Die Ostsee:Eine einzige Giftmüllkippe

Vor der schwedischen Küste werden Tausende quecksilberhaltige Fässer entdeckt - der Zustand des Meeres ist verheerend.

Gunnar Herrmann

Als Ingemar Cato im Sommer mit Spezialgerät den Meeresboden vor der schwedischen Küste abgesucht hat, da hat er nichts Gutes erwartet.

Und der Wissenschaftler sollte Recht behalten: 3500 rostige Fässer mit Giftmüll fand er auf dem Boden der Ostsee. Insgesamt, so vermutet Cato, lagern vor der Küste mehr als 20.000 Fässer.

Ihr Inhalt könnte sich als tickende Zeitbombe erweisen, denn sie sind mit einer quecksilberhaltigen Chemikalie gefüllt, die mit Beton vermischt ist.

Quecksilber ist eines der gefährlichsten Umweltgifte überhaupt, das Metall kann von der Natur nur sehr schwer abgebaut werden. Etwa neun Tonnen lagern vor Sundsvall - genug, um ganze Fischbestände zu verseuchen. Cato bleibt trotzdem gelassen. Denn immerhin: Diese Giftquelle hat man ausfindig machen können. Das macht sie ungefährlicher als viele andere Altlasten in der Ostsee, von denen meist nur der ungefähre Standort bekannt ist.

Das Gift fand Cato nur nebenbei

Die Episode in Sundsvall wirft ein Schlaglicht auf den Zustand des europäischen Binnenmeeres. Jahrzehntelang haben die Anrainerstaaten die Ostsee als Müllkippe genutzt - und zwar völlig legal. Das Quecksilber am Meeresgrund stammt von einer Papierfabrik, die auf diese Weise in den 50er- und 60er-Jahren ihre Industrieabfälle entsorgte. Das war damals so üblich. Aus den Aufzeichnungen der Papierfabrik weiß Cato, dass es insgesamt mehr als 20.000 Giftfässer sein müssen, die dort liegen.

Nur weil die Schweden bei ihren Verklappungstouren Notizen anfertigten, konnte der Wissenschaftler überhaupt gezielt nach dem Müll suchen und zumindest 3500 Fässer finden. Denn eigentlich leitete Ingemar Cato eine Expedition für Schwedens geologische Aufsichtsbehörde SGU und sollte den Meeresboden vor Sundsvall kartografieren. Dass er nebenbei das Gift fand, verdanken die Küstenbewohner nur dem Umstand, dass jemand auf die alten Aufzeichnungen der Papierfabrik gestoßen war.

Jetzt stellt sich die Frage, was mit dem Müll passieren soll. Sofort bergen, meint Jochen Lamp. Der Ostsee-Experte beim deutschen World Wildlife Fund (WWF) fordert neben der Reinigung des Meeresbodens vor Sundsvall noch mehr: Schweden und alle anderen Ostseestaaten sollen ein groß angelegtes Programm beschließen, um auch den anderen Müll, der in ihrem Meer vor sich hin rostet, ausfindig und unschädlich zu machen. Oft sind die Gifte nicht so leicht zu entdecken wie die Quecksilberfässer der Papierfabrik.

Schweden hat Bedenken

Neben Industrieabfällen liegt zum Beispiel Schrott aus zwei Weltkriegen am Boden der Ostsee. Fischer wissen seit langem, dass sie vorsichtig sein müssen, wenn sie Altmetall im Netz finden - es könnten Senfgasgranaten aus dem Ersten Weltkrieg sein.

Besonders tückisch ist auch Phosphor, ein Stoff, der manchmal in Bomben verwendet wurde und der noch heute gelegentlich an den Ostseestrand gespült wird. Unter Wasser ist die Substanz stabil und sieht ein wenig wie Bernstein aus - an der Luft aber geht Phosphor in Flammen auf.

Für Deutschland könnte der Müll am Meeresgrund bald in einem ganz anderen Zusammenhang wichtig werden: beim Bau der Ostsee-Pipeline nach Russland. Schweden hat bereits Bedenken angemeldet. Zustimmen will die Regierung in Stockholm nur nach einer eingehenden Umweltprüfung des Projekts. Denn niemand weiß genau, welche Hindernisse möglicherweise zwischen Rostock und Petersburg auf dem Meeresgrund lagern und welche Folgen es haben könnte, wenn der Schrott für die Verlegung der Gasleitung weggeräumt wird. Manche Experten fürchten, dass der Pipelinebau eine Menge Dreck aufwirbeln könnte, der dann an die Küsten treibt.

"Keine Panik!"

Derzeit erarbeiten die Anrainerstaaten einen Aktionsplan zu Verbesserung der Umweltsituation in der Ostsee, der 2007 fertig sein soll. ,,Die Bergung der alten versenkten Schadstoffe gehört auf die Topliste dieser Aktionen'', sagt Lamp. Voraussetzung für eine solche Bergung wäre zunächst die genaue Kartografierung der Mülldeponien am Meeresgrund - und die ist sehr teuer.

Ingemar Cato stimmt dem Umweltschützer Lamp zumindest teilweise zu. Seit 1970 verbieten internationale Abkommen das Verklappen von Giftmüll in der Ostsee. Alle Altlasten stammen also aus früheren Jahrzehnten. "Derzeit leben noch einige Menschen, die damals bei der Entsorgung dabei waren", sagt Cato, "aber die sind schon alt. Deshalb ist die Angelegenheit dringend."

Dass die Schweden die entdeckte Fässer vor Sundsvall sofort bergen müssen, wie Lamp fordert, meint Cato dagegen nicht: "Keine Panik. Das Zeug liegt schließlich schon 40 oder 50 Jahre dort unten."

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