Debatte nach Trayvon Martins Tod:Die Farbe der Schuld

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Jeder neunte Afroamerikaner zwischen 20 und 34 Jahren sitzt im Gefängnis. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein schwarzes Kind im Knast landen wird, ist zwanzigmal höher als bei einem weißen. Bürgerrechtler werfen den Institutionen schon seit Jahren "Rassenjustiz" vor.

Christian Wernicke, Washington

Vor allem eine Frage bestimmt Amerikas Empörung über den Tod von Trayvon Martin: Was, wenn es andersherum gewesen wäre? Wie hätten Polizei und Justiz reagiert, wenn an jenem 26. Februar 2012 das Opfer nicht schwarz, sondern weiß gewesen wäre, wenn der Tatort statt in einem von wohlhabenden Weißen beherrschten Viertel wie Sanford in einem städtischen Slum gelegen wäre? Und vor allem: Was, wenn Todesschütze George Zimmerman - von der Polizei zunächst als "weiß" kategorisiert - nicht der Sohn eines weißen Vaters und einer peruanischen Mutter gewesen wäre, sondern ein Schwarzer?

Amerikas Kriminalstatistik ist eindeutig. Afroamerikaner landen in den USA weitaus häufiger auf der Anklagebank und hinter Gittern als Weiße oder Latinos. Eine Langzeitstudie des Pew-Forschungsinstituts beschrieb 2008 den Trend. Demnach sitzt durchschnittlich einer von hundert erwachsenen Amerikanern in einem Bundes- oder Staats-Gefängnis - aber jeder 36. erwachsene Latino im Land und sogar jeder 15. Schwarze, der älter als 18 Jahre ist. Am härtesten zielt Justitia auf Afroamerikaner zwischen 20 und 34 Jahren: Jeder neunte US-Staatsbürger dieser Altersgruppe und Hautfarbe hockt im Knast. Seit Jahren erheben Bürgerrechtler deshalb den Vorwurf, Amerikas Rechtsprechung produziere im Ergebnis "Rassenjustiz".

Generell wird in den USA schneller verhaftet und häufiger verurteilt als in Europa. Mit 743 von 100.000 Bewohnern hinter Gittern vermelden die USA die höchste offiziell dokumentierte Inhaftierungsrate weltweit. Laut Justizministerium sitzen fast 2,3 Millionen Menschen (Stand 2009) in US-Gefängnissen ein. Zum Vergleich: In Deutschland befinden sich lediglich 85 von 100.000 Menschen hinter Gittern. Weitere fünf Millionen Amerikaner sind zur Bewährung auf freiem Fuß. Das bedeutet, dass gegenwärtig mehr als drei Prozent der erwachsenen Amerikaner eine Gefängnis- oder Bewährungsstrafe verbüßen. Gemessen am Bevölkerungsanteil trifft dieses Schicksal Schwarze sechsmal häufiger als Weiße.

Dass Schwarze in den USA häufiger straffällig werden, erklären Sozialforscher mit deren miserablen Lebensbedingungen: Sie sind ärmer, schlechter ausgebildet und wachsen häufiger in zerrütteten Familien auf. In den Elendsquartieren der Großstädte ist das Bild der alleinerziehenden jungen schwarzen Mutter die Regel. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein schwarzes Kind ohne Vater im Haus arm bleiben und straffällig wird, ist fünfmal höher als jenes von Kindern aus Familien mit beiden Elternteilen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das schwarze Kind im Knast landen wird, liegt zwanzigmal höher als bei weißen.

Hauptgrund sind Amerikas "Krieg gegen Drogen" und die drakonischen Mindeststrafen. Diese schrieben jahrzehntelang vor, Dealer und Verbraucher der ("schwarzen") Droge Crack deutlich härter zu verurteilen als (meist weiße) Kokain-Händler und Abhängige. Im Sommer 2010 hat die Obama-Regierung dieses Unrecht korrigiert.

Ebenso trifft Amerikas härteste Strafe häufiger Schwarze als Weiße. 34 Prozent aller seit 1976 hingerichteten Mörder waren Afroamerikaner, eine Ziffer fast dreimal so hoch wie ihr Bevölkerungsanteil. Das "Death Penalty Information Center" verweist auf eine Sammlung von Studien, die zudem zeigen: Elektrischer Stuhl oder Todesspritze drohen besonders häufig, wenn das Opfer weißer Hautfarbe war. In den 35 Jahren seit Wiedereinführung der Todesstrafe wurden 253 Schwarze exekutiert, die laut Gericht einen Weißen ermordet hatten. Im selben Zeitraum traf die Todesstrafe 18 Weiße, deren Opfer Afroamerikaner waren.

© SZ vom 13.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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