Der Fall Birna Brjánsdóttir:Island-Krimi

Mord in einem Land, in dem es kaum Morde gibt: Das Verbrechen an einer jungen Frau in der Hauptstadt Reykjavik erschüttert Island und hat auch Auswirkungen auf die Beziehungen zu Grönland.

Von Silke Bigalke

Es sind noch viele Fragen offen. Die nach dem roten Kia etwa, in dem Birna Brjánsdóttir am Tag ihres Todes gesessen haben muss. Wo genau ist er mit ihr hingefahren? Ist sie in dem Auto gestorben oder woanders? Und vor allem: Wie? Die 20-jährige Isländerin ist am Freitag beerdigt worden, knapp drei Wochen nach ihrem Verschwinden. Nach der Trauerfeier in der Hallgrímskirkja trugen ihre Freunde den weißen Sarg aus der Kirche.

Der Mann, der verdächtigt wird, Birna Brjánsdóttir ermordet zu haben, sitzt weiter in Haft. Er gehört zur Besatzung eines grönländischen Fischkutters, der Polar Nanoq, der in jener Nacht südlich von Reykjavik im Hafen lag. Und er soll den roten Kia gefahren haben, einen Leihwagen, in dem die Polizei später Spuren von Birna Brjánsdóttirs Blut fand. So jedenfalls berichten es isländische Medien. Auch einen Beifahrer soll dieser Mann gehabt haben. Zuerst bestätigte die Polizei, dass sie zwei Männer verhaftet habe. Einen ließ sie vergangene Woche wieder frei, den anderen hält sie weiterhin fest. Die Trauerfeier für Birna Brjánsdóttir war für die Isländer mehr als ein Abschied. Dieser Fall wird sie noch lange beschäftigen.

Mit nur 25 Tötungsdelikten in zwölf Jahren hat Island eine der geringsten Mordraten der Welt

Stets haben sich die Menschen sicher gefühlt in ihrem Land. In Island umgebracht zu werden, ist höchst unwahrscheinlich. Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung hat in einer globalen Studie in Island genau 25 Tötungsdelikte innerhalb von zwölf Jahren gezählt (von 2000 bis 2012). Bei nur 338 000 Isländern ergibt das eine der geringsten Raten der Welt. Und nun? Nun melden sich immer mehr Frauen zu Selbstverteidigungskursen an, nun möchte die Stadt Reykjavik mehr Überwachungskameras aufhängen. "Die meisten Verbrechen, die in Island passieren, sind Verbrechen aus Leidenschaft", sagt Journalist Atli Már Gylfason, der für die Zeitung Stundin über den Fall berichtete. Täter seien dann oft eifersüchtige Ex-Partner, wütende Ehemänner. Aber der Gedanke, dass eine junge Frau entführt, misshandelt und ins Meer geworfen wurde, "das war ein Schock für die Nation".

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Reykjavik gilt vielen als schöne, friedliche Stadt. Hier wurde Birna Brjánsdóttir am frühen Morgen des 14. Januar zum letzten Mal lebend gesehen.

(Foto: Spencer Platt/Getty)

Einige isländische Medien haben Fotos und Namen der beiden verdächtigen Männer veröffentlicht. Beide sind Grönländer, und in den Medien Islands kursieren nun viele Geschichten über sie. Der Mann, der wieder frei ist, soll in der Nacht von Birna Brjánsdóttirs Verschwinden völlig betrunken gewesen sein. Der andere Mann soll in Grönland mal von einer Frau beschuldigt worden sein, sie vergewaltigt zu haben. Es gab jedoch nicht genügend Beweise.

Das letzte Bild von Birna Brjánsdóttir hat eine Überwachungskamera an Reykjaviks Haupteinkaufsstraße Laugavegur aufgenommen, gegen halb sechs am Samstagmorgen. Zur selben Zeit war dort der rote Kia unterwegs. Das Auto taucht wenig später auch auf den Bildern der Hafenkamera auf. Zwei Männer steigen aus dem Wagen. Einer geht aufs Schiff. Der andere steigt wieder ein und fährt davon. Ob zu diesem Zeitpunkt jemand auf der Rückbank gesessen oder gelegen hat, ist unklar.

Der Fall Birna Brjánsdóttir: Die Verkäuferin Birna Brjánsdóttir fiel wohl einem Verbrechen zum Opfer. Am vergangenen Freitag wurde sie unter großer Anteilnahme beerdigt. Brjánsdóttir wurde nur 20 Jahre alt.

Die Verkäuferin Birna Brjánsdóttir fiel wohl einem Verbrechen zum Opfer. Am vergangenen Freitag wurde sie unter großer Anteilnahme beerdigt. Brjánsdóttir wurde nur 20 Jahre alt.

(Foto: AFP)

Die isländische Polizei fliegt mit dem Hubschrauber der Polar Nanoq hinterher, die wieder auf See ist. An Bord findet sie nicht nur eine große Menge Haschisch, sondern auch den Ausweis der Verschwundenen. - "Mein Herz ist mir in den Magen gerutscht, als ich gehört habe, dass das Schiff in die Sache verwickelt ist", sagt Inga Dora Markussen, Generalsekretärin des Westnordischen Rats, einer Kooperation zwischen Island, Grönland und den Färöern. Ihre Mutter ist Grönländerin, der Vater Isländer, sie lebt in Island. Als der grönländische Kutter ins Spiel kam, habe sie gewusst, dass das Auswirkungen auf die Beziehungen der beiden Inseln haben würde. Und darauf, wie man in Island über Grönland denkt. "Ich weiß, meine Leute in Grönland sind sehr, sehr traurig", sagt Inga Dora Markussen. Grönland, das bringe man in Island oft in Verbindung mit eher traurigen Fakten, der hohen Selbstmordrate, den sozialen Problemen - und nun werde man auch nach Birna fragen und den Drogen, sagt sie. Der isländische Präsident Guðni Jóhannesson schrieb in einem Statement, die Isländer sollten nur nicht misstrauisch und mit Vorurteilen reagieren.

An dem Tag, als Birna Brjánsdóttirs Leiche gefunden wurde, haben sie in Grönland Kerzen vor dem isländischen Konsulat angezündet und "Amazing Grace" auf Grönländisch gesungen. "Ich hab das Video auf Facebook gesehen und fast geweint", sagt Inga Dora Markussen.

Die Besatzung eines Hubschraubers der Küstenwache hatte die Tote nahe des Selvogsviti-Leuchtturms am Strand gefunden, 65 Kilometer südlich von Reykjavik, acht Tage, nachdem sie vermisst worden war. 700 Freiwillige des isländischen "Search and Rescue"-Teams hatten zuvor mit Hunden, Fahrzeugen, Drohnen und Hubschraubern nach ihr gesucht. Mehrere Tausend Menschen zogen am Wochenende darauf in Reykjavik in einem Trauermarsch durch die Innenstadt.

Zur Todesursache schweigt die Polizei. Womöglich macht sie die erst öffentlich, wenn es zu einer Anklage kommt, sagt Grímur Grímsson, der die Ermittlungen leitet. Auch dazu, wie die Leiche an den Strand gelangt ist und wo sie womöglich ins Wasser geworfen wurde, kann er noch nichts sagen.

"Wir müssen wissen, was mit ihr passiert ist, jede Minute", sagt Journalist Atli Már Gylfason. Erst dann könne die Familie, die Polizei und letztlich das Land mit dem Fall abschließen.

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