Der Attentäter von Winnenden:Tim brauchte Hilfe

Der Anwalt der Opferfamilien wirft den Eltern von Tim K. vor, sie hätten dessen Amoklauf verhindern können. Die Vorwürfe fußen auf einem psychiatrischen Gutachten.

Bernd Dörries

Tim K. war sich offenbar bewusst, dass etwas nicht stimmte mit ihm, dass sein Leben in eine falsche Richtung lief. Er suchte Hilfe im Internet und gab im Frühjahr 2008 Stichwörter in Suchmaschinen ein, Begriffe, die das zusammenfassen sollten, was ihm an sich aufgefallen war. Er meinte schließlich, eine bipolare-Störung festgestellt zu haben.

So steht es in einem 67-seitigen psychiatrischen Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Dort läuft gegen den Vater von K. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, er hatte die Tatwaffe vorschriftswidrig unverschlossen aufbewahrt. "Die Eltern sind im juristischen Sinne mitverantwortlich für die Tat. Das Gutachten zeigt, sie hätten wissen müssen, dass Tim gefährlich ist", sagt der Anwalt der Opferfamilien, Jens Rabe.

Vorwürfe an die Eltern

Wenn man dem Gutachten folgt, dann hätten die Eltern erkennen können, dass in Tim K., 17, eine Gefahr lauerte, dass zumindest die Waffen und der Schützenverein "tabu" sein sollten. Er erzählte den Eltern von seinem Verdacht einer bipolaren Störung, einer manisch-depressiven Erkrankung. Gemeinsam fuhren sie in ein psychiatrisches Zentrum nach Weinsberg. Fünf Mal sprach Tim K. dort mit einer Therapeutin und schilderte ihr, wie er sich und die Welt sah: Dass ihn alles ankotze und er einen Hass habe, der sich immer weiter steigere.

Im ersten Gespräch offenbarte er der Therapeutin, Tötungsabsichten zu haben, den Drang "Menschen zu töten". Die Therapeutin hat nach SZ-Informationen in zwei Vernehmungen ausgesagt, wie sie den Eltern von Tim K. die Phantasien ihres Sohnes geschildert habe. Die Eltern bestreiten das und haben der Therapeutin auch nie von einer Waffe im Haushalt erzählt.

Tim K. schoss derweil weiter im Schützenverein. Die Therapeutin kam zwar zum Schluss, dass bei ihm keine unmittelbare Gefahr für sich oder andere bestehe, empfahl aber im September 2008 eine ambulante Behandlung fortzusetzen, unter Beteiligung der Eltern. Dazu kam es aber nie.

Ein Leben vor dem Computer

Tim K. verbrachte sein Leben hauptsächlich vor dem Computer. Manches, was er dort trieb, hat der spätere Amokläufer der Therapeutin verschwiegen, so sollen seine sexuellen Fantasien und Neigungen in den Gesprächen keine Rolle gespielt haben. Die Ermittler stellten bei der Untersuchung der Festplatte aber fest, dass er sich für sadomasochistische Bilder interessierte, in denen der Mann das Opfer ist, gefesselt am Boden liegt und von Frauen gedemütigt wird. Auch am Vorabend der Tat schaute er einen solchen Film.

Was der Gutachter nicht untersuchte ist, ob das Bild K.s von sich und von den Frauen, die masochistischen Sexualphantasien, die ihn schließlich dominiert haben sollen, auch eine Rolle dabei spielten, dass die meisten Opfer des Amoklaufes Frauen sind. Die Polizei hatte dies allein auf die Sitzordnung in den Klassenzimmern zurückgeführt. In einem Tresor im Zimmer von K. fand die Polizei noch ein paar Zeilen.

Es gebe verschiedene Ansichten, warum Menschen so werden wie er, heißt es darin. Die einen würden sagen, man werde so geboren, die anderen, man werde zum dem gemacht. "Die Wahrheit ist, diejenigen haben es schon von Geburt an in sich, es kommt jedoch nur raus, wenn das Gemachte hinzukommt."

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