Der Fall einer Sängerin:Intimes, inszeniert und vorgeführt

Wie die Staatsanwaltschaft Darmstadt nach der Verhaftung einer Pop-Sängerin Details ausbreitete, über die sie besser geschwiegen hätte.

Hans Leyendecker

Der Darmstädter Staatsanwalt Ger Neuber ist seit knapp dreißig Jahren Strafverfolger und seit zehn Jahren macht er nebenbei auch noch die Arbeit des Pressestaatsanwalts, der für seine Behörde spricht.

Der Fall einer Sängerin: Die Band "No Angels" vor einem Fernsehauftritt.

Die Band "No Angels" vor einem Fernsehauftritt.

(Foto: Foto: AP)

Die Sache, die der 63-jährige Beamte nun auf den Tisch bekam, war für ihn etwas Neues. Eine Sängerin, deren Namen ihm nichts sagte, war am Ostersamstag wegen Verdachts der schweren Körperverletzung festgenommen worden. Ein Ermittlungsrichter hatte Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr angeordnet.

Neuber googelte im Internet und las in einem älteren Blog, dass die Sängerin angeblich HIV-positiv sei. Er rief eine seiner beiden Töchter an und fragte, ob die von der "jungen Frau" (Neuber) mal gehört habe: "Ja", die sei berühmt. In der Bild-Zeitung stand dann am Dienstag eine Geschichte über die nächtliche Festnahme der Sängerin; allerdings ohne Details zum Tatvorwurf.

Daraufhin setzte sich Neuber mit Kollegen und der Behördenleitung zusammen, um die Lage zu beraten. Er fertigte eine Pressemeldung, derzufolge die Beschuldigte im Verdacht stehe "in den Jahren 2004 und 2006 ungeschützten Geschlechtsverkehr mit drei Personen", gehabt zu haben, "ohne diese zuvor darauf hinzuweisen, dass sie selbst HIV-positiv" sei.

Dann rollte, sagt Neuber, "eine Lawine los", und er redete vor den Kameras einschlägiger TV-Magazine über das Intimleben der Frau und die angebliche Wiederholungsgefahr.

Ein Fall für sich

Am Mittwoch erstellte das Landgericht Berlin "wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung" einen Beschluss, demzufolge es verboten sei, über das Verfahren "und/oder den Gegenstand der Untersuchungshaft zu berichten".

Das zielte gegen Bild und den Axel-Springer-Verlag, aber indirekt auch gegen die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft. Am Donnerstag rätselte Neuber, "ob unser Fall am Ende vorm Bundesverfassungsgericht landen wird". Mag sein. Einer der Anwälte der Sängerin ist der Berliner Presserechtler Christian Schertz, und mit dem ist nicht zu spaßen. Schertz jedenfalls zeigt sich "fassungslos" über die Darmstädter Verhältnisse.

Auf das Wie kommt es an

Immer wieder ist zu beobachten, dass Staatsanwälte vor Kameras den großen Auftritt suchen, dass sie, mitunter, geltungssüchtig oder überfordert sind. Und der Wettbewerbsdruck in den Medien hat die Arbeit der Pressestaatsanwälte radikal verändert.

In der Praxis kollidieren, wie eh und je, die durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Presse- und Rundfunkfreiheit (mit dem Auskunftsanspruch der Medien) und das durch die Grundgesetz-Artikel 1 und 2 geschützte Allgemeine Persönlichkeitsrecht (mit den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen).

In einem Aufsatz über "Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden" beschreibt der Bonner Presserechtler Gernot Lehr die Entwicklung seit den siebziger Jahren.

Es gehe "nicht um das Ob der öffentlichen Informationspolitik durch staatliche Stellen, sondern um das Wie". Unabhängig vom Mediendruck müssten staatliche Stellen "den Persönlichkeitsschutz der Betroffenen berücksichtigen".

Persönlichkeitsschutz gilt für jeden

In seiner Abhandlung führt Lehr auch den Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss an, gegen den wegen Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften ermittelt wird.

Die Karlsruher Staatsanwaltschaft war Erklärungen von Tauss öffentlich entgegengetreten: "Es widerspricht dem bisherigen Ermittlungsergebnis, wenn Tauss zum wiederholten Mal den Besitz von kinderpornographischem Material für seine Tätigkeit als Abgeordneter rechtfertigt", stand in einer Pressemeldung.

Darf eine Staatsanwaltschaft solche Erklärungen öffentlich kommentieren?

Dass die Darmstädter Ermittler angesichts der Festnahme der Sängerin über den Verdacht der schweren Körperverletzung berichten mussten, ist bei vielen Presserechtlern unbestritten.

Auf das Wie komme es an, erklären die meisten der Befragten. Sie meinen, dass die Intimsphäre der Frau auf alle Fälle hätte tabu bleiben müssen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Sängerin noch diese Woche aus der Untersuchungshaft entlassen wird.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: