Copilot von Germanwings-Flug 4U9525:Furchtbares Geheimnis

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Trauerbekundung vor der Unternehmenszentrale von Germanwings (Foto: dpa)

Der Copilot des verunglückten Passagierflugzeugs war wohl psychisch krank. Seine Ärzte wussten das und haben ihm Atteste ausgestellt. Sein Arbeitgeber allerdings hat davon nichts erfahren.

Eine Analyse von Bernd Dörries

"SIC", steht in seiner Akte. Lateiner kennen die Abkürzung als Hinweis auf etwas Besonderes, auf etwas, das man beachten sollte. "SIC" steht in der Tauglichkeitsprüfung von Andreas Lubitz, es steht da wie ein Ausrufezeichen. Nur hat es offenbar niemanden zu Konsequenzen veranlasst. Nicht bei Germanwings, nicht beim Luftfahrtbundesamt.

SIC steht für Specific Regular Medical Examination. Dafür, dass eine regelmäßige medizinische Untersuchung erforderlich ist. Hineingeschrieben hat die Bemerkung ein Fliegerarzt von Andreas Lubitz, der seine Tauglichkeit überprüfte, so wie es vorgeschrieben ist. Die Fliegerärzte machen ein EKG, sie testen die Sehfähigkeit und prüfen das Hörvermögen. Nur in den Kopf kann der Fliegerarzt dem Patienten nicht schauen.

Man sieht sich einmal im Jahr, der Pilot kann alles Mögliche erzählen. "Piloten haben eine enge Bindung an ihren Beruf. Wenn Sie denen eine Lizenz wegnehmen - dann bricht eine Welt zusammen. Das wollen die mit allen Mitteln verhindern. Die sind gute Schauspieler", sagt Matthias Wirth vom Verband der Fliegerärzte. Auch Andreas Lubitz hatte offenbar diese Qualitäten. Diejenigen, die mit ihm beruflich zu tun hatten, kannten ihn als Spaßmacher und netten Kerl. Die andere Seite bekamen sie offenbar nicht zu sehen.

Fluggesellschaften haben keinen Zugriff auf die Krankenakten ihrer Piloten. Ist das ein Sicherheitsrisiko? Darüber dürfte eine Diskussion entbrennen. (Foto: Graf F. Luckner/Lufthansa)

Andreas Lubitz war in den vergangenen Jahren bei verschiedenen Ärzten in Behandlung, es ging um schwerwiegende psychische Probleme. Für den Tag, an dem er das Flugzeug zum Absturz brachte, war er eigentlich krankgeschrieben. Die Atteste fanden die Ermittler in seiner Wohnung, einige waren zerrissen. Die Staatsanwälte versuchen nun herauszufinden, wo Lubitz wie lange in Behandlung war und wie schwer seine Erkrankung war. Seine Probleme habe er gegenüber dem Arbeitgeber verheimlicht, sagt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Was auch nicht schwer ist.

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:Sollte in bestimmten Fällen die ärztliche Schweigepflicht gelockert werden?

Der Copilot des verunglückten Passagierflugzeugs war wohl psychisch krank. Seine Ärzte wussten das und haben ihm Atteste ausgestellt. Sein Arbeitgeber allerdings hat davon nichts erfahren. Sollte bei bestimmten Berufsgruppen die ärztliche Schweigepflicht gelockert werden?

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Um zu fliegen, müssen die Piloten drei Dinge beim Arbeitgeber vorlegen. Ein Passbild, ihre Lizenz und die Flugtauglichkeit, das sogenannte Medical. Im Fall von Andreas Lubitz konnten also sowohl das Luftfahrtbundesamt als auch sein Arbeitgeber Germanwings sehen, dass da was war in der Vergangenheit. SIC bedeute, so Flugarzt Wirth, dass die Tauglichkeit für Lubitz schon einmal verweigert und dann nur unter Auflagen wieder erteilt worden sei. Im Fall von Lubitz soll es sich um eine Depression gehandelt haben, die dann aber vom zuständigen Aeromedical Center vor einigen Jahren für abgeklungen erklärt wurde. Wussten auch Germanwings und das Luftfahrtbundesamt, was da war?

