Debatte über Jugendstrafen in Frankreich:Mord im Internat

In den Wald gelockt, missbraucht und getötet: Das Verbrechen, dem die 13-jährige Agnès zum Opfer fiel, schockiert ganz Frankreich. Der Mörder des Mädchens ist ein erst 17-jähriger Mitschüler - der bereits wegen Vergewaltigung vorbestraft war.

Stefan Ulrich, Paris

Die Rechtsextremen fordern die Wiedereinführung der Todesstrafe. Die Sozialisten möchten jugendliche Straftäter in geschlossene Zentren stecken. Die regierenden Konservativen versprechen, genau das zu tun. Frankreich reagiert so, wie die meisten Länder auf verstörende Verbrechen reagieren: mit Schweigemärschen und dem Ruf nach schärferen Gesetzen.

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Am Elternhaus von Agnès in Paris gedenken die Franzosen der ermordeten Internatsschülerin.

(Foto: AFP)

Doch manche Experten bezweifeln, dass die Ermordung der 13 Jahre alten Schülerin Agnès dadurch hätte verhindert werden können.

Jugendlicher Wiederholungstäter

Agnès besuchte ein mitten in der Natur gelegenes Internat in der Nähe des Ortes Chambon-sur-Lignon in der Auvergne. Ein Mitschüler, der 17 Jahre alte Mathieu, lockte das Mädchen in ein Waldstück, vergewaltigte es, ermordete es und verbrannte die Leiche. Er hat die Tat gestanden. Die Ermittler rätseln noch, warum dieser Junge, der als intelligent gilt und im Internat etliche Freunde hatte, ein so furchtbares Verbrechen beging.

Allerdings hatte Mathieu 2010 schon einmal ein Nachbarsmädchen in einem Wald vergewaltigt. Er saß deswegen vier Monate in Untersuchungshaft. Die Psychiater und Psychologen, die ihn untersuchten, hielten ihn aber für nicht mehr gefährlich. Zudem kommt Mathieu aus einer intakten Familie, die sich um seine Resozialisierung kümmerte. Daher erlaubten es die Behörden, den Jungen in das Internat aufzunehmen.

Nun fragen sich viele Franzosen, wer mitverantwortlich für die grausige Tat sein könnte. Der Großvater des Mädchens findet, die Justiz und das Internat hätten versagt. Die Internatsleitung verteidigt sich, sie habe nicht gewusst, dass Mathieu bereits 2010 ein Sexualverbrechen begangen habe. Die Justiz verweist auf die Psychiater. Justizgewerkschafter betonen, der Fall sei außergewöhnlich, Mathieu entspreche nicht dem typischen jungen Rückfalltäter.

"Agnès hat den absoluten Horror erlebt."

Justizminister Michel Mercier sagt: "Die junge Agnès hat den absoluten Horror erlebt." Es sei nicht akzeptabel, dass Mathieu in Freiheit entlassen und in ein gemischtes Internat geschickt worden sei.

Der Minister schlug dem Kabinett am Mittwoch eine Reihe von Maßnahmen vor, um derartigen Verbrechen vorzubeugen. Demnach sollen künftig alle Jugendlichen, denen schwere Straftaten angelastet werden, in geschlossene Erziehungszentren gebracht werden, sofern sie nicht in Untersuchungshaft sitzen. Bislang gibt es in Frankreich 45 solcher Zentren. Der Minister will nun 15 weitere errichten lassen.

"Während einer so langen Zeit fallen die Masken"

Auch möchte Mercier per Gesetz anordnen, dass die Justiz, Mediziner und Schulen ihre Informationen über jugendliche Straftäter austauschen müssen. Außerdem sollen Kriminelle vor einer Haftentlassung auf Bewährung genauer getestet werden. Psychologen und Bewährungshelfer sollen sie sechs Wochen lang in "Evaluationszentren" beobachten. "Während einer so langen Zeit fallen die Masken", glaubt das Justizministerium.

Die Richtergewerkschaft USM hält die Reaktion des Ministers auf die Ermordung von Agnès für aktionistisch. Zum einen sei es nicht die Regierung, sondern ein Richter, der über die Unterbringung krimineller Jugendlicher zu entscheiden habe. Zum anderen gäbe es viel zu wenig Erziehungszentren. Einige Rechtspolitiker werfen der Regierung vor, ständig neue Vorschriften zu erlassen, zugleich aber die Mittel der Justiz zu kürzen.

"Auf jede neue Tat folgt ein neues Gesetz", kritisiert auch die grüne Präsidentschaftskandidatin Eva Joly, die lange als Untersuchungsrichterin arbeitete. Sie schlägt vor, Jugendkriminalität mit Sozialarbeit zu bekämpfen. Außerdem warnt sie: "Die Vorstellung, dass wir dank Gesetzen und Institutionen in einer Gesellschaft ohne Kriminalität leben könnten, ist falsch."

Die Eltern von Agnès erklärten, sie seien traurig, dass alle Welt versuche, aus dem Tod ihrer Tochter politisches Kapital zu schlagen.

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