China:Organisierte Vergewaltigung

Chinas jüngster Justizskandal: In der Provinz sollen Parteikader minderjährige Schulmädchen zum Sex gezwungen haben. Die Taten werden vor Gericht verharmlost.

Henrik Bork, Peking

Sie nannten sie "shubaomei", die Schultaschen-Mädchen. Es waren junge Schülerinnen, denen die Täter auflauerten. Sie lockten sie vom Schulhof, um sie zu vergewaltigen. Einige der Opfer waren erst dreizehn Jahre alt.

China: Schülerinnen in China sind Disziplin gewohnt - manchmal sind sie auch Gefahren ausgesetzt.

Schülerinnen in China sind Disziplin gewohnt - manchmal sind sie auch Gefahren ausgesetzt.

(Foto: Foto: Reuters)

Ganz China empört sich gerade über diesen Fall, dies jedoch nicht allein wegen der Abscheulichkeit der Verbrechen. Für Aufregung sorgt auch die Tatsache, dass ein Lehrer und fünf kommunistische Kader unter den mutmaßlichen Tätern sind. Und dass vor Gericht offenkundig versucht wird, die Tat der Parteikader zu verharmlosen. Es ist Chinas jüngster Justizskandal.

Die Sache wird seit Anfang April vor dem Volksgericht von Xishui in der Südprovinz Guizhou verhandelt. Angeklagt sind unter anderem der Berufsschullehrer Feng Zhiyang, der Leiter des Landkreisamtes für Siedlungswesen Li Shouming, der Justizbeamte Chen Cun, der Sozialbeamte Huang Yongliang, der Leiter des Katasteramtes Chen Mengran, der Abgeordnete des örtlichen Volkskongresses Mu Mingzhong und der Taxifahrer Feng Yong.

Sie alle werden verdächtigt, zu den Stammkunden eines kriminellen Ringes gehört zu haben, der systematisch minderjährige Schulkinder aus den Grund- und Mittelschulen des Ortes entführt hat.

Der Ring war erst aufgeflogen, als das 14-jährige Opfer Li Qing ihre Großmutter anflehte, nicht mehr zur Yuhai-Mittelschule gehen zu müssen. Vor der Schule lauerten "Kinderjäger", sagte das Mädchen. Zwei drogensüchtige Minderjährige sollen sich Geld damit verdient haben, die Mädchen in die Wohnung einer Zuhälterin zu locken. Dort sollen die Kinder dann mit Schlägen und "Giftspritzen" gefügig gemacht worden sein.

Besonders gefragt waren Jungfrauen. Eine 14-jährige hat erzählt, wie sie entjungfert wurde. "Ich hatte solche Angst. Ich wurde in ein Hotelzimmer geschleppt, und der Mann verriegelte die Tür und zog mich aus. Ich weinte die ganze Zeit." Dann sei sie von dem Mann namens Feng Zhiyang vergewaltigt worden, sagte das Mädchen. "Erst später fand ich heraus, dass er Lehrer an der Berufsschule ist. Es war so pervers, wozu er mich gezwungen hat", wird Li Qing zitiert.

Chinas staatliche Medien dürfen nach einigen anfänglichen Berichten inzwischen nicht mehr ausführlich über den Fall schreiben. Im Internet aber haben Blogger Interviews mit den Familien der Opfer veröffentlicht. Die Leser äußern sich angewidert. "Das sind doch Monster!" und "schlimmer als Mord", sind typische Kommentare. Auch an den juristischen Fakultäten mehrerer Hochschulen in Peking ist der Fall seit einer Woche das Flurgespräch schlechthin.

Der Staatsanwalt zeigt Milde

Ein Grund für die allgemeine Empörung ist das Vorgehen der örtlichen Justizbehörden. Anstatt die Männer der Vergewaltigung anzuklagen, wie bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen unter 14 in China sonst üblich, hat der Staatsanwalt eine Anklage wegen "Frequentierens minderjähriger Prostituierter" eingereicht. Anders als für Vergewaltigung droht darauf nicht maximal die Todesstrafe, und das Strafmaß könnte geringer ausfallen.

Viele Chinesen vermuten daher, dass die von der Kommunistischen Partei eingesetzten Justizbeamten in Xishui die kommunistischen Kader unter den Angeklagten schützen wollen. "Das Frequentieren minderjähriger Prostituierter legt nahe, dass sich die Mädchen freiwillig verkauft haben. Die Anklage versucht nicht bloß die Aggressoren zu entschuldigen, sondern die Opfer auch noch als Prostituierte darzustellen", schreibt der Blogger Wuyuesanren in Peking.

"Schultaschen-Mädchen"

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die öffentliche Moral in boomenden Orten der chinesischen Provinz. Xishui im eher rückständigen Guizhou hatte noch vor zehn Jahren Gelder aus dem Armutsfonds der Pekinger Zentrale bezogen. 78 registrierte und zahllose illegale Kohleminen haben den Ort jedoch innerhalb der vergangenen zehn Jahren zu einem Eldorado neureicher Glücksritter werden lassen.

Besonders unter den Betreibern von Kohleminen soll die Jagd auf "Schultaschen-Mädchen" beliebt gewesen sein, weil - so ist zu lesen - "die Kleinen sauberer als Nutten und billiger zu haben sind". Wichtige Geschäftskunden seien in Xishui häufig mit jungfräulichen Mädchen "bewirtet" worden, heißt es weiter.

Der Skandal gewährt zudem einen tiefen Einblick in das Rechtsverständnis der kommunistischen Parteielite in der Volksrepublik, die sich selbst auf ihren untersten Ebenen als weitgehend über Recht und Gesetz stehend begreift. Erst Hunderte von aufgebrachten Bürgern vor dem Gerichtssaal und die Empörung im Internet haben diesmal die sonst übliche Vertuschung vereitelt.

Die 14-jährige Li Qing hat unterdessen sechs Mal versucht, sich mit einer Glasscherbe die Pulsadern aufzuschneiden. An ihrem Handgelenk sei eine sechs Zentimeter lange Narbe zu sehen, ist zu lesen.

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