Debatte um Hinrichtungen:"Ich habe geschrien vor Schmerz"

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Romell Broom kann von der eigenen Hinrichtung berichten. Nicht nur bei ihm kam es zu einer makabren Panne. Die Vollstreckung wird ausgesetzt. Vorerst.

Zwei Stunden dauerte das Martyrium von Romell Broom, zwei Stunden versuchte ein Exekutivkommando ihn zu töten - dann wurde die Hinrichtung abgebrochen. Das Team fand keine Vene für die Todesspritze und der 53-Jährige verließ die Hinrichtungskammer im Gefängnis von Lucasville im US-Bundesstaat Ohio mit zerstochenen Venen und geschwollenen Gliedern, aber als lebendiger Mann.

"Ich habe geschrien vor Schmerz", sagte Broom hinterher. 18 Stiche zählte er nach dieser Tortur. "Ich habe geweint, mir ging es schlecht, meine Arme waren geschwollen", gab er zu Protokoll. "Mir ging es elend. Durch die Verletzungen der vielen Stiche konnte ich meine Arme nicht bewegen." Der Häftling soll 1984 ein 14-jähriges Mädchen vergewaltigt und umgebracht haben.

"Es funktioniert nicht!"

Nach der gescheiterten Hinrichtung von Romell Broom setzte ein US-Bundesgericht in Ohio die Vollstreckung der Todesstrafe vorerst aus. Die Richter gaben damit einer Klage des 43-jährigen verurteilten Mörders Lawrence Reynolds statt. Sie machten zwei grundsätzliche Bedenken geltend: Zum einen gäben Ohios Richtlinien für Hinrichtungen keinen Hinweis darauf, wie zu verfahren sei, wenn die Venen des Todeskandidaten nicht für die Giftspritze geeignet seien.

Zum anderen hätten der Fall Broom und zwei vorangegangene Fälle grundsätzliche Zweifel an der Kompetenz des Hinrichtungsteams geweckt. Denn Brooms Fall ist nicht der erste dieser Art. Bereits 2007 durchlitt in Ohio, wo seit 1999 der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge 32 Menschen hingerichtet wurden, ein Todeskandidat ein mehr als einstündiges Martyrium.

Während der Exekution hatte er wiederholt den Kopf geschüttelt und gesagt: "Es funktioniert nicht!" Mindestens zehn Mal musste die Nadel mit dem tödlichen Gift bei dem übergewichtigen Häftling neu angesetzt werden. Nach 90 Minuten wurde Christopher Newton, der einen Schachpartner im Streit erschlagen hatte, schließlich für tot erklärt.

Das Gift wirkte nicht

In einem anderen Fall wachte 2006 ein Gefangener wieder auf und erklärte den Wärtern, das Gift wirke nicht. Darum gelten nun neue Richtlinien. In Ohio wurde im Juni 2009 der verurteilte Mörder Daniel Wilson unter Anwendung der neuen Regeln mit der tödlichen Injektion hingerichtet. Diese sehen vor, dass der Wärter nach der Verabreichung einer ersten Spritze den Namen des Verurteilten rufen und ihn an der Schulter schütteln muss. Falls der Verurteilte darauf reagiert, soll eine zweite Dosis gespritzt werden.

Amnesty International zählte am 1. Januar 2009 in den USA 3297 zum Tode Verurteilte. Im Durchschnitt vergehen etwa zwölf Jahre von der Verhängung bis zur Vollstreckung der Strafe. Seit der Wiederaufnahme von Hinrichtungen im Jahr 1977 seien bis zum 31. Dezember 2008 insgesamt 1136 Todesurteile vollstreckt worden. Seit dem Jahr 1990 sei bei 23 Verurteilten posthum die Unschuld festgestellt worden, berichtet die Menschenrechtsorganisation.

Zum Tode Verurteilte können in den USA je nach Bundesstaat durch die Giftspritze, den elektrischen Stuhl, die Gaskammer oder den Strang hingerichtet werden. In der Praxis hat sich aber die Giftspritze nahezu als alleinige Hinrichtungsmethode durchgesetzt - und das obwohl seit Jahren in Amerika über die Prozedur gestritten wird.

Schon 2005 warnten Ärzte, dass diese Art von Hinrichtung häufig mit Schmerzen verbunden sei. In vielen Fällen sei die verabreichte Dosis des Betäubungsmittels zu gering, um den Verlust des Bewusstseins zu erreichen, hieß es in einer im medizinischen Fachmagazin Lancet veröffentlichten Studie. Dieser Befund könne insofern nicht verwundern, als die Methode der Injektion auf einem Protokoll basiert, das vor drei Jahrzehnten ohne wissenschaftlichen Hintergrund erstellt worden sei, kritisiert Amnesty International.

In der Praxis führten ferner Inkompetenz, Nachlässigkeit und technische wie medizinische Komplikationen immer wieder zum Versagen dieser Methode. Auch im Fall von Broom warf das Gericht dem Exekutivteam "Inkompetenz" vor. In Ohio seien "ernsthafte und bedenkliche Schwierigkeiten bei der Exekution" von Häftlingen zutage getreten, heißt es in dem Urteil. "Angesichts der verfassungsrechtlichen und humanitären Bedeutung in allen Hinrichtungsfällen sind es diese Probleme auf jeden Fall wert, genauer betrachtet zu werden."

Auch der Oberste Gerichtshof in Washington hatte im September 2007 eine Klage von zwei zum Tode Verurteilten aus dem Bundesstaat Kentucky zugelassen. Die Obersten Richter befanden jedoch im April 2008 in einer Sieben-zu-zwei-Entscheidung die Anwendung der Giftspritze sei bei Hinrichtungen zulässig. Die Kläger hätten nicht ausreichend nachgewiesen, dass das Risiko von Schmerzen im Fall von Fehlern bei der Verwendung einer Spritze eine grausame Bestrafung darstelle.

In Ohio sollen nun bis November vorerst keine Hinrichtungen mehr durchgeführt werden. Auch Romell Brooms Hinrichtung ist seitdem aufgeschoben, seine Anwälte wollen die vollständige Aussetzung erreichen. Broom harrt bereits seit 25 Jahren im Todestrakt aus. Während der ganzen Zeit beteuerte er seine Unschuld.

© sueddeutsche.de/AFP/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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