"Mehr als den Hinweis SIC dürfen wir nicht wissen, das verbietet der Datenschutz. SIC kann nur ein Beinbruch oder eben eine psychische Erkrankung sein", sagt ein Sprecher des Luftfahrtbundesamtes. Im Jahr 2009 erklärte nach SZ-Informationen das Lufthansa Aeromedical Center in Frankfurt den jungen Mann für flugtauglich, 2014 das in München. Der Fliegerarzt bekommt zwar die Auflagen mitgeteilt, unter denen die Tauglichkeit wieder erteilt wird. Einen Überblick, bei wem sich Lubitz sonst so behandeln ließ, hatte aber auch er nicht. Wäre die Gesundheitskarte in vollem Umfang eingeführt worden, so sagen ihre Befürworter, dann hätten die verschiedenen Ärzte, die Andreas Lubitz behandelten, voneinander gewusst, dann hätte der Fliegerarzt ihn womöglich nicht tauglich geschrieben.

Muss die ärztliche Schweigepflicht für Berufe wie dem des Piloten eingeschränkt werden?

Der Fall Andreas Lubitz hat bereits eine Debatte ausgelöst, ob die ärztliche Schweigepflicht für Berufe wie den des Piloten eingeschränkt werden muss. Die Psychologen, bei denen Lubitz bisher in Behandlung war, hatten keine Möglichkeit, Bedenken zur Sprache zu bringen, dass da ein Pilot offenbar mit sich selbst ringt, womöglich eine Gefährdung für andere darstellen kann. Den Arbeitgeber kontaktieren, das geht nur mit Einwilligung des Patienten. Was bleibt, ist die Einweisung in die Psychiatrie. Ein großer Schritt bei Menschen, die so erfolgreich im Berufsleben stehen.

SZ-Grafik: Pia Kettl (Foto: sz)

Die Vereinten Nationen haben bereits regelmäßige medizinische Spezialtests für Piloten gefordert, die Untersuchungen müssten sowohl die psychische als auch die körperliche Fitness der Piloten prüfen, erklärte die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO. Der Verband der Fliegerärzte hält die bisherigen Standards für ausreichend. Komplette Sicherheit gebe es nie. "Schon jetzt gibt es eine Verpflichtung der Piloten, ihre komplette Krankengeschichte offenzulegen", sagt Fliegerarzt Wirth. Würde man die ärztliche Schweigepflicht aufheben, dann würden sich kranke Piloten womöglich gar keinem Arzt mehr anvertrauen, aus Angst um den Job.

Warum stürzt so einer ab?

Der Beruf, das ist das Wenige, was man über Andreas Lubitz sicher weiß, war ein sehr wichtiges Element seiner Identität. Seit der Jugend war sein Leben darauf ausgelegt, es in ein Cockpit der großen Gesellschaften zu schaffen. Seine Zimmer waren wie Cockpits dekoriert, früh fing er mit dem Segelflug an. Fliegen war sein Traum, den er sehr früh erreicht hat. Warum stürzt so einer ab?

Germanwings-Absturz in Frankreich
:Angst fliegt mit

Er zerriss seinen Krankenschein und flog los: Nach dem Absturz von Flug 4U9525 werden im Cockpit schärfere Regeln gelten. Doch wichtiger ist die Frage, wie die Fluggesellschaften Probleme wie die von Andreas Lubitz erkennen können.

Von Jens Flottau

Lubitz war von außen betrachtet kein Außenseiter, hatte seit sieben Jahren eine Freundin, mit der er in Düsseldorf zusammenwohnte. Er hatte Freunde, eine intakt wirkende Familie. Der Vater hatte Arbeit, die Mutter ist Organistin in der Kirchengemeinde. In den vergangenen Tagen haben sich die Nachbarn geäußert, der Bäcker, der Schuhmacher, seine Lehrer, der Pfarrer, der Inhaber der Pizzeria. Die Kameraden im Flug-Club haben geredet und frühere Mitschüler - alle sagen sie: Ein netter Mann sei das gewesen.

Andreas Lubitz hat aber wohl selbst bemerkt, dass etwas nicht stimmt mit ihm. Er ist zum Arzt gegangen. Immer wieder. Was wäre, wenn er dort gesagt bekommen hat, dass er nicht mehr fliegen soll? Dass der Traum zu Ende ist?

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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