der zum Jubiläum von sich nur das Beste hält.

(Foto: Foto: AP)

Von Dieter Bohlen hatte man eine andere Gesprächseröffnung erwartet. Eine, die lauter ist. Mehr mit Pauken und Trompeten. Mehr dieterbohlenhaft. Nach dem "Hallo" entsteht eine Pause. Eins, zwei, drei, vier, fünf Sekunden. Man ist jetzt irritiert. Das Gespräch hat noch nicht begonnen und schon das Konzept dahin.

Was machen Sie gerade?

Pause.

"Ich starre das Klavier an."

Sofort hat man das weißglänzende Klavier vor Augen, die Goldenen Schallplatten an der Wand, eine Polsterlandschaft, in der man sich verlaufen kann. Kissen mit rosa-pink-gestreiften Bezügen, eine in Mahagoni gefasste Stereoanlage, Gitarren, Keyboards. So sieht es doch wohl aus bei Dieter Bohlen, nach allem, was man über ihn erfahren konnte. Nein, vermutlich ist das alles Quatsch!

Die Ausgangssituation: Wir wissen alles über Dieter Bohlen. Wir wissen nichts über Dieter Bohlen. Jetzt wird der Mann 50 Jahre alt, am Samstag. Ungefähr 20 Jahre davon hat er in der Öffentlichkeit verbracht. Im Scheinwerferlicht, deshalb ist er so unverschämt braun gebrannt.

50 Jahre Bohlen also. So ein Jubiläum wirft Fragen auf. Wie konnte es dazu kommen? Und was hat das mit uns zu tun? Einerseits ist natürlich völlig davon abzuraten, mit ihm zu sprechen. Gerade gestand er Bild: "Ich hätte meine Familie niemals verlassen dürfen." Na klar. Er redet pausenlos in Bild. Bohlen, die Boulevard-Existenz - nee, der Typ braucht wirklich keine andere Bühne.

Andererseits ist die Neugierde groß. Arbeitsauftrag: Herausfinden, was Bohlen für ein Mensch ist. Wie tickt der? Was treibt ihn an? Wo kommt er her, wo will er hin? Schwierig. Und kriegt man das überhaupt hin: Bohlen verstehen?

Hallo, Herr Bohlen?

"Die übliche Trefferquote der Musikindustrie beträgt acht Prozent", sagt Herr Bohlen. "Von hundert Titeln, die als Hits gedacht waren, werden acht tatsächlich Hits". Zahlen, Zahlen, Zahlen. "Ich hatte 140 Titel in den Charts." Wie schön. Sagen will er aber: Trefferquote 100 Prozent. Stimmt nicht, es gab auch Flops.

"Ich", sagt Bohlen, "hatte im vergangenen Jahr sechs Hits, die von null auf eins gingen."

"Ich", sagt Bohlen, "habe im Jahr 2003 rund ein Drittel des Gesamtmarkts bewegt."

Merkt er eigentlich mal zwischendurch, wie irre das klingt? Wie riesenstaatsministerhaft?

Allerdings war das Jahr 2003 tatsächlich ein Dieter-Bohlen-Jahr. Auch 1983, 1987 und 1998 waren Dieter-Bohlen-Jahre. Da bescherte die Wiedervereinigung der Popgruppe Modern Talking der Plattenfirma BMG 4,5 Millionen verkaufte CDs, 140 Millionen Mark Umsatz - kurz: den größten Erfolg in der Geschichte.

Schluss jetzt mit Zahlen. Zahlen geben Bohlen immer Recht. Mit Zahlen kann man gegen ihn nur verlieren.

Es passiert vielen Menschen, dass sie in einen rechthaberischen Ton verfallen und auf vernichtende Weise witzig sein wollen, wenn sie über Bohlen sprechen. Nicht wenige stehen am Ende dann selbst als Trottel da. Bohlen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, ist schwer: Wer es nötig hat, sich über Bohlen zu erheben, das merkt ja jeder, der muss es sehr nötig haben. Kritik perlt an Bohlen meistens ab. Kritik macht ihn nur stärker. Persönliche Kritik ("Hirnfreak", Verona F.) genau so wie Kulturkritik ("Pop-Schaumgebäck", Der Spiegel).

50 Jahre Bohlen. Das sind gefühlte 500 Jahre Deutschland sucht den Superstar. Man sollte mittlerweile wissen, wie über ihn zu denken ist, wie man sich ihm gegenüber zu verhalten hat. Das Problem ist: Man weiß es nicht so genau.

Man könnte meinen: Schau dir den Bohlen an, mit seinen so genannten "Hits": "You're my heart, you're my soul", "Cherie, Cheri Lady", "Brother Louie" - Lieder wie Landplagen. Ein heiterer Reigen der Idiotie. Dann seine so genannten "Bücher", seine so genannte "Jury-Tätigkeit" beim Superstar-Sender RTL. Grober Unfug.

Man könnte genauso gut meinen: Schau dir den Bohlen an, wie er so thront bei Deutschland sucht den Superstar. Hendlbraun, schmerzresistent, immun gegen jeden Selbstzweifel, erhaben über alles, verknallt in sich selbst. Verknallt in sich selbst wäre man an manchen Tagen doch selber gern. Wie er aus jeder Pore und mit jeder Faser seines schlanken Körpers kommuniziert: Ich bin toll. Ich fühl' mich hammermäßig super. So spricht er ja auch über sich. Wie er es geschafft hat, mit einer einzigen musikalischen Idee eine Weltkarriere aufzubauen. Konzerte in Japan, in Korea, im Kreml. Punkmusiker fanden es anarchistisch, einen Song nur auf drei Akkorden aufzubauen. Dieter Bohlen genügte ein Akkord für ein Lebenswerk.

Das alles zusammen ist vielleicht nicht hammermäßig super, aber es verdient doch Respekt.

Nur, wer ist Dieter Bohlen?

"Ich bin der Bohlen", sagt Bohlen. "Ich kann gut kommerzielle Titel komponieren. Ich bin der Musikminister aus Deutschland."

Haha. Bohlen freut sich über sein kleines Bonmot. Jetzt lacht er. Jetzt findet er sich geistreich. Bohlen-geistreich.

"Ich bin der Musikminister". Typischer Bohlen-Satz. Ein gockelhafter, betonharter Satz, erdbebensicher. Aber wenn sich einer traut, mit dem Finger dranzutippen, stürzt der Bohlen-Satz ein wie eine Papphütte im Wind.

Was soll das bitte sein, ein Musikminister? Jemand, dem Musik etwas bedeutet? Bohlen bedeutet doch Musik offenbar nichts. Er macht nicht Pop. Er macht Plumperquatsch.

"Ich kenne wirklich fast jeden, der wichtig ist in der Branche", sagt Bohlen."Ein Anruf genügt."

Es klingt wie: Ich kenne jeden, der wichtig ist in Deutschland. Warum benutzt Dieter Bohlen seine Macht nicht, um Leute mit Talent zu fördern? Warum produziert er Yvonne Catterfeld und Alexander Klaws, geklonte Pop-Zombies nach seinem Vorbild? Wahrscheinlich deshalb.

Wenn man sich Bohlens Biograhie anschaut, fällt vor allem auf, dass es keine Krisen gab. Den einen oder anderen Ehekrach, hier mal ein Penisbruch, dort ein Einbruch, aber keine wirkliche Krise. Krisen hatten immer nur die anderen. Dieter Bohlen ist diplomierter Kaufmann. Geld ist seine Welt.

"Wir werden regiert von Lehrern wie Hans Eichel", sagt er. Wenn es ein Problem gebe, "gründet der Eichel erst mal ein Komitee, das ein paar hundert Millionen Euro kostet. Eichel ist sicher nicht der kompetenteste Wirtschaftslenker, der unser Land in sichere Gewässer steuert".

Hallo, hallo. Bohlen, der Staatsmann, der Denker, der Wirtschaftskapitän. Hoffentlich geht er nicht in die Politik wie Schwarzenegger. Wähler würde er bestimmt genug finden.

Aber Dieter Bohlen bezieht bloß Stellung. Zu den drängenden gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit.

A) Trans-Rapid: "Ein Hammer-Flop." B) Gesundheitsreform: "Da ist nur Müll herausgekommen." C) Mautsystem: "Ein Desaster. Was ist das für ein Signal ins Ausland!"

Der Tonfall klingt nach Christiansen: Lassen-Sie-mich-mal-ein-paar-Dingeklarstellen.

Es wird nichts klar.

50 Jahre Bohlen. Mit 50 ist man nicht mehr jung. Noch nicht alt. Mit 50 weißt man wohl: Es wird so oder so ähnlich weitergehen, bis zum Schluss. Bohlen wird Bohlen bleiben. Soviel ist sicher.

Wer ist Dieter Bohlen?

"Ich bin der Bohlen", sagt Bohlen. "Die Leute fallen nicht vor mir auf die Knie. Ich muss mir alles hart erarbeiten."

Zwei Menschen bedeuten ihm "besonders viel": Zum einen RTL-Geschäftsführer Zeiler, zum anderen Bild-Boss Diekmann.Mit beiden kann man in Deutschland als "Mann der 1000 Schlagzeilen" (Bild) und zwei Bücher vermutlich gut leben.

Das ist wahrscheinlich die ganze Wahrheit. Und Tschüß.

